Aber nun steht sie seit Jahren still. Wird nur noch alle paar Monate der Pflege-Routine unterzogen, entstaubt, ein wenig geölt und gestreichelt.
Es wird Zeit, daß der Nußknacker einen neuen Rumpelkutscher findet.
Gebaut wurde diese Maschine um 1900 von der Maschinenfabrik »Emil Kahle« in Leipzig-Paunsdorf.
Ich habe sie in einem nicht verwendbaren Zustand aus einem Privatmuseum gekauft, woraus sie aus Platzmangel weichen mußte. Zu dritt hievten wir sie mit Mühe auf einem Transporter. In Berlin legten wir einen dicken Strick um die vor dem Haus Schonensche Straße 38 stehende Laterne und ließen das Fundament langsam auf einer Schräge aus Brettern ins Souterrain. Anno 2003 hatte ich diese Werkstatt erst bezogen.
Wir bekamen sie aber nicht aufgestellt. Die Maschine lag schwer auf dem Boden und ließ sich von uns dreien nicht aufrichten. Da rief ich eine Freundin an und bat sie, mir ihren Sohn mit ein paar von dessen Freunden zu leihen. Dieser Sohn war nämlich damals ein junger Polizist und Kampfsportler.
Er kam rasch mit seinen Freunden nach dem Fußballtrainig vorbei, und drei der überbreiten Herren stellten die Maschine spielerisch auf die Füße.
Anschließend mußten einige Teile neu gedreht werden. Damals noch ohne CNC-Fräsen. Und ich mußte erst einmal eine Zeichnung der Walzenspindeln und Laufräder anfertigen. Ein Schlosser nahm sich der Sache an. Und der Tischlermeister Horst Wrede aus Emmen baute die fehlende Ablage, deren Maße ich einem alten Buch über ähnliche Maschinen so ungefähr entnehmen konnte.
Ein zweiter Schlosser, damals noch auf einem Hof in der Kastanienallee, in der es heute nur noch ständig wechselnde Firlefanzgeschäfte gibt, baute mir die Befestigung für den Aufzug und eine Muffe zum Festhalten des Schwungrades.
Anschließend wurden die vier Walzen neu mit Gummi bezogen.
Und dann verdiente diese Maschine zusammen mit einem Handtiegel nicht nur meinen Lebensunterhalt, sondern auch das Geld für meinen ersten Heidelberger Tiegel. Der ihr dann die Arbeit abnahm. Im Jahr 2013 zog die Maschine mit mir nach Weißensee in die jetzige Werkstatt. Aber hier hatte sie kaum noch zu tun, obwohl sie, das ist einer ihrer Vorzüge, ein etwas größeres Druckformat als der Heidelberger hat und auch über das Format weit herausragende Materialen bedrucken kann. Nun ist es also an der Zeit für einen neuen Standort, und für 3500 Euro brutto kann die Maschine abgeholt werden.
]]>Das kam aus der Richtung der Riemenscheiben, auf denen der das Schwungrad treibende Keilriemen vom Motor angetrieben wird. Ich nahm die Verkleidung ab und fand darunter eine gebrochene Druckfeder und eine durchgefressene Riemenscheibe. Auf dem Foto (Vergrößerung nach Anklicken) sieht man den größeren Teil der Feder, die ich von der Welle gezottelt hatte, daneben die Abdeckung mit dem eingefrästen Schlitz. Wie lange dauert es, bis eine Stahlfeder eine Eisenplatte durchfräst? Sechs Jahre? Zwölf? Fünfzig? Dieser Heidelberger Tiegel ist nun 68 Jahre alt.
Über das graue Pulver, das sich in den letzten Jahren auf der Bodenplatte sammelte, hatte ich mich zwar gewundert, aber ich ahnte die Ursache nicht und wischte es nur weg. Ein gescheiterer Drucker als ich hätte schon eher mal unter die Verkleidung geschaut.
