Geschmacksfragen
Vielleicht ist den Lesern der Schriftsetzer Peter Schottenloër noch in Erinnerung. Ich habe diese Kunstfigur erfunden für einen Text über meine Tätigkeit als Lehrer (im Online-Shop der Werkstatt steht das anno 2009 bei SuKuLTuR erschienene kleine Werk an vorletzter Stelle). Der Mann muß nun erneut herhalten für ein Buch, an dem ich schreibe. Er wurde für ein Stilmagazin interviewt.
Für durchaus auch scharfe Kritik (je schärfer, umso genauer) an Herrn Schottenloërs Antworten wäre ich jetzt, da das Buch noch nicht gedruckt ist, besonders dankbar. Der Mann scheint die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.
Manche Passagen setzen schon Spezialwissen voraus, wie die Nennung der Schriften oder Begriffe wie »auf Mitte gestellt«. Im Buch werden solche Termini in Abschnitten behandelt, die diesem Gespräch vorhergehen.
»Herr Schottenloër, wenn Sie als Design-Guru eine private Visitenkarte entwerfen sollten, die in erster Linie vom guten Geschmack ihres Besitzers zeugen soll, wie würde sie aussehen?«
»In welchem Land?«
»Hier und heute.«
»Der Name aus gewöhnlicher Garamond 10 Punkt in Versalien oder 12 bis 14 Punkt gemischter Schreibweise, der Titel darunter in 8 Punkt gemischter Schreibweise in gerade oder kursiv oder in 6 Punkt Versalien, das hängt alles von den Längen und den Wörtern ab. Darunter im Fuß der Karte ein- oder, wenn es nötig ist, mehrzeilig, die Adresse in 8 Punkt gewöhnlicher Garamond. Alles auf Mitte gestellt, der obere Teil auf optische Mitte des Weißraums oberhalb der Fußzeile. Querformat; das Hochformat kann bei viel Text und kurzem Namen erwogen werden, weil im Hochformat eine größere Textmenge gefälliger unterzubringen ist. Querformatproportion 1 zu 2, Hochformat im Goldenen Schnitt, also etwa 5 zu 8. Schrift schwarz, Papier gebrochenes Weiß, matt.«
»So einfach ist das?«
»Nein. Es muß in den Details genau ausgearbeitet werden.«
»Aber Ihre wie aus der Pistole geschossene Antwort hinsichtlich Schrift, Farbe, Format hört sich an, als sei diese Karte gewissermaßen gesetzmäßig abzuleiten.«
»Wäre ich ein Design-Guru, wie Sie eingangs unterstellten, hätte ich Ihnen sicherlich longe et late einen Modequatsch aufgetischt. Aber auf eine so allgemeine Frage kann ich als entwerfender Handwerker nur mit einer Gestalt antworten, die jeder Geschmacksentgleisung in völliger Sicherheit ausweicht.«
»Woher nehmen Sie diese verblüffende Sicherheit?«
»Ich lasse mich vom guten Geschmack leiten, dem ich mich widerstandslos unterwerfe.«
»Was ist für Sie guter Geschmack?«
»Ein handwerkliches Erzeugnis guten Geschmacks erfüllt erstens optimal seine Funktion und zeichnet sich zweitens dadurch aus, daß es in einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Kultur in den besten Kreisen, in der besten Gesellschaft unauffällig ist.«
»Die beste Gesellschaft, die besten Kreise, ist das nicht etwas abgehoben? Paßt das in unsere Demokratie oder ist das elitär?«
»Wer Scheu davor hat, Eliten anzuerkennen, ist ständig auf seine schwankenden persönlichen Vorlieben angewiesen und muß damit rechnen, sich lächerlich zu machen oder peinlich zu wirken. Ich sprach ja von Unterwerfung der eigenen Vorlieben, von Zügelung und Disziplin, von der Unterdrückung modischer Ideen, die mir doch gar nicht fremd sind. Auch eine moderne Geschäftskarte kann geschmackvoll gemacht sein, nur kommen dafür andere Kriterien in Betracht wie die werbende Wirkung, die Besonderheit, das Auffällige und eben nicht das Persönliche.«
»Woran erkennen Sie die beste Gesellschaft?«
