Aktzeichnungen von Barbara Wrede · 14. November 2017

Von einer ganz anderen Handwerklichkeit als der des gewöhnlich so bezeichneten eigentlichen Handwerkers handelt die Kunst der Malerei und Zeichnung nach der Natur: sie überwindet die reine Funktion der Abbildung, fügt etwas handwerklich nicht erklärbares hinzu, das nicht zu kopieren, nicht technisch zu erfassen ist, das erst im Betrachter zu dessen eigenem Bild werden kann. Das auch durch Sprache nicht zu erfassen ist, das man nicht mit Worten denken kann. Der Anteil an handwerklichem Können nach Regeln und bildnerischen Gesetzen ist dabei durchaus hoch. Es kommt dabei weniger auf die Proportionen an, wie man sie modellhaft in Lehrbüchern findet, denn die Menschen sind als Naturerscheinung nicht auf einem Leisten geschustert worden, als auf die Perspektivität, die nicht allein durch die Darstellung von perspektivisch genauer Abbildung ensteht, also Standpunkt, Horizont, Flucht usw., sondern duch die Illusion von Genauigkeit und eine geistige Fülle, deren Darstellung nicht erklärbar sind. Je weniger das Kunstwerk im Detail ausführt, desto mehr Ergänzung und Interpretation ermöglicht es dem Betrachter nach dessen eigenen Phantasien, Erinnerungen, Wünschen, Ängsten und anderen inneren Bildern.

Als Barbara Wrede mir erzählte, daß sie in ihrem Fundus eine Mappe mit älteren, nicht ausgestellten und angebotenen Aktzeichnungen habe, wurde ich neugierig. Barbara ist eine ungewöhnlich vielseitige Künstlerin des Bildes, die ihr zeichnerisches Werk auch mit technischer Innovation vorantreibt. In Berlin waren kürzlich in der Schwartzschen Villa große Porträts von Barbara zu sehen, die wirkten, als solle in ihnen durch die technisch mit Eßpapier erzeugte schablonenhafte, reliefartige Maskenhaftigkeit Ausdruck und Bewegung gehemmt werden, und die trotzdem von Beredtsamkeit nur so strahlen. Die Frage liegt also nahe: Wie sehen die früheren Ansätze eines künstlerischen Werkes aus, das selbst bei angestrebter Enthaltsamkeit noch so viel Ausdruckskraft entfalten kann?

Als ich im Atelier mit der Sichtung begann, war ich binnen kurzem in Bann geschlagen von diesen Arbeiten. Wie leichthändig und unaufwendig (natürlich nur scheinbar) Barbara eine Stimmung abbilden kann, wie sie mit wenigen Linien Schönheit herstellt, wie sie eine intime Begegnung überträgt, wie sie einen Ablauf von Ereignissen in einem Einzelbild inszeniert, wie die gezeichneten Menschen miteinander kommunizieren, wie Barbara Wrede also aus einem Bild einen ganzen Romanauszug oder eine Filmszene imaginiert, wie offen, schutzlos, nahbar nicht nur der nackte Mensch, sondern auch noch der bekleidete oder der abgewandte, uns den Rücken zeigende Mensch werden, wenn Barbara sie zeichnet, das hat mich hingerissen.

Der Kunsthandel ist heute ein schwieriges Feld, weil es viele Künstler gibt und weil es viel Kapital gibt, das für einen merkwürdig spekulativen Markt sorgt und die markttechnisch nötige Verknappung zu schaffen sucht. Ein Künstler, der von einem Teil der am Markt beteiligten Menschen und Gesellschaften als ein Versprechen von Gewinn angesehen wird, kann keine »billigen« Arbeiten mehr erschaffen. Zu viele seiner Arbeiten werden dafür in privaten Depots aufbewahrt und als Anlage von Kapital angesehen, das nicht verfallen darf. Das heißt auch, sie werden als Bilder nicht mehr angesehen; es ist egal, was es ist, nur die Signatur des geldwerten Künstlers muß stimmen. Wie dieses Gewinnversprechen erzeugt wird, warum ein rostiges Geländer, ein Betonklumpen, eine schwarze Fläche, ein Gerümpel, ein Gekräusel, ein leerer Glanz auch heute noch als interessant angesehen werden und als Gegenwert für erheblichen finanziellen Aufwand, ist mir ein Rätsel. Ich laufe an manchen Galeriewochenenden in Berlin durch zehn, fünfzehn Galerien und sehe nichts, wofür ich jemals Geld ausgeben möchte, weiß aber, daß diese Galerien diese Werke verkaufen und sehe das internationale Publikum wie ein Georg-Grosz-Panoptikum in Pelzmänteln und mit Monokeln und Scheckbüchern bewaffnet durch diese Kaufhäuser stapfen und einkaufen. Es kommt nur ganz selten vor, daß ich sehr bedaure, wenn ein Künstler diesen Erfolg hat, weil ich sonst zu seinen Kunden gehören können würde.

Andererseits ist diese Kritik natürlich überzogen. Wer weiß schon, was ein Bild ist! Der Wert des Bildes besteht zu einem bedeutenden Teil darin, daß man es nicht beschreiben kann. Jedenfalls nicht so, daß es vermittelbar wäre.

Ich habe Bilder in Galerien und von Künstlern direkt gekauft, Malerei, Zeichnungen, natürlich auch Druckgrafik, auch moderne Arbeiten wie digital erzeugte Stickerei als Bild, auch Kleinplastik. Der Markt, auf dem Kunst um ihrer selbst willen gekauft wird, funktioniert durchaus. Man darf nur nicht glauben, daß die Werke, die man dort erwirbt, ihren Wert behalten oder er gar steigt. Ich habe schon Kunst gekauft oder mir ertauscht, als ich noch das Geld für Nahrungsmittel abzählen mußte. Denn das kleinste Kunstwerk, wenn es ein solches ist, ermöglicht echten Luxus: Kunst kann nicht verbraucht werden, sie hat keine praktische Funktion; eigentlich gehört zu diesem Luxus auch, daß ein Kunstwerk den Wert seines Kaufpreises verlieren kann, denn den hat es am Anfang, wenn es zum ersten Mal gekauft wird, nur deshalb, damit der Künstler essen kann, damit es den Künstler gibt, zu seinem Erhalt. Und dem des Galeristen, der den Künstler hegt und pflegt. Das Kunstwerk als Spekulationsgut, als geldwerte Masse, büßt etwas von seinem Luxuswesen ein. Der Luxus besteht nicht im Sparen, sondern im Ausgeben und im Verdunsten des Geldes.

