Wolke sieben
In dem Dialog “Die malerische Malerei — Über Maßstäbe zur Betrachtung neuer gegenständlicher Kunst” in seinem Buch “Du sollst dir ein Bild machen” (Verlag zuKlampen, 2005) versucht sich Martin Mosebach in der Erklärung von Kriterien zur Bewertung neuer Kunst: vom Künstler angenommene Manier, unabsichtlich geformte Handschrift und Zeitstil. Zeitgenössische Kunst zu bewerten, scheint unmöglich zu sein, weil man den eigenen Zeitstil kaum versteht und es schwerfällt, das neue, das exotische vom exotistischen Werk, das nur so tut, als ob es Kunst sei, indem es manierlich den Zeitstil aufnimmt, zu unterscheiden.
Hilfreich ist es für den Kunstgenießer, den Künstler ein wenig zu kennen. Das gibt ihm zwar keine Garantie dafür, daß er Werke bewundert und ggf. kauft, die auch später noch als Kunstwerke von Rang anerkannt werden, wenn man die Zeit und ihre widerstrebenden Strömungen als eine Epoche anschauen kann, aber es gibt ihm ein Gefühl für die Redlichkeit des Künstlers.
Barbara Wrede arbeitet rücksichtlos gegen den Zeitstil, d.h. ohne ihn für die eigene Arbeit zu berücksichtigen. Sie nimmt keine Strömungen und Techniken auf, sondern sie erfindet selbst. Das scheint mir ein Hinweis zumindest auf Originalität zu sein. Aber vor allem ein Merkmal von Unabhängigkeit und der Freiheit von bewußt angenommener Manier.
Wenn ich Kunst so großartig finde, daß ich sie besitzen möchte, wenn sie mich angreift, mir etwas verspricht, mir gefällt, sind mir solcherlei Überlegungen schnurzpiepe. In der Druckerey hängen nun zwei neue Werke von Barbara Wrede. Sie sind aus der Serie “Wolke sieben” aus dem Jahr 2005, und ich werde diese beiden Bilder nicht
umbenennen. Am ersten Abend, als die beiden an der Wand Platz genommen hatten, war ich sehr unlustig, die Werkstatt zu verlassen. Es ist immer wieder verblüffend, wie sich Werke verändern, wenn sie an ihrem Platz hängen, befreit vom Reichtum des Künstler-Ateliers, gekrönt durch den Raum, den sie nun bekommen haben. Sie fangen an zu strahlen. Wenn ich im Atelier aussuche, freue ich mich schon
auf das Strahlen, denn ich kann die Stimmung nicht voraussehen. Im Atelier wirkten die beiden Bilder sehr anziehend auf mich, aber ein bißchen traurig. Das Traurige haben sie sofort abgelegt, als sie an der Wand hingen, sie wirken jetzt beruhigend. Ich habe sie in die Nähe der beiden eher beunruhigenden Bilder gehängt, die ich hier schon einmal besprochen habe. Und die ich auf nebenstehendem Foto noch einmal zeige.
Wenn ich am Schreibtisch sitze und mich zurücklehne, kann ich beide Paare sehen, die auf Wolke sieben und die finsteren. Auch wenn man von der Straße durch die Ladentür kommt und auf der Erhöhung der Eingangstreppe steht, kann man beide Paare finden. Es gibt jetzt eine Wolke sieben in der Druckerey.