Ich hatte das Glück, daß der Maschinenexperte Herbert Wrede in Bremen, dem ich die beiden Geräte verdanke, noch die beiden Ersatzteile hatte: die gebrochene Feder und die durchgefressene Scheibe. Dazu schickte er mir noch ein Werkzeug, um die Abdeckung wieder präzise aufzuschrauben. Aber wie bekomme ich die Scheibe auf die Stahlfeder? Drücken und schrauben, sagte der Kollege. Und ein zweiter Mann hält an der Riemenscheibe die Welle fest.
Allerdings ist das Gewinde, mit dem die Scheibe auf die Welle geschraubt wird, sehr fein. Und wenn man eine Stahlfeder zusammendrückt, hat man wenig Gefühl übrig dafür, das Gewinde exakt aufzusetzen. Also überlegte ich, wie ich die Feder komprimiert auf die Spindel bekomme. An die ersten Versuche ging ich durchaus mit Respekt. Eine dreißig Zentimeter lange Stahldruckfeder kann Waffe werden. Und trotzdem traf sie mich im Daumenballen. Mit Pflaster und Handschuhen ging es weiter. Die Kabelbinder rutschten ständig weg. Dann gelang es mir, die Feder mit Spanngurten zusammenzudrücken. Erst mit vier Stück, dann blieben zwei übrig. Aber die Feder hatte kaum Spiel auf der Spindel der Riemenscheibe, auch mit zwei Gurten paßte die Feder nicht auf die Spindel.
Ich korrespondierte und telefonierte mit insgesamt fünf Kollegen. Ich befragte die Facebookgruppe »Heidelberger Tiegel«. Mir wurden Werkzeuge empfohlen und Techniken, aber nichts davon war brauchbar. Diese Feder bricht so selten, daß niemand mir aus eigener Erfahrung raten konnte. Ich rief einen Schlosser an, der wollte am nächsten Morgen kommen. An diesem Morgen noch im Bett meinte ich deutlicher als bisher zu spüren, etwas übersehen zu haben.
Dann stand ich vor der Maschine, und auf einmal fiel der Groschen: Statt die Feder im ganzen Stück zusammenzupressen, müßte ich ihr mehr Raum schaffen. Mehr Raum schaffte ich, wenn ich den Keilriemen, der die Riemenscheiben auseinanderdrückt, herunternehme. Dadurch gibt die Spindel der Riemenscheibe ein Stück der Welle frei, und das müßte genügen, eine zur Hälfte kompirimierte Feder aufzusetzen und die Abdeckung ohne Federdruck aufzuschrauben. Ich sagte dem freundlichen Schlosser Dudek senior (sein Betrieb in Weißensee hatte mir schon Teile für die Sanierung von Bostontiegeln gefräst und Druckfedern zugeschnitten) seinen Besuch ab und machte mich ans Werk.
Es ging flott. Nach einer halben Stunde war alles erledigt. Die Feder habe ich erst mit Spanngurten gepreßt, dann Kabelbinder eingesetzt und die Gurte entfernt. Mit einer Hand konnte ich die Scheibe aufschrauben, mit einem Gummihammer und einem Greifer einhändig genau so festziehen, daß die Sicherungsschraube sich einsetzen ließ, mit der anderen Hand eine der Riemenscheiben und damit die Welle festhalten.
Zum Schluß, nach einem Probelauf, wurden die Kabelbinder abgeschnitten und die Abdeckung aufgesetzt. Beim Anlaufen ist die Maschine jetzt viel leiser als früher. Das schleifende Geräusch der gebrochenen Feder hatte mich seit Jahren begleitet, ohne daß ich es erkannt hatte. Jeder Tiegel hört sich ohnehin etwas anders an. Jetzt läuft die Maschine ruhiger an. Nun war ich erstens froh, daß mein Tiegel wieder läuft. Zweitens war ich stolz auf meine Denkleistung. Ich bin kein Maschinenbauer. Ich bin ein sicherlich ein brauchbarer Schriftsetzer und auch Drucker, aber in Motoren und Getriebe glotze ich wie ein Esel. Deshalb freute ich mich, die Lösung nun alleine gefunden zu haben. Und drittens erwies sich die Lösung als so simpel, daß ich mich schämte, eine Woche dafür gebraucht zu haben.