Ich habe Barbara Wrede vorgeschlagen, die Aktbilder in meinem Online-Shop anzubieten. Der Preis ist so günstig, weil der Galeristenanteil entfällt. Mir ist dieses Angebot eine Freude, der Kaufpreis geht vollständig an die Künstlerin. Die kleinen Fotos sind freilich nicht das Werk, sondern ein leider nur schwaches Bild vom Bild. Wir werden auf Wunsch ermöglichen, die Bilder in Berlin original in Augenschein zu nehmen. Im Online-Shop von Letterpress.Berlin werden die Werke bis Mitte Januar angeboten.

— Martin Z. Schröder

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Der Poet – ein Holzstich von Hans-Joachim Behrendt · 1. März 2017

Anläßlich einer Ausstellung von Werken von Hans-Joachim Behrendt in dem im Jahr 2008 von Pierre Becker gegründeten Design-Studio TA-TRUNG (Link zeigt Bilder der Ausstellungseröffnung) in Berlin-Mitte druckte ich einen Holzstich Behrendts nach, der neben anderen vor fast fünfzig Jahren angefertigt wurde für eine illustrierte Ausgabe des von Gerhard Wolf zusammengestellten »Dreistrophenkalender« des wunderbaren Dichters Georg Maurer.

Der Künstler hat den Stich überarbeitet, beispielsweise die regnende Wolke etwas aufgehellt. Es ist in der Holzstichgeschichte wahrhaftig ungewöhnlich, daß ein Künstler nach so langer Zeit einen Stich überarbeitet für eine neue Auflage. Auf dem Foto sieht man neben dem Buch zwei Kontrollabzüge.

Holzstich zu drucken, ist eine anspruchsvolle Arbeit. Das Druckbild soll so wiedergegeben werden, wie es sich der Holzstecher vorgestellt hat. Technisch ist es nicht zu schwer, sofern man vom Künstler geprüfte Handabzüge aus der Werkstatt des Künstlers zur Kontrolle hat und nicht den Stock untersuchen muß, wo Schraffuren stehen und wo Flächen und wie groß kleine Punkte sind. Es kommt darauf an, daß alle, auch die kleinsten weißen Stellen weiß bleiben und nicht mit Farbe zulaufen. Es gibt in jedem Bild empfindliche kleinste Punkte, die man dazu als Referenz für Farbauftrag und Preßdruck im Auge behält. In diesem Stich sind es die Augen des Einflüsterers, in denen winzige Lichtreflexe weiß erhalten bleiben müssen. Der Drucker muß dafür die Farbe in einen günstigen Zustand versetzen. Er macht sie dünner mit speziellem Drucköl oder fester mit Bologneser Kreide oder gummiartigen Zusatzstoffen. Jeder Zusatzstoff vermindert den Anteil der Pigmente, deshalb muß man sehr sorgfältig damit umgehen und sich mit winzigen Mengen an den Idealzustand der Farbe herantasten. Ich habe von Herrn Behrendt inzwischen gelernt, worauf es ankommt. Beeinflußt wird der Farbauftrag auch von den Walzen und dem Druckvorgang selbst, nämlich vom Zustand der Walzen (sie dürfen keine Patina haben, die die Farbe abstößt), davon, wie oft die Walzen über den Stock rollen (nicht rutschen dürfend), auch von der Geschwindigkeit des Abrollens und natürlich von der Menge der Farbe. Die Konsistenz der Farbe ändert sich mit ihrer Bewegung. Man läßt die Maschine gut einlaufen, so daß die Farbe geschmeidig wird. Mit dem Preßdruck ist man sparsam, damit der Stock, wenn er auch aus Hartholz ist, nicht abgequetscht wird. Es darf also nicht geprägt werden, sondern der Druck muß durch die Zurichtung so ausgewogen sein, daß Flächen und niedrige Stellen (Holz arbeitet) den meisten Druck bekommen und nicht die Außenränder, wie es physikalisch von allein geschieht, wenn eine harte Fläche auf eine weiche drückt.

Das ist der Holzstich. Auch Druckstock genannt.

Hinter den Stock wird Material gelegt, um ihn auf Schrifthöhe zu bringen. Es gibt flache Stöcke, die auf Metall aufgeklebt werden müssen, andere benötigen Papierschichten. Bei der Gelegenheit wird der Stock (oftmals mehr oder weniger verzogen und so gut wie nie rechtwinklig) auch parallel gestellt zum Aufzug.

Man tastet sich Papierfetzchen für Papierfetzchen an ein Druckbild mit gleichmäßig schwachen Außenkanten heran.

Nun wird auf der Gegenseite, dem Tiegel, ein doppelter Aufzug angebracht und auf dem unteren vorsichtig das Druckbild abgezogen. So kann man später die Zurichtung aus Seidenpapier genau aufkleben – unter den abdeckenden Aufzug, der glatt und straff darüber gezogen wird. Manchmal wird dieser Aufzug auch angefeuchtet, damit er besonders eng anliegt und den Druckbogen nicht hebt. Diesen angefeuchteten Aufzug, der beim Trocknen straff wird, heißt man auch einen»nassen Straffen«. Ich habe es noch nie probiert und kenne das nur aus Büchern. Falls ein Kollege dies liest und mich gern aufklären möchte, wie man den Aufzug anfeuchtet (im Stapel über Nacht wie Papier für den Tiefdruck oder einfach nur mit einem Schwamm, vor oder nach dem Zurichten und wie lange er zum Trocknen braucht, um sich zu straffen), würde es mich freuen.

