Viele Schriften auf einer Seite · 24. Mai 2010
Es sind zwar nur zwei halbe Texte, das ist keine Doppelseite, sondern ein Druckbogen mit den Seiten 26 (links) und 7 (rechts), aber so große Textpassagen kann ich nicht scharf zeigen. Zum dunklen Rötlichblau kommt im nächsten Druckgang noch Orange. Aber über einige Details darf ich schon plaudern, zumal sie nichts mit dem Textinhalt zu tun haben, sondern mit seiner Form.
Apropos Form, dies hier ist die Druckform im Schließrahmen. Das Buch wird komplett vom Bleisatz gedruckt, Klischees kommen nicht zur Anwendung. Ausschließlich Handsatzqualität. Damit läßt sich einiges anrichten. Neulich las ich (Dank nach Hamburg für den Tip!) ein Interview mit Kurt Weidemann in den Heidelberg Nachrichten (Ausgabe 269, Seite 48ff., online hier)
Darin sagt er, es wäre ihm “am liebsten, wenn wieder der manuelle Bleisatz gemacht würde, weil ich jeden Buchstaben einzeln aus dem Setzkasten holen muss, also zur Gründlichkeit gezwungen bin. Ich habe das Produkt in die Hand genommen und in den Winkelhaken hineingestellt. Ich habe die Zeile spiegelbildlich über Kopf gesehen, die Zeile überflogen, ausgeglichen und mich dann an die nächste Zeile gemacht. In dem Moment, wo ich die Buchstaben spiegelbildlich über Kopf sehe, lerne ich, Formen zu unterscheiden und Qualitäten zu erkennen.” Übrigens erklärt das auch die Fotos vom Bleisatz in diesem Blog, die ich so zeige, wie ich den Satz sehe, also kopfgestellt, damit man von links nach rechts lesen kann.
Weidemann sagt, finde ich, vieles schön und richtig, aber manchmal übertreibt er. Auf die Frage nach typografischen Innovationen antwortet Weidemann: “Für die Typografie sehe ich nur einen geringen Innovationsspielraum, einen äußerst geringen. Da kann man nur etwas fortsetzen, was in 450 Jahren gewachsen ist. Wir brauchen kein einziges neues Alphabet mehr, und ich kenne gute Typografen, die ihr Leben lang mit drei Schriften ausgekommen sind. Heute gibt es 30 000 Schriften auf dem Markt. Davon sind 29 984 überflüssig. Die kann man im Stillen Ozean versenken, ohne einen kulturellen Flurschaden anzurichten. Da geht nichts Wertvolles kaputt.” Sechzehn Schriften will er uns noch gönnen, wobei der einzelne Typograf sich mit einer Handvoll bescheiden soll. Möglicherweise übertreibt er aus pädagogischen Gründen, aber mir ist die Wahrheit lieber als die Erziehung. Der Fundus an Meisterschriften ist seit Jahrhunderten größer als das, was Weidemann uns läßt; und ein Typograf, der mit drei Schriften auskommt, also nicht einmal zwischen zwei Schriften gleichen Stils wählen darf, welche Schriftart hat der denn über Bord geworfen? Renaissance-Antiqua, Übergangs-Antiqua, Klassizistische, Serifenlose, Gotische, Rundgotische, Schwabacher, Fraktur? Von Schreib- und Schmuckschriften nicht zu reden.
So, jetzt