Die Freude aber war so groß, wie ich sie als Folge einer Denkleistung nicht kannte. Das brauchte mich wieder ins Grübeln. Wie wichtig ist eigentlich das konstruktive Denken? Warum gibt es außer ein bißchen Physik und Elektronik keinen Schulunterricht in Konstruktion? Denn an diesem Denkvorgang fand ich interessant, daß die Weiterung des Feldes die Lösung brachte. Ich verstand endlich einmal konkret, was es bedeutet, an einem System zu arbeiten, weil dieser Vorgang so eindrücklich war: erst die Lösung nicht sehen, dann ihre Einfachheit erkennen. Ich hatte erst tagelang nur die Feder und die Spindel angestarrt und versucht, die Lösung dort zu finden. Als ich den Horizont vergrößerte und schaute, was hinter der Spindel ist, fiel mir die Lösung gleich auf. Alles greift ineinander, schon beim Drucken hat man ja diverse Einstellungen vorzunehmen: Anblasen des Papierstapels, Transport des Stapels, wenn oben Bogen weggenommen werden, Kippung der Ansaugstutzen, Einstellungen der Paßmarken, Geschwindigkeit, die den Farbauftrag und das Auftreffen des Bogens auf den Marken beeinflußt, Einstellen der Farbkonsistenz und -menge, Bestäubung, Druckregulierung, Zurichtung. Wenn nur eines nicht stimmt, wird das Produkt weniger gut.
]]>Es dauert ein Weilchen, bis ich diese schönen Oldtimer gereinigt und fotografiert habe, aber die ersten sind nun hier und ausführlicher im Online-Shop bei der Visitenkartenetuis zu sehen.
Die meisten wurden in Birmingham hergestellt.
So alte Etuis wie dieses eine aus geflochtenem Silberdraht haben oft keine Punzen, von denen man den Hersteller ablesen kann.
Anno 2009 hatte einer meiner Schüler den Wunsch geäußert, eine Maschinenpistole zu bauen. Ich habe das damals hier im Druckerey-Blog nur kurz erwähnt, nicht aber die Hintergründe dazu. Ich wollte sie schon immer mal notieren.
Der Knabe damals, also vor acht Jahren, hatte seinen ersten Tag in unserer Arbeitsgemeinschaft, für die ich einmal pro Woche sechs Kinder aus einer Grundschule in meine Werkstatt holte. Das Kind war mir von professioneller Seite überlassen worden mit dem knappen Hinweis, es sei »schwierig«.
Nun habe ich zwar selbst einmal in das Mysterium der Erziehungskunde ein wenig hineinstudiert, mit Diplom und staatlicher Anerkennung gar, vor allem aber Romane gelesen, in denen Figuren wie Betsey Trotwood vorkommen (Sie kennen vielleicht »David Copperfield« von Charles Dickens?). Oder der Graf von Monte Christo (Dumas). Um nur zwei Klassiker zu erwähnen, in denen sich eine ältere Dame und ein Krieger in den besten Jahren um etwas bemühen, das »schwierige« Kinder gern öfter fänden: Gerechtigkeit und Verständnis. Ich finde Hinweise und Warnungen wie »schwieriges Kind« wenig nützlich und habe aus solchen Romanen gelernt, daß der Mensch zuerst das naheliegende tun sollte, bevor er sich um die Etiketten der Pädagogie kümmert.
Wenn Kinder mit dem Stigma »schwierig« weitergereicht werden, hat das doch Folgen? Selbst wenn man sich fest vornimmt, jede Begegnung vorurteilsfrei zu beginnen, so setzt ein solcher Hinweis Schranken ins Unterbewußte, die man sich erst bewußt machen muß, um sie mühsam wieder hochzuziehen. Und wieviel mag man sogar unbewußt am Stigma mitwirken, weil man sich nicht unmittelbar gegen alle Vorurteile gänzlich wehren kann?