Auch wenn das Foto unscharf ist, erkennt man doch einige von den Seidenpapieren, die sich auch überlappen. Sie dürfen nicht geschnitten werden, weil scharfe Schnittkanten, womöglich mit einem Grat, sich im Druckbild zeigen würden. Auch präzise gesetzte Seidenpapierstücken werden gerissen, wie hier die Gesichtszeichnung der Augen. Das braucht natürlich alles viel Zeit, gelegentlich auch zwei oder mehr Versuche für eine Stelle. Das Zurichten heißt, die Schwachstellen des Bildes mit der Lupe aufzuspüren und auszugleichen. Volle Tonflächen ohne Schraffur sollen manchmal schwarz sein, nämlich wenn sie für einen schönen Bildkontrast nötig sind und helle Stellen zum Strahlen bringen sollen. Manchmal ist es aber auch reizvoll, die Volltonflächen etwas aufreißen zu lassen und einen leichten Grauschleier zu bewirken. Der Drucker sollte also den Künstler und dessen Bildsprache, auch seine Absichten und Wünsche ein wenig kennen.

Das Original wurde gedruckt auf Echt Bütten von Zerkall. Das ist ein echtes Vergé mit Wasserlinien, die bei schwachem Preßdruck sichtbar werden. Die Rippen dagegen, die vom Schöpfsieb in der Durchsicht des mit Steinen polierten und sehr glatten Papiers deutlich zu sehen sind, beeinflussen das Druckbild nicht. Das unterscheidet echtes Vergé von dem heute lieferbaren gerippten Papier, dessen Rippenstruktur durch Walzenprägung in die nasse Bahn eingebracht wird und die Oberfläche rippt und aufrauht. Die Qualität des Druckbildes kann ich in einem komprimierten Foto für das Internet kaum wiedergeben. Die Druckauflage von etwa 80 Exemplaren wurde von Hans-Joachim Behrendt kontrolliert und signiert. Die Druckqualität schwankt etwas, es gibt hellere und kräftigere Drucke. Bei einer so kleinen Auflage bekomme ich einen Heidelberger Tiegel nicht zu einem gleichmäßig befriedigenden Farbauftrag. Den hätte ich nach vielleicht 200 Drucken allmählich eingestellt. Aber alle Abzüge genügen den Ansprüchen des Künstlers, sonst hätte er seine Unterschrift nicht dafür gegeben. Schlechte, vor allem zu dunkle Drucke habe ich vorher aussortiert.

Aus der Bildvergrößerung läßt sich ahnen, wie fein Hans-Joachim Behrendt sticht (unter dem Mikroskop) und wie genau und wie oft der Drucker das Bild prüft (ich tue das mit einem sog. Aplanat, einer verzerrungsfreien und farbechten Lupe, auch das war eine Lehre von H.-J. Behrendt).

In der Maurer-Ausgabe wurde der Stich vom Künstler koloriert, dann aber leider erstens gekontert (seitenverkehrt gedruckt) und zweitens auch noch vergrößert, was für Druckgrafik ein völliger Unsinn, ein banausisches Tun ist, weil die feinen Reize des Details vergröbert werden und die Reproduktion, die ohnehin unter der Umsetzung ins gerasterte Offsetdruckverfahren leidet, somit weitgehend scheitert. Dieses nebenstehende Bild habe ich mit Buntstiften koloriert. Es wurde zur Eröffnung verkauft und dazu vom Holzstecher (der Gefallen daran fand) und von mir signiert. Mir hat das ein großes Vergnügen bereitet; und daß jemand den nur zur Ansicht ausgestellten Druck kauft, hatte ich nicht erwartet, umso mehr hat es mich gefreut. (Das Bild wurde rasch mit dem Handy aufgenommen, deshalb der Rotstich.)

Ich habe gleich einen neuen koloriert, der natürlich etwas anders ausgefallen ist. »Malen nach Zahlen« wäre mir zu stupide, dazu wird man mich nicht bekommen. In diesem Bild muß man sich schon überlegen, welche Elemente wie farblich zusammengestellt werden sollen. Es gibt dafür sehr viele Möglichkeiten.

Dies sind zwei Vergrößerungen.

In den nächsten Tagen werde ich diesen Stich, sowohl die Originaldrucke als auch den kolorierten, in den Online-Shop stecken. Der Preis für die Druckgrafik wird bei vielleicht 25 Euro liegen, das kolorierte Bild wird um 50 kosten. Immer wenn ein koloriertes verkauft ist, mache ich ein neues. Ich empfehle aber durchaus, es selbst einmal zu versuchen. Man kann ja zwei Stiche kaufen, falls es mißlingt. Oder sich eine Kopie ziehen für die ersten Versuche. Interessant wird es übrigens mit Aquarellfarben. Denn der Buntstift dämpft die dunkle Druckfarbe, wo er sie übermalt. Die Farbe auf Wasserbasis geht nicht auf die fetthaltige Druckfarbe und läßt sich deshalb scharf abgrenzen.

— Martin Z. Schröder

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Alleinerziehende Mutter · 4. September 2011

Der Berliner Künstlerin Barbara Wrede habe ich ein paar Zeichnungen aus dem Kreuz geleiert, um sie nicht unbedingt in schwarzweiß für Drucke zu verwenden. Die Zeichnungen wurden gescannt, retuschiert und in Magnesium geätzt, um sie im Buchdruckverfahren drucken zu können. Zum Beispiel diese Nilpferd-Känguruh-Kreuzung. Niedlich, oder? Nach langem Nachdenken erst weiß, dann in Pink auf schokobraunen Karton gedruckt. Schokobraun ist die Farbbezeichnung des Herstellers, und der Karton sieht wirklich appetitlich aus.

