Aktzeichnungen von Barbara Wrede
Von einer ganz anderen Handwerklichkeit als der des gewöhnlich so bezeichneten eigentlichen Handwerkers handelt die Kunst der Malerei und Zeichnung nach der Natur: sie überwindet die reine Funktion der Abbildung, fügt etwas handwerklich nicht erklärbares hinzu, das nicht zu kopieren, nicht technisch zu erfassen ist, das erst im Betrachter zu dessen eigenem Bild werden kann. Das auch durch Sprache nicht zu erfassen ist, das man nicht mit Worten denken kann. Der Anteil an handwerklichem Können nach Regeln und bildnerischen Gesetzen ist dabei durchaus hoch. Es kommt dabei weniger auf die Proportionen an, wie man sie modellhaft in Lehrbüchern findet, denn die Menschen sind als Naturerscheinung nicht auf einem Leisten geschustert worden, als auf die Perspektivität, die nicht allein durch die Darstellung von perspektivisch genauer Abbildung ensteht, also Standpunkt, Horizont, Flucht usw., sondern duch die Illusion von Genauigkeit und eine geistige Fülle, deren Darstellung nicht erklärbar sind. Je weniger das Kunstwerk im Detail ausführt, desto mehr Ergänzung und Interpretation ermöglicht es dem Betrachter nach dessen eigenen Phantasien, Erinnerungen, Wünschen, Ängsten und anderen inneren Bildern.
Als Barbara Wrede mir erzählte, daß sie in ihrem Fundus eine Mappe mit älteren, nicht ausgestellten und angebotenen Aktzeichnungen habe, wurde ich neugierig. Barbara ist eine ungewöhnlich vielseitige Künstlerin des Bildes, die ihr zeichnerisches Werk auch mit technischer Innovation vorantreibt. In Berlin waren kürzlich in der Schwartzschen Villa große Porträts von Barbara zu sehen, die wirkten, als solle in ihnen durch die technisch mit Eßpapier erzeugte schablonenhafte, reliefartige Maskenhaftigkeit Ausdruck und Bewegung gehemmt werden, und die trotzdem von Beredtsamkeit nur so strahlen. Die Frage liegt also nahe: Wie sehen die früheren Ansätze eines künstlerischen Werkes aus, das selbst bei angestrebter Enthaltsamkeit noch so viel Ausdruckskraft entfalten kann?
Als ich im Atelier mit der Sichtung begann, war ich binnen kurzem in Bann geschlagen von diesen Arbeiten. Wie leichthändig und unaufwendig (natürlich nur scheinbar) Barbara eine Stimmung abbilden kann, wie sie mit wenigen Linien Schönheit herstellt, wie sie eine intime Begegnung überträgt, wie sie einen Ablauf von Ereignissen in einem Einzelbild inszeniert, wie die gezeichneten Menschen miteinander kommunizieren, wie Barbara Wrede also aus einem Bild einen ganzen Romanauszug oder eine Filmszene imaginiert, wie offen, schutzlos, nahbar nicht nur der nackte Mensch, sondern auch noch der bekleidete oder der abgewandte, uns den Rücken zeigende Mensch werden, wenn Barbara sie zeichnet, das hat mich hingerissen.
Der Kunsthandel ist heute ein schwieriges Feld, weil es viele Künstler gibt und weil es viel Kapital gibt, das für einen merkwürdig spekulativen Markt sorgt und die markttechnisch nötige Verknappung zu schaffen sucht. Ein Künstler, der von einem Teil der am Markt beteiligten Menschen und Gesellschaften als ein Versprechen von Gewinn angesehen wird, kann keine »billigen« Arbeiten mehr erschaffen. Zu viele seiner Arbeiten werden dafür in privaten Depots aufbewahrt und als Anlage von Kapital angesehen, das nicht verfallen darf. Das heißt auch, sie werden als Bilder nicht mehr angesehen; es ist egal, was es ist, nur die Signatur des geldwerten Künstlers muß stimmen. Wie dieses Gewinnversprechen erzeugt wird, warum ein rostiges Geländer, ein Betonklumpen, eine schwarze Fläche, ein Gerümpel, ein Gekräusel, ein leerer Glanz auch heute noch als interessant angesehen werden und als Gegenwert für erheblichen finanziellen Aufwand, ist mir ein Rätsel. Ich laufe an manchen Galeriewochenenden in Berlin durch zehn, fünfzehn Galerien und sehe nichts, wofür ich jemals Geld ausgeben möchte, weiß aber, daß diese Galerien diese Werke verkaufen und sehe das internationale Publikum wie ein Georg-Grosz-Panoptikum in Pelzmänteln und mit Monokeln und Scheckbüchern bewaffnet durch diese Kaufhäuser stapfen und einkaufen. Es kommt nur ganz selten vor, daß ich sehr bedaure, wenn ein Künstler diesen Erfolg hat, weil ich sonst zu seinen Kunden gehören können würde.
Andererseits ist diese Kritik natürlich überzogen. Wer weiß schon, was ein Bild ist! Der Wert des Bildes besteht zu einem bedeutenden Teil darin, daß man es nicht beschreiben kann. Jedenfalls nicht so, daß es vermittelbar wäre.
Ich habe Bilder in Galerien und von Künstlern direkt gekauft, Malerei, Zeichnungen, natürlich auch Druckgrafik, auch moderne Arbeiten wie digital erzeugte Stickerei als Bild, auch Kleinplastik. Der Markt, auf dem Kunst um ihrer selbst willen gekauft wird, funktioniert durchaus. Man darf nur nicht glauben, daß die Werke, die man dort erwirbt, ihren Wert behalten oder er gar steigt. Ich habe schon Kunst gekauft oder mir ertauscht, als ich noch das Geld für Nahrungsmittel abzählen mußte. Denn das kleinste Kunstwerk, wenn es ein solches ist, ermöglicht echten Luxus: Kunst kann nicht verbraucht werden, sie hat keine praktische Funktion; eigentlich gehört zu diesem Luxus auch, daß ein Kunstwerk den Wert seines Kaufpreises verlieren kann, denn den hat es am Anfang, wenn es zum ersten Mal gekauft wird, nur deshalb, damit der Künstler essen kann, damit es den Künstler gibt, zu seinem Erhalt. Und dem des Galeristen, der den Künstler hegt und pflegt. Das Kunstwerk als Spekulationsgut, als geldwerte Masse, büßt etwas von seinem Luxuswesen ein. Der Luxus besteht nicht im Sparen, sondern im Ausgeben und im Verdunsten des Geldes.
Ich habe Barbara Wrede vorgeschlagen, die Aktbilder in meinem Online-Shop anzubieten. Der Preis ist so günstig, weil der Galeristenanteil entfällt. Mir ist dieses Angebot eine Freude, der Kaufpreis geht vollständig an die Künstlerin. Die kleinen Fotos sind freilich nicht das Werk, sondern ein leider nur schwaches Bild vom Bild. Wir werden auf Wunsch ermöglichen, die Bilder in Berlin original in Augenschein zu nehmen. Im Online-Shop von Letterpress.Berlin werden die Werke bis Mitte Januar angeboten.