Als ich das Kind dann sah, dazu das blöde Etikett »schwierig« vor dem inneren Auge, öffnete sich mir gewissermaßen ein Begleitbüchlein zum Pädagogenhinweis: schüchtern, schweigsam, ein ganz klein wenig pummelig, etwas steif und ungelenk, Trotz im Blick – das ist einfach kein Wunschbild für bestimmte Erzieher. Auf dem Weg in die Werkstatt kamen wir noch nicht ins Gespräch. In der Werkstatt dann wurde wie immer als erstes verabredet, was jeder machen möchte. – Ich hatte eine Art Wunderkind in der Gruppe, das beharrlich ein Buch mit eigenen Gedichten füllte. Andere langweilten sich erst eine Viertelstunde und hatten dann Ideen, oft sehr gute. (Langeweile wird heute leider nicht mehr geschätzt – als Startphase, als Bedingung, sich selbst zu bewegen. Die Köpfe sind voll mit vorgekauten Gedanken.) Wieder andere Kinder brachten einen Plan mit oder sprudelten sowieso vor Einfällen. Es gab auch Tage, da brachte einer mal gar nichts selbst zustande, sondern schaute nur zu, vielleicht aus Ermattung. Ich fand das vernünftig. Wir hatten keinen Produktionsplan. Und man lernt auch beim Zuschauen. Nach einigen Wochen brauchte ich nur noch ungefähre technische Anleitungen zu geben, die Kinder kamen gut für einige Zeit allein zurecht.
Das »schwierige« Kind, das zum ersten Mal bei mir war, eröffnete mir nun zum Beginn, es wolle eine Maschinenpistole bauen.
So etwas ist für einen pädagogischen Skeptiker wie mich eine Steilvorlage. Der Knabe konnte nicht wissen, daß ich bereits Erfahrungen als Sozialarbeiter im Jugend- und im Männergefängnis gemacht hatte. Daß ich die langen sozialen Karrieren auf schiefen Bahnen ein wenig kannte, die man damals machen konnte. Ich hatte vor allem gelernt, wie meine Klienten meine Sprache sprechen lernten, weil Sozialarbeiter die Sprache ihrer Klienten oft nicht verstehen. (Verehrte Leser, Sie müßten einmal hören, wie clevere delinquente Jugendliche mit phantasielosen Sozialarbeitern reden und deren Fachsprache beherrschen und mit Empathie ermitteln, was man von ihnen hören will! Bilderbuchdialoge!)
Dieser Knabe wußte längst, wie man Pädagogiker auf den Topf setzt. So weit hatten sie ihn gebracht. Wenn ein Kind auf diese Weise zu provozieren meint, erprobt es den Erwachsenen, und zwar auf dessen eigener Bühne. Die anderen Kinder sehen sehr gut, was da vor sich geht. Sie alle haben auch gewisse Erwartungen und beziehen selbst eine Position. Das sogenannte schwierige Kind rechnet nun gewohnheitsmäßig mit einer Eskalation. Es erwartet, daß sein Vorschlag abgelehnt wird, und es wäre nicht verblüfft, wenn man sich darüber lustig macht oder es streng rügt und ihm das erklärt, was es ja schon weiß, also diesenfalls, daß man sich ja in einer Druckerei befinde und nicht in einer Waffenfabrik. Wobei das schon eine humorvolle Variante wäre.
Die Provokation war eine doppelte. Erstens eine Verweigerung des vorgegebenen Themas, zweitens ein Tabubruch. Viele Pädagogen reagieren allergisch, wenn sie mit Kriegsspielzeug in Berührung kommen. Nicht nur sie. Energische Pazifisten gibt es überall. Ich habe einmal als Gast in einer Familie erlebt, wie eine Mutter und ihr etwa fünfjähriges Kind in Hysterie ausbrachen, weil das Kind, dem alle Waffen verboten waren, mit einem Matchbox-Auto »schoß«, also es wie eine Pistole hielt und mit dem Mund Schußgeräusche imitierte. Worauf die Mutter auf ihren Sohn stürzte und ihm mit starker Hand das Auto entwand, was ihn in Tränen und Gebrüll ausbrechen ließ, nun ihn seine Mutter auf ihren Schoß zerrte und ihm im Klammergriff einen pazifistischen Vortrag hielt, in dem sie das Kind gewissermaßen für den Weltfrieden zuständig erklärte. Die Dame war keine Pädagogin, aber sie war ideologisch so stark beeinträchtigt, daß sie das Wohl ihres Kindes aus den Augen verloren hatte, und so auch ihr eigenes.