»Da ist man natürlich auf Vermutungen angewiesen, aber nicht vollkommen haltlos. Stellen Sie sich vor, ein hoher Repräsentant Ihres Staatswesens oder einer der führenden Denker Ihres Landes übergibt Ihnen seine Visitenkarte. Würde Sie es nicht überraschen, wenn Sie auf der Karte ein buntes Blümchen vorfänden oder gar eine Visitenkarte aus Sperrholz in die Hand bekämen, auf der die gefräste Telefonnummer nicht zu entziffern ist? Sie würden schon einem Rechtsanwalt mit so einer Karte keine Vollmacht erteilen, sofern er nicht als Genie auf seinem Gebiet bekannt ist.«
»Sie haben die Visitenkarte, nach der ich Sie fragte, sehr genau beschrieben. Wie wenden Sie Ihr Geschmackspostulat in Hinblick auf die Schrift an?«
»Kaum etwas verändert sich so wenig wie Gebrauchsschriften. Die unauffälligste Schrift ist jene, die seit vielen Jahrhunderten unvermindert verwendet wird, die Renaissance-Antiqua. Ob Sie nun eine Garamond oder eine Bembo oder eine Minion oder Arno verwenden, ist gleichgültig. Die Schrift darf nur nicht fett gesetzt werden, der fette Schnitt der Renaissance-Antiqua ist ein Unfall aus der Welt der Reklame und hat in jeglichen persönlichen Dokumenten keine Berechtigung. Ein fett gesetzter Name schreit gewissermaßen, und Lautstärke ist der Kunst vorbehalten. Außerhalb der Kunst ist sie ein Zeichen für Geschmacksmangel und Eitelkeit. Es ist übrigens eine alte Handwerksregel für Drucker im zwanzigsten Jahrhundert gewesen, Namen auf persönlichen Drucksachen niemals fett zu setzen. Solche gewissermaßen natürlich entstandenen Konventionen sichern das Schaffen von geschmackvollen Arbeiten.«
»Aber die hohe Qualität Ihrer Visitenkarte ist für den Laien gar nicht feststellbar, oder? Ist guter Geschmack in Ihrer Lesart nicht etwas langweilig?«
»Wenn der Laie seinen Geschmack im Privatfernsehen geschult hat, wird er vielleicht nach einer Goldkante suchen. Qualitätsbewußtsein erfordert Kennerschaft. Kennerschaft befähigt zum Genuß des Einfachen. Für den Kenner kann man in Details auch von der oben beschriebenen Gestalt der Karte abweichen. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Verwenden Sie eine klassizistische Type statt der Garamond oder Bembo, die altertümlich wirkt, obwohl sie viel jünger ist, können Sie damit einen Hinweis auf Ihre Vorliebe für alte Stiche geben oder für die Goethezeit oder die Wissenschaft. Mit einer Caslon zeigen Sie dem Kenner Ihren Hang zum Englischen. Oder eben einfach nur ein wenig private Abweichung von der Konvention, die aber immer noch sicher im Rahmen des guten Geschmacks liegt. Gefährlich werden stärkere Eigenheiten, beispielsweise in der Papierfarbe. Es ist noch nicht geschmacklos, einen zart hellblau getönten Karton zu verwenden, aber würde ein Regierungsmitglied das tun? Auch eine serifenlose Schrift des zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahrhunderts wäre als Zugeständnis an die eigenen Vorlieben falsch, ebenso übrigens eine Schreibschrift, abgesehen vielleicht von der Englischen Kanzleischrift, oder eine Fraktur. Guter Geschmack ist unpersönlich.«
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Japanisches Echt Bütten von der Maulbeerbaumrinde
Papier im Foto wirklichkeitsgetreu darzustellen, ist kaum möglich, weil seine feine Stofflichkeit beständig mit dem Licht spielt und Papiercharakter sich nur durch Berührung ganz erfassen läßt, sein Wesen sogar zu einem großen Teil aus dieser Dimension entsteht: in der Härte oder Weichheit seiner Oberfläche, seiner Glätte oder Struktur und seiner Temperatur, auch seinem Klang finden wir seine Qualität.