Mit weißer Farbe wurde vorgedruckt, damit Pink gut leuchtet. Das Weiß deckt zwar nicht übel, aber auch nicht völlig, und wenn eine bunte Farbe dazukommt, lasiert das Gemisch eben doch. Kann ja reizvoll sein, aber lasieren sollte es diesmal nicht. Die Schrift auf der Rückseite der Klappkarte ist weiß geblieben.

Bleisatz aus Schreibmaschinenschrift und Futura.

Und nach dem pinken Druckgang wurde ein Farbschnitt in Pink angesetzt, zum Schluß die Karte zur Klappkarte gerillt.

Farbschnitt läßt sich nicht so gut fotografieren.

Im Stapel natürlich doch. Nun wird noch ein schönes Foto gemacht, und ab kommender Woche wird die Karte im Shop zu finden sein.

— Martin Z. Schröder

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In der Kunsthalle · 9. Juni 2011

Am Dienstag wurde die Ausstellung “Based in Berlin” im Hamburger Bahnhof in Berlin-Mitte eröffnet. Die Berliner Zeitung berichtete gestern und erwähnt darin auch einen “tollen Schriftsetzer” (toll hoffentlich nicht im Sinne von verrückt). Ich habe für die Installation “Bereitgestellte Leistung” von Ilya Lipkin eine Menükarte entworfen, digital aus der Baskerville gesetzt, vom Klischee auf Cranelettra pearlwhite gedruckt und mit rotem Farbschnitt versehen.

Das Format der Karte beträgt 297 × 184 mm, Proportion im Goldenen Schnitt. Etwas bedauert habe ich nur, daß es die schöne Baskerville Ten von Storm Type für den größeren Grad nicht in einer schlankeren Variante gibt. Eben sehe ich auf der Seite der Schriftgießerei, daß ich wohl die Baskerville 120 hätte nehmen können.

Ganz glücklich war ich, daß Ilya mir erlaubte, für den Text das lange s einzusetzen. Es ist möglicherweise die erste Auftrags-Drucksache überhaupt, für die ich diesen eleganten Buchstaben verwenden durfte. Bislang tauchte er nur in den freien Arbeiten auf, also den vom Bleisatz gedruckten Büchern von Max Goldt.

Eine Arbeit aus meiner Hand und Werkstatt aufwendig gerahmt allein auf einer vier Meter langen Wand zu sehen, hat mir gefallen, ich gebe es zu.

— Martin Z. Schröder

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Ausflug zum Tiefdruck · 26. September 2009

Am 30. April 2009 hatte ich alte und neue BMW-Reklame verglichen und war von Lesern darauf aufmerksam gemacht worden, daß es sich bei der Aktion von 2009 um ein Kunstwerk handelt. Der in Berlin lebende südafrikanische Künstler: Robin Rhode. Er ist mir in seinem Werk gestern wiederbegegnet.

Gestern wurde in der Berliner Galerie Nils Borch Jensen eine Ausstellung eröffnet mit Werken (oder wie man heute sagt: Arbeiten) von Takehito Koganezawa und Robin Rhode als Tiefdrucke von Nils Borch Jensen. Ich war im Sommer 2008 für das AD-Magazin bei Jensen in Kopenhagen gewesen und hatte die Arbeit des Meisterdruckers bewundert.

Als ich gestern die tiefgedruckten Fotos von Robin Rhode sah, war ich fasziniert. Und meine kunsthistorisch wie drucktechnisch beschlagene Begleiterin auch. Diese Tiefe, diese Brillanz, diese Leuchtkraft sind aus einem Fotopapier nicht herauszuholen. Der Tiefdruck bringt jede Feinheit im Relief, welches einem zwar nicht entgegenspringt aber das Bild so erhöht, daß man nähertreten muß, weil man sich fragt: Verdammt, wie ist denn das gemacht?

Robin Rhode und Nils Borch Jensen haben es darauf angelegt, in Rhodes Fotoserie Pan’s Opticon Studies im Foto oder Druck bislang nie gesehene metallische Effekte in historischen Vermessungsgeräten abzubilden. Zwei ähnliche Motive finden sich in dieser Serie. Und eines der gedruckten Fotos, das aber im Originaltiefdruck eine gänzlich neue Qualität darstellt, auf artnet.

Der Druck hat einen zweiten Vorteil: Man findet hier sehr preisgünstig druckgrafische Werke von Künstlern, deren Einzelstücke bereits teuer sind. Die Druckgrafik (ein weites Feld, das traditionell von Albrecht Dürer bis Baldwin Zettl reicht und durch Drucker wie Jensen erstaunliche Weiterungen erfährt) ist ein Sammelgebiet, auf dem man sich auch orientieren kann, ohne Millionär zu sein.

— Martin Z. Schröder

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Im Grünen · 1. Februar 2009

Am Freitag eröffnete die Galerie Seitz in der Berliner Friedrichstraße die Ausstellung “Über das Verschwinden” mit Werken von Barbara Wrede. Das Foto zeigt den Blick aus dem Fenster — die Galerie befindet sich in der Beletage des Hauses Friedrichstraße Ecke Kochstraße. Hier gibt es, bis in die Rudi-Dutschke-Straße hinein und dann hinüber zur Lindenstraße, viele großartige Galerien. Manchmal sind sie alle zusammen eine halbe Nacht lang geöffnet, dann schiebt sich sehr viel Volk durch Berlins östliche Mitte.

Aus den Nebenprodukten der großen Serie “Rasenstücke” von Barbara Wrede habe ich erst kürzlich ein Werk gekauft und in die Werkstatt gehängt. Dieses Grün dominiert den ganzen Raum, deshalb hängt das Werk auch nicht vorn, sondern im hinteren Teil der Werkstatt. Vorne dominiere ich lieber selber. Als ich das Bild zuerst gesehen habe, wurde ich sofort von der Gier gepackt, es zu besitzen. Ich hatte schon ein mal darüber berichtet, daß der Kauf von Kunstwerken eine eigentümliche Art von Konsum ist, denn die Freude am Besitz läßt nicht nach. Man gewöhnt sich an jedes Ding, das man sich kauft, auch wenn man sich sehr darauf gefreut hat. Wenn man Kunst gekauft hat, ist das kein toter Gegenstand, sondern ein beseelter. Mit Kunst hat man immer Gäste im Haus, nicht bloß Gegenstände oder Dekoration.