Kinder sammeln ihre Erfahrungen mit solchen Tabus. Sie dürfen zum Beispiel Spielwaffen nicht mit in den Kindergarten nehmen, weil es sich um »Kriegsspielzeug« handelt. So paradox kurzsichtig ist pädagogische Logik. Ich bin in einem Staat aufgewachsen, der seine Kinder militärisch geschult hat. Plastikpanzer und Soldatenfiguren in jedem Kindergarten. Soldatenkinderlieder, die mir heute noch in Erinnerung sind. Militärische Formationsbildung auf dem Schulhof ab der ersten Klasse in Form sogenannter Fahnenappelle, Kinder in Uniformen oder uniformen Accessoires (erst Halstücher der Pioniere, später Hemden der Jugendorganisation), vormilitärische Ausbildung für Jungen ab der neunten Klasse – und als Lehrling, mit sechzehn, in Kampfuniform. Und dieses Volk, mit seiner Armee, mit kasernierter Polizei und berüchtigtem Geheimdienst, hat nicht einmal bei seinem Staatsstreich einen Schuß abgegeben. So funktioniert Erziehung nämlich nicht, auch wenn Ideologen das von der Pädagogik immer erwarten und verlangen, ganz gleich in welche Richtung.
Nun also das Kind in meiner Werkstatt mit dem Wunsch nach einem in der zivilisierten Welt geächteten Gerät: Ich möchte eine Maschinenpistole bauen. So ein Kind strahlt dabei nicht. Es weiß, wenn es momentan nicht »funktioniert«. Sein Körper spricht mit. Es läßt den Kopf hängen, guckt schief, sitzt krumm, wirkt verloren. Und es ist dann ganz herzwärmend, wenn man den Wunsch ernstnimmt, keine Witze macht, keine Miene zieht, sondern einen Plan zur Umsetzung dieses Wunsches überlegt und sieht, wie das Kind sich langsam aufrichtet. Wellpappe, Stift, Cutter, komm, wir bauen das Ding. Das verblüffte Kind denkt anfangs, man werde jeden Moment abbrechen und wieder in den Weltenlauf einrasten, und es rechnet lange damit und wird sich erst ganz besinnen können, wenn der Tag vorbei ist, ohne daß die Erwartungen erfüllt wurden.
Der Junge kam zu seiner Waffe, und ich für ihn zu einem Ruf als umgänglicher Typ. Leider war das gegen Ende des Schuljahres und war er nur kurz auf der Schule und kam nur ein paarmal und setzte und druckte dann auch. Vielleicht eher mir zu Gefallen, als daß er in der kurzen Zeit Freude daran fand, genau habe ich das nicht erkennen können.
Spielzeugwaffen faszinieren, wenn ein Kind einen Sinn dafür entwickelt hat. Sie dienen auf den ersten Blick zur Abkürzung von Auseinandersetzungen und verleihen dem Benutzer Macht. Aber nur, wenn man sich auf die Folgen geeinigt hat. »Du kannst jetzt nicht wieder aufstehen, du bist tot!« – »So’n Blödsinn, das war ’n Streifschuß, du bist selber tot.« Man muß übereinkommen, wenn man damit spielen will. Auf den zweiten Blick braucht man also für dieses Spiel mehr Kommunikationsgeschick als für andere, etwa Spiele aus dem Karton mit den gedruckten Regeln auf der Verpackung oder Ballspiele, wo Verläufe nicht so grundsätzlich diskutiert werden müssen.