Ich habe im Wissen um den Mangel das Papier fotografiert, die Bilder sind etwas nachbelichtet, aber nicht im Filter farblich verändert worden. Weil nun aber jeder Bildschirm etwas andere Farben zeigt und jeder Mensch auch etwas anders sieht, sind diese Bilder nicht verbindlich, können es nicht sein.
Der Schatten zeigt die Richtung an, aus der die Karten beleuchtet wurden.
Um die Helligkeit des japanischen Bütten vergleichbar zu machen, habe ich andere Karten dazugelegt: links meine eigene, gedruckt auf Conqueror perlmutt, rechts die Karte »Richard Strauß« (mit ß weil in Fraktur) wurde auf Echt Bütten von Zerkall gedruckt, und die Karte der Eheleute Simenon darunter auf Gohrsmühle weiß. Ein ganz helles Weiß ist auf keinem der Fotos zu sehen, auch der Hintergrund ist etwas getönt.
Noch einmal dieselben Karten, etwas anders gelegt.
Auf diesem Foto ist erstens die unregelmäßige Wolkigkeit eines handgeschöpften Büttens zu sehen sowie zweitens der echte Büttenrand an allen vier Seiten, hier wurde nichts gerissen, jede Karte ist ein Einzelstück. Man sieht das an den Quetschstellen in den manchmal auch etwas schiefen Rändern.
Dieses Papier zeichnet sich nicht nur durch seine Wärme aus, durch eine angenehm feste und glatte Oberfläche, es ist auch sehr fest. Es zu zerreißen, bedarf es einiger Mühe. Die Fasern der Maulbeerbaumrinde sind vermutlich sehr lang und verschlungen und stabil, Bütten hat eben auch keine Laufrichtung der Fasern, die das Reißen in einer bestimmten Richtung erleichtern.
Als Druckfarben stehen Schwarz und Rot besonders gut auf diesem grünlichen Papier.
tags: echt bütten, japanbütten, japanpapier, maulbeerbaumbüttenKommentare [1]
Maulbeerbaumbütten aus Japan
Das Paket brauchte zwar nur eine Woche aus Japan nach Berlin, wurde dann aber von Post und Zoll zwei weitere Wochen durch die Gegend bugsiert, erst zur Zentralstelle des Zolls in Frankfurt zurück, dann mußte ich Papiere einreichen, und dann wurde es mir wieder zugestellt gegen eine ordentliche Gebühr. Aber nun ist es da, und ich bin froh.
Ich muß mal mit meinem alten Herrn sprechen, wieso er meint in seiner Funktion als »Vati« meine Pakete einer Beschau unterziehen zu dürfen. »Papier festgestellt«, das entspricht exakt der Inhaltserklärung. Sogar das beigefügte Haustier (siehe unten), das allerdings der Beschau entging, ist aus Papier.
Die japanische Verpackung – ist sie nicht nett anzuschauen?
Noch lieblicher ist nur dieses eine Überraschung enthaltende Päckchen, das ich beinahe übersehen hätte.
Ein Schimmel mit einer Mähne schwarz wie Ebenholz und einem Maule blau wie ein Sommerhimmel versteckte sich darin. Es schlief auf einer Filzmatte, lila wie ein Abendhimmel von Emil Nolde, und hatte den Zollverkehr gut überstanden.
Sein roter Sattel ist mit mir unbekannten Schriftzeichen beschrieben worden. Syou fuku steht dort, es bringt Glück, das Pferdchen im Jahr des Pferdes.
Auf jeder Sattelseite steht etwas anderes.
Und das Pferdchen spricht nicht. Es schaut nur. Es schaut uns an und folgt uns nach. Ein weiteres Haustier in der Werkstatt.