Warum dieses Foto mit der reflektierenden Lampe hier zu sehen ist, erschließt sich, wenn man es zur Vergrößerung anklickt: es steht jemand in den grünen Bändern. Ich dachte sogleich an Hitchcock, als ich das Bild zum ersten Mal sah. Und im nächsten Bild …

… und der Vergrößerung wird etwas deutlicher, was da los ist, auch wenn man nicht sieht, wie Barbara Wrede es gemacht hat.

Nun also die Werke, von denen ich einen Zipfel täglich anschauen kann, in der Galerie Seitz. Für die einführenden Worte am Freitagabend war Katharina Rutschky angekündigt, die leider nicht kommen konnte. Aber für Ersatz gesorgt hatte: Kurt Scheel, Herausgeber des Merkur, hielt eine sehr heitere und lebendige Rede. Ich habe ein paar Schnappschüsse machen können, die den Merkur-Mann …

… in freier Rede …

… und beschwingt dabei zeigen, …

… wie er …

… seine Begeisterung …

… für die Wredesche Kunst …

… vorträgt. Er sammelt übrigens auch Wrede.

Dieses Foto zeigt den Drucker, welcher für den Anlaß …

… und passend zu den Bildern seine grünsten Manschettenknöpfe angelegt hat. Die Ausstellung hängt bis zum 15. März 2009, geöffnet ist die Galerie Seitz (Friedrichstraße 210 | Am Checkpoint Charlie | 1.OG | 10969 Berlin) Di—Sa 12—18 Uhr sowie nach Vereinbarung.

— Martin Z. Schröder

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Wolke sieben · 29. November 2008

In dem Dialog “Die malerische Malerei — Über Maßstäbe zur Betrachtung neuer gegenständlicher Kunst” in seinem Buch “Du sollst dir ein Bild machen” (Verlag zuKlampen, 2005) versucht sich Martin Mosebach in der Erklärung von Kriterien zur Bewertung neuer Kunst: vom Künstler angenommene Manier, unabsichtlich geformte Handschrift und Zeitstil. Zeitgenössische Kunst zu bewerten, scheint unmöglich zu sein, weil man den eigenen Zeitstil kaum versteht und es schwerfällt, das neue, das exotische vom exotistischen Werk, das nur so tut, als ob es Kunst sei, indem es manierlich den Zeitstil aufnimmt, zu unterscheiden.

Hilfreich ist es für den Kunstgenießer, den Künstler ein wenig zu kennen. Das gibt ihm zwar keine Garantie dafür, daß er Werke bewundert und ggf. kauft, die auch später noch als Kunstwerke von Rang anerkannt werden, wenn man die Zeit und ihre widerstrebenden Strömungen als eine Epoche anschauen kann, aber es gibt ihm ein Gefühl für die Redlichkeit des Künstlers.

Barbara Wrede arbeitet rücksichtlos gegen den Zeitstil, d.h. ohne ihn für die eigene Arbeit zu berücksichtigen. Sie nimmt keine Strömungen und Techniken auf, sondern sie erfindet selbst. Das scheint mir ein Hinweis zumindest auf Originalität zu sein. Aber vor allem ein Merkmal von Unabhängigkeit und der Freiheit von bewußt angenommener Manier.

Wenn ich Kunst so großartig finde, daß ich sie besitzen möchte, wenn sie mich angreift, mir etwas verspricht, mir gefällt, sind mir solcherlei Überlegungen schnurzpiepe. In der Druckerey hängen nun zwei neue Werke von Barbara Wrede. Sie sind aus der Serie “Wolke sieben” aus dem Jahr 2005, und ich werde diese beiden Bilder nicht umbenennen. Am ersten Abend, als die beiden an der Wand Platz genommen hatten, war ich sehr unlustig, die Werkstatt zu verlassen. Es ist immer wieder verblüffend, wie sich Werke verändern, wenn sie an ihrem Platz hängen, befreit vom Reichtum des Künstler-Ateliers, gekrönt durch den Raum, den sie nun bekommen haben. Sie fangen an zu strahlen. Wenn ich im Atelier aussuche, freue ich mich schon auf das Strahlen, denn ich kann die Stimmung nicht voraussehen. Im Atelier wirkten die beiden Bilder sehr anziehend auf mich, aber ein bißchen traurig. Das Traurige haben sie sofort abgelegt, als sie an der Wand hingen, sie wirken jetzt beruhigend. Ich habe sie in die Nähe der beiden eher beunruhigenden Bilder gehängt, die ich hier schon einmal besprochen habe. Und die ich auf nebenstehendem Foto noch einmal zeige.

Wenn ich am Schreibtisch sitze und mich zurücklehne, kann ich beide Paare sehen, die auf Wolke sieben und die finsteren. Auch wenn man von der Straße durch die Ladentür kommt und auf der Erhöhung der Eingangstreppe steht, kann man beide Paare finden. Es gibt jetzt eine Wolke sieben in der Druckerey.

— Martin Z. Schröder

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Wellenelemente auf dem Spielplatz · 27. Oktober 2008

Letzten Donnerstag hatte ich Verwandtschaftsbesuch, zwei Kinder haben die Werkstatt kennengelernt und sich überlegt, was sie sich drucken könnten.

Wann habe ich mich zuletzt gefragt: Was drucke ich denn heute schönes? Und am Freitag dann entdeckte ich beim Aufräumen ein Ornament in meinen Schmuckkästen, das danach rief, so gedruckt zu werden, wie es da stand. Neun Elemente im Quadrat. Außerdem hatte mir mein Lieferant Georg Kraus einen neuen Schrank samt Schrift geliefert, die Volta, eine Egyptienne (oder Serifenbetonte), die ebenfalls rief: druck mich, schau mich an, probier mich aus, lerne mich kennen, mag mich, arbeite mit mir! Die zu druckenden Auftragsarbeiten schob ich kurzentschlossen aufs Wochenende und legte einen Spieltag ein.

Julian, der Lego-Experte, der sich tags zuvor eine Visitenkarte als solcher druckte (zeige ich demnächst), hatte meine Werkstatt mit einem überdimensionierten Lego-Kasten verglichen. In meiner Kinderzeit waren das noch nur Steinchen und eine ostdeutsche Variante in gelb und grün, die ich jedoch sehr mochte. Lego bietet heute aber weit mehr als Bausteine. Ich vergleiche meine Werkstatt lieber mit einem (alten) Stabilbaukasten — ist immerhin alles Metall. Andererseits stimmt Lego, weil man nie schraubt, sondern nur fügt. Egal. Ich ließ meiner Laune zum Spiel freien Lauf.

Nach dem ersten Abzug von Ornament und Schrift wollte ich mir auch mal wieder eine Visitenkarte drucken, zweckfrei. Vielleicht die Karte eines Kunstsammlers, fiel mir dann ein. Ich habe gerade ein Foto gekauft für die Werkstatt. Wenn es gerahmt ist, zeige ich es. Und demnächst besuche ich Barbara Wrede im Atelier, weil ich etwas bestimmtes kaufen möchte. Es gibt da so eine grüne Serie …

Kunstsammler also.

Ich machte keine Entwürfe, keine Zeichnungen, sondern probierte drauflos.

Satz, Formschließen, Abzug, Ändern und wieder von vorn.

Die ersten drei Bilder zeigen die gedruckten Skizzen, das vierte den Entwurf, den ich für druckreif befunden. Es ging ziemlich fix, bald hatte sich ein Wunschbild vor dem inneren Auge geformt, das dann leicht zu verwirklichen war.

Und auf dem fünften Bild sind die gedruckten Karten zu sehen, wie sie aus der Maschine in einen Karton geworfen werden, wo sie leicht verkantet sich häufen und so keine Gelegenheit haben, ihre Farbe auf eine darüberliegende Karte abzuziehen.

Die Bilder vom Satz zeigen zuerst die geschlossene Druckform, dann im Detail die Ornamente. Das mittlere der drei, das dunkle, die Vierecke mit den weißen Halbkreisen, stand genau so, wie es gedruckt ist, im Kasten. Die Blatt-Ornamente hatte ich auch nie zuvor gedruckt; sie wirken ein wenig asiatisch, scheint mir.

Warum ich nun in die anderen Ornamente jeweils ein Teil des mittleren gesetzt habe? Gefühlssache, hab mir keine Theorie dafür gebildet. Ich wollte, daß die Karte an eine Galerie erinnert, in der Bilder mit Schildchen an der Wand hängen. Mein Name sollte möglichst verschwinden, weshalb er an den unteren Rand gerutscht ist und Teil einer Bodenlinie geworden mit diesen kleinen Wellen-Elementen. Wellenelement ist ein schönes Wort, um das uns andere Sprachen beneiden müssen, und wenn es Wellenelementehersteller oder gar -experten geben sollte, würde ich gerne für sie drucken, denn das e ist im Setzkasten für die deutsche Sprache der Buchstabe, von dem die meisten Exemplare vorhanden sind. Wahrscheinlich sind Wellenelementehersteller aber eher Fachleute für Bolzen. Oder Spindeln.

Die anderen beiden Quadrate sind zwar bewußt zusammengestellt, aber viel Energie habe ich auf die Anordnung nicht verwendet.

Hier sind die drei, aus jeweils neun Teilen bestehenden Ornamente

gedruckt zu sehen.

Aus einer Ausstellung habe ich noch nie ein Bild gekauft, aber vielleicht kommt der Tag, an dem ich meine Visitenkarte mit meiner Telefonnummer in einer Galerie hinterlassen kann. Bis dahin ist sie ein zweckfreies Ding, das mir aber gut gefällt. Auf der Wrede-Website ist übrigens etwas von den grünen Arbeiten zu sehen. Die sind allerdings riesig, die kann ich nirgends aufhängen. Erstens hab ich keinen Platz, zweitens ist das Grün derart intensiv, daß man dafür einen Saal braucht. Es soll da aber noch kleine geben …

— Martin Z. Schröder

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Hängen an Wänden · 3. Dezember 2007

An den Wänden meiner Offizin hängt Kunst. Und zwar Originale. Warum sollte sich einer, der auf den originalen Druck in kleiner Auflage Wert legt, Werke in Massenauflagen an die Wand pinnen? Künstler und Rahmenbauer haben hier gewirkt. Ist das seltsam oder nicht: Meine liebsten Bilder sind die, für die ich das meiste Geld ausgegeben habe. (Abgesehen von der Franz-Marc-Imitation in Kreide aus dem Kunstunterricht, die mir ein geliebter Mensch einst schenkte und die ich in Gold rahmen ließ.) Vielleicht ähnelt das einem Rezept der Psychoanalyse: das Honorar soll den Leidensdruck erhöhen, damit der Patient schnell zum Kern vordringt. Übertragen auf meine Kunst: Der Preis für die beiden Werke erhöht die Befriedigung, eine Kostbarkeit zu besitzen, ich hab dafür auf andere Dinge verzichtet. Vielleicht auch ist der Kauf von Kunst eine Form von Eitelkeit: Man ist, was man hängt.

Ich bin schon seit fast zehn Jahren Wrede-Sammler. Jüngst durfte ich als solcher eine Rede halten aus Anlaß eines Atelier-Rundganges. Daraus ein Auszug:

Barbara Wredes sehr verehrte Gäste! Daß Frau B. uns zum Auspacken eingeladen hat, erweist sich als Herausforderung. Wir stehen hier vor einem Überfluß, wie er auch in der Eremitage in Sankt Petersburg ausgestellt wird – die Bilder dicht an dicht bis unter die Decke – weshalb man die Methode auch Petersburger Hängung nennt. In Petersburg soll die schiere Menge den Betrachter beeindrucken, ähnlich kennen wir das aus dem Schloß Sanssouci in Potsdam. Ob man privat als Sammler solche Mengen hängt, ist eine Frage der persönlichen Vorliebe. In meinen privaten Räumen pflege ich Petersburger Hängung, weil es sich so ergeben hat. Da hängen meine Berliner Urgroßeltern neben Wredeschen kolorierten Linolschnitten und der Großvater neben einem Wredeschen Tusche-Tier, das mit aufgerissener Schnauze für einen Papageien zum Problembären wird, unweit einiger Kaltnadelradierungen von Rembrandt.

Was ich aber jüngst von Barbara Wrede erworben habe, hängt einzeln in meiner Werkstatt, und die Verwandlung, die das Werk nimmt, wenn es aus der Menge herausgehoben wird, hat mich erstaunt. Es tritt deutlich hervor, entfaltet ein Eigenleben und bebildert für mich nun einen Roman von Patricia Highsmith, die ich so verehre wie die Künstlerin Wrede. Ich habe zwei der Werke aus der Serie „Männer die sich ausziehen“ gekauft und umgetauft, es sind nun der talentierte Mr. Ripley einerseits und sein erstes Opfer, Dickie Greenleaf, auf dem Wege zum Strand in Italien. Mr. Ripley hat in allen fünf Romanen mehr als 15 Männer zum Tode befördert.

Der Zugang zu Wredes Bildern ist manchmal schwer zu finden. Aber das ist ein Merkmal von Luxus, sie brauchen eben etwas von unserer Zeit. Daß Bilder Geschichten erzählen, ist sicherlich eine Binsenweisheit, aber die Wredeschen Geschichten muß man sich selbst mit einigem Aufwand an Phantasie ausdenken, und so wachsen einem ihre Werke ans Herz, wenn man es nur einmal geöffnet hat. Den Blick, den Barbara Wrede über ihre Umgebung schweifen läßt, kann ich nur liebevoll zugeneigt nennen. Sie sieht Dinge, die uns gräßlich und grauenhaft sind. Sie sieht Einsamkeit, Raufereien, Schmerz, allerlei Elend, aber sie verwandelt unseren Blick. Ich habe selbst als Sozialarbeiter im Gefängnis in Moabit düstere Gestalten und Leid gesehen und bilde mir ein, daß Barbara Wrede wie ich damals diese Bilder nicht nur hinnimmt und als Anklage ans Schweinesystem wiedergibt, sondern Barbara Wrede mikroskopiert, und zwar so lange, bis sie auch im Finstern eine schöne Linie gefunden hat, die vielleicht wehtun kann, aber das alles erträglich machen und oft sogar anziehend, denn das Dunkle kann auch locken; es murmelt seine Geschichten, manchmal schreit es sie, es braucht ruhige Zuhörer, Entdecker, Menschenfreunde. Wredes Bilder sind, schaut man nur genauer hin, melancholisch und verträumt, und deswegen sind sie so schön, daß ich sie mir aufhänge.

Zu meinen beiden Ripley-Bildern bin ich über ein Foto gekommen, auf dem beide nebeneinander so abgebildet waren, wie sie heute bei mir hängen, also vereinzelt, nicht umgeben von anderen. Ich wußte nicht warum, aber sie haben mich nicht ruhen lassen, bis ich sie im Original gesehen habe und sie sofort einen so starken Wunsch nach Besitz weckten, wie ich ihn zuletzt in Kindertagen erlebte, als es um einen großen Sattelschlepper ging, den man mit in die Badewanne nehmen und als Arche verwenden konnte. Inzwischen weiß ich ich ja, welche Geschichte die beiden Bilder mir erzählen, endlich kann ich Mr. Ripley sehen, diesen ewigen Gewinner und Genießer und übrigens auch Kunstsammler. Meine Ansprüche sind heute also andere, meine Freude am Besitz währt aber auch deutlich länger und wächst sogar mit der Zeit. Immer wieder kommt es vor, daß ich vor den Bildern stehenbleibe, sie bewundere und mich freue, sie zu haben. Ende des Reden-Auszugs

Und dazu habe ich noch einen (in diesem Blog ohnehin stark repräsentierten weil zu den Hausgöttern zählenden) Goethe. Aus den “Wahlverwandtschaften”: Die Kunst an und für sich selbst ist edel; deshalb fürchtet sich der Künstler nicht vor dem Gemeinen. Ja, indem er es aufnimmt, ist es schon geadelt, und so sehen wir die größten Künstler mit Kühnheit ihr Majestätsrecht ausüben.

Was Kunst mit Bleisatz zu tun hat? Der Schriftsetzer wäre ohne Kunstgeschichte ein armer Wicht. Er hat ja sie täglich zwischen den Fingern; die Begriffe aus der Schriftklassifikation sagen es, wenn auch etwas steril: Renaissance, Klassizismus, für die neuen serifenlosen Schriften vom Ende des 19. Jahrhunderts könnte man auch Jugendstil und die Klassische Moderne als Begriffe ins Feld führen. All diese Schriften sind freilich einem kulturellen Kontext erwachsen, ihre Schöpfer waren Schriftkünstler, die in ihrer kulturellen Umwelt aufgingen, sie haben ihre Welt zeitgenössisch in der Letter gespiegelt. Ein Typograf wird eine Schrift nicht durchdacht zur Geltung bringen können, wenn er das kulturelle Gewebe ihrer Herkunft nicht zwischen den Fingern zu spüren vermag. Dazu gehört nicht nur die bildende Kunst, auch die Literatur. Aus heutiger Sicht steht ein Goethe der Antiqua, und zwar der klassizistischen, damals modernen Type viel näher als der Fraktur, in welcher seine Bücher auch gesetzt wurden. Das muß auch einer wissen, der vorwiegend Akzidenzen setzt. Denn wer nun auf einer Visitenkarte eine Englische Schreibschrift mit einer Garamond kombiniert und dieses giftige Gemisch auch noch in ein Format mit falschen Proportionen stellt, der wird spätestens an einem Kunden mit ein wenig Kunstverstand scheitern müssen. Um noch einmal mit Grand Old JWG zu sprechen: Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.

Gesetzmäßigkeiten der Bildaufteilung, der Proportionen und der Farbgebung sind ebenfalls Lehren, die aus der Bildenden Kunst zu ziehen sind. Bevor ich einst eine Serie konstruktivistischer Briefbogen entwarf, bin ich ins Berliner Bauhaus-Archiv gestapft und hab mich an den Farben Kandinskys gelabt.

Die bedeutendste Lehre ist aber die Freude am Entwurf, an der Bildgebung. Der sollte man auch nachspüren, wenn man ins Museum geht, egal ob alter Meister oder jüngere Kunst aufgesucht wird. Und wenn ein Typograf und Schriftsetzer selbst ein wenig kritzelt und dilettiert (letzte Abbildung) und dies als Erholung zur strengen Kunst der Schrift begreift, dann wird er Ermüdung im Schauen nicht so bald gewahren müssen.

Ab und zu zeichne ich also selbst. Manchmal sind es farbige Bilder (Buntstift oder Kreide), meistens aber zeichne ich mit dem, was mir gerade in die Finger kommt. Selten abstrakt, meistens figürlich. Ein Pferd zu zeichnen, eine maulende Katze, ein Schwein in Uniform, eine Eisenbahn, eine mehrsprachige Ratte, einen müden Hund, das entspannt. Ich verwende die Rückseite dann oft als Briefpapier, denn wenn ein Bild fertig ist, brauche ich es nicht mehr. Manchmal zeichne ich auch und verschenke ein Werk, einige haben es bis zu einem Rahmenbauer nach Oslo gebracht und hängen nun in einer Osloer Wohnung. Früher habe ich gelegentlich meine Texte illustriert, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und einige Magazine haben’s gern gedruckt. Heute geht’s mir um die Übung, der ich Spaß abgewinne, ich bin kein Künstler.

Barbara Wrede übrigens hat nicht nur eine Internetseite, sie hat auch noch eine weitere mit einem, soviel ich weiß, einmaligen Angebot: Vision By Call. Von diesen Visionen ließ ich schon drei “verwirklichen”.

— Martin Z. Schröder

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Wen grüßt Gott? · 14. November 2007

Betritt ein Schriftsetzer oder ein Buchdrucker oder ein Kenner eine Buchdruckerei (mit „Buchdruck“ ist das Verfahren, die Technologie gemeint, nicht ausschließlich das Drucken von Büchern), so spricht er: „Gott grüß die Kunst!“ darauf schallt es zurück: „Gott grüße sie!“ Und das „sie“ wird kleingeschrieben, denn damit ist ebenfalls die „Kunst“ gemeint, genauer: die Handwerkskunst. Anschließend wünscht man sich als Personen gegenseitig einen guten Tag und dergleichen.

Inwiefern das Handwerk eine Kunst ist? Ein andermal. Es gibt ein Büchlein aus der Schriftgießerei Klingspor mit Texten vom großen Schriftkünstler und Typografen Walter Tiemann, das zur Zeit beispielsweise im PBM bei Georg Kraus erhältlich ist (Dieser Link linkt nur, solange das Büchlein angeboten wird) und worin Tiemann die Begriffe Kunst, Genie, Talent auseinandernimmt und in Zusammenhang mit Religion und mit dem deutschen Wort “Begabung” stellt, ohne die keine Kunst sein könne. Die Handwerkskunst der Schriftsetzerei ist aber noch etwas ganz anderes. Weder ist sie Seiltanzen noch Haarkräuseln, sie wird vielleicht beschrieben mit dem, was Tiemann von Goethe zitiert: “Die Abgründe der Ahnung, ein sichtbares Anschauen der Gegenwart, mathematische Tiefe, physische Genauigkeit, Höhe der Vernunft, Schärfe des Verstandes, bewegliche, sehnsuchtsvolle Phantasie, liebevolle Freude am Sinnlichen – nichts kann entbehrt werden zum fruchtbaren Ergreifen des Augenblicks, wodurch ganz allein ein Kunstwerk, von welchem Gehalt es auch sei, entstehen kann.” Der Typograph Jan Tschichold hat die Typographie eine Schwester der Architektur genannt und zur dienenden Kunst erklärt. Und wenn Tiemann den Goethe nur um einen Satz ausgedehnter wiedergegeben hätte, würden wir sehen, daß Goethe seine Definition von Kunst auf die Wissenschaften übertragen sehen wollte. Und mit Tschichold wiederum, der die Typographie zur Wissenschaft erklärte (und berechenbarer machte), würde sich ein Kreis schließen.

Und das Foto? Schon wieder so ein hölzerner Geselle? Er hört auf die Namen Pinocchio, Burattino und Zäpfel Kern (oder auch nicht), stammt aus meinen frühen Jahren und macht sich unentbehrlich, wenn meine Kunden manchmal so junge Menschen mit sich führen, die man nicht ohne Gefahr frei herumlaufen lassen kann in einer Werkstatt. Der hölzerne Knabe hilft dann ein bißchen, die Zeit auch für Kleinkinder angenehm werden zu lassen.

Zurück zum Gruß: Die oben erwähnte Grußformel aus Rede und Gegenrede wurde früher geübt in der Buchdruckerei im ganzen deutschen Sprachraum. Ich wüßte gern mehr über diese Grußformel, weil ich nicht sicher bin, ob das, was ich geschrieben habe über Sinn von Rede und Gegenrede, mir erzählt wurde von älteren Kollegen oder ob es meine Interpretation ist. Kann jemand helfen?

— Martin Z. Schröder

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