In den Rollenspielen, die man als Kind durchlebt, waren mir Matchbox und Pistolen die liebsten Geräte. Wahrscheinlich, weil Spiele damit die stärksten Verwandlungen erlauben, sowohl als Autofahrer (dort sind Polizisten und Feuerwehrleute beliebt, also Leute, die mit Autorität rettend eingreifen und Ordnung schaffen) als auch als Waffenträger (in diesem Rollenspiel ist ebenfalls die Polizistenrolle gefragt, vielleicht weil das Gesetz am Ende immer siegt – Kinder sind konservativ). Umberto Eco (ebenfalls kein Pädagoge) faßt es in seinem »Brief an meinen dreijährigen Sohn« so zusammen: »Stefano, mein Sohn, ich werde dir Gewehre schenken. Denn ein Gewehr ist kein Spiel. Es ist ein Anstoß zu einem Spiel. Mit ihm mußt du eine Situation erfinden, ein Beziehungsgeflecht, eine Dialektik von Ereignissen. Du machst Peng mit dem Mund und entdeckst, daß dein Spiel soviel taugt, wie du selber hineinlegst und nicht schon vorfabriziert darin findest. Du stellst dir vor, daß du Feinde vernichtest und befriedigst damit einen Urtrieb, den keine Zivilisation dir je austreiben wird (außer sie macht dich zum Neurotiker, reif für betriebliche Eignungstests à la Rorschach). Aber bald geht dir auf, daß dein Feindevernichten eine Spielkonvention ist, ein Spiel unter anderen Spielen, und so lernst du es als ein wirklichkeitsfernes Treiben erkennen, dessen Grenzen dir beim Spielen durchaus bewußt sind. Du reagierst deine Wut und deine Komplexe ab und wirst frei für andere Botschaften, die weder Tod noch Zerstörung betreffen, ja es wird wichtig sein, daß dir Tod und Zerstörung für immer als Phantasiegebilde erscheinen, wie Rotkäppchens böser Wolf, den wir alle als Kinder gehaßt haben, ohne deshalb einen irrationalen Haß auf Wolfshunde zu entwickeln.«
Ich bin gespannt, wie »schwierig« die Kleinen sind, die mit dem Lesen und Schreiben nicht so zurande kommen, wie man sich das wünscht. Und auf welche Umwege ich geführt werde, um dann am Setzkasten und beim Alphabet zu landen, diesem phantastischen Code aus 26 Zeichen, der es uns erlaubt, Ideen aufzuschreiben und Geschichten zu erzählen.
PS: Schöne Weihnachten!
]]>Als Barbara Wrede mir erzählte, daß sie in ihrem Fundus eine Mappe mit älteren, nicht ausgestellten und angebotenen Aktzeichnungen habe, wurde ich neugierig. Barbara ist eine ungewöhnlich vielseitige Künstlerin des Bildes, die ihr zeichnerisches Werk auch mit technischer Innovation vorantreibt. In Berlin waren kürzlich in der Schwartzschen Villa große Porträts von Barbara zu sehen, die wirkten, als solle in ihnen durch die technisch mit Eßpapier erzeugte schablonenhafte, reliefartige Maskenhaftigkeit Ausdruck und Bewegung gehemmt werden, und die trotzdem von Beredtsamkeit nur so strahlen. Die Frage liegt also nahe: Wie sehen die früheren Ansätze eines künstlerischen Werkes aus, das selbst bei angestrebter Enthaltsamkeit noch so viel Ausdruckskraft entfalten kann?
Als ich im Atelier mit der Sichtung begann, war ich binnen kurzem in Bann geschlagen von diesen Arbeiten. Wie leichthändig und unaufwendig (natürlich nur scheinbar) Barbara eine Stimmung abbilden kann, wie sie mit wenigen Linien Schönheit herstellt, wie sie eine intime Begegnung überträgt, wie sie einen Ablauf von Ereignissen in einem Einzelbild inszeniert, wie die gezeichneten Menschen miteinander kommunizieren, wie Barbara Wrede also aus einem Bild einen ganzen Romanauszug oder eine Filmszene imaginiert, wie offen, schutzlos, nahbar nicht nur der nackte Mensch, sondern auch noch der bekleidete oder der abgewandte, uns den Rücken zeigende Mensch werden, wenn Barbara sie zeichnet, das hat mich hingerissen.
Der Kunsthandel ist heute ein schwieriges Feld, weil es viele Künstler gibt und weil es viel Kapital gibt, das für einen merkwürdig spekulativen Markt sorgt und die markttechnisch nötige Verknappung zu schaffen sucht. Ein Künstler, der von einem Teil der am Markt beteiligten Menschen und Gesellschaften als ein Versprechen von Gewinn angesehen wird, kann keine »billigen« Arbeiten mehr erschaffen. Zu viele seiner Arbeiten werden dafür in privaten Depots aufbewahrt und als Anlage von Kapital angesehen, das nicht verfallen darf. Das heißt auch, sie werden als Bilder nicht mehr angesehen; es ist egal, was es ist, nur die Signatur des geldwerten Künstlers muß stimmen. Wie dieses Gewinnversprechen erzeugt wird, warum ein rostiges Geländer, ein Betonklumpen, eine schwarze Fläche, ein Gerümpel, ein Gekräusel, ein leerer Glanz auch heute noch als interessant angesehen werden und als Gegenwert für erheblichen finanziellen Aufwand, ist mir ein Rätsel. Ich laufe an manchen Galeriewochenenden in Berlin durch zehn, fünfzehn Galerien und sehe nichts, wofür ich jemals Geld ausgeben möchte, weiß aber, daß diese Galerien diese Werke verkaufen und sehe das internationale Publikum wie ein Georg-Grosz-Panoptikum in Pelzmänteln und mit Monokeln und Scheckbüchern bewaffnet durch diese Kaufhäuser stapfen und einkaufen. Es kommt nur ganz selten vor, daß ich sehr bedaure, wenn ein Künstler diesen Erfolg hat, weil ich sonst zu seinen Kunden gehören können würde.
Andererseits ist diese Kritik natürlich überzogen. Wer weiß schon, was ein Bild ist! Der Wert des Bildes besteht zu einem bedeutenden Teil darin, daß man es nicht beschreiben kann. Jedenfalls nicht so, daß es vermittelbar wäre.
Ich habe Bilder in Galerien und von Künstlern direkt gekauft, Malerei, Zeichnungen, natürlich auch Druckgrafik, auch moderne Arbeiten wie digital erzeugte Stickerei als Bild, auch Kleinplastik. Der Markt, auf dem Kunst um ihrer selbst willen gekauft wird, funktioniert durchaus. Man darf nur nicht glauben, daß die Werke, die man dort erwirbt, ihren Wert behalten oder er gar steigt. Ich habe schon Kunst gekauft oder mir ertauscht, als ich noch das Geld für Nahrungsmittel abzählen mußte. Denn das kleinste Kunstwerk, wenn es ein solches ist, ermöglicht echten Luxus: Kunst kann nicht verbraucht werden, sie hat keine praktische Funktion; eigentlich gehört zu diesem Luxus auch, daß ein Kunstwerk den Wert seines Kaufpreises verlieren kann, denn den hat es am Anfang, wenn es zum ersten Mal gekauft wird, nur deshalb, damit der Künstler essen kann, damit es den Künstler gibt, zu seinem Erhalt. Und dem des Galeristen, der den Künstler hegt und pflegt. Das Kunstwerk als Spekulationsgut, als geldwerte Masse, büßt etwas von seinem Luxuswesen ein. Der Luxus besteht nicht im Sparen, sondern im Ausgeben und im Verdunsten des Geldes.
Ich habe Barbara Wrede vorgeschlagen, die Aktbilder in meinem Online-Shop anzubieten. Der Preis ist so günstig, weil der Galeristenanteil entfällt. Mir ist dieses Angebot eine Freude, der Kaufpreis geht vollständig an die Künstlerin. Die kleinen Fotos sind freilich nicht das Werk, sondern ein leider nur schwaches Bild vom Bild. Wir werden auf Wunsch ermöglichen, die Bilder in Berlin original in Augenschein zu nehmen. Im Online-Shop von Letterpress.Berlin werden die Werke bis Mitte Januar angeboten.
]]>Das Aufräumen überläßt man noch meistens dem Alten, und wenn der so einen Platz am Fuße seiner Heidelberger Tiegel sieht, dann ist er gerührt und räumt auch gern wieder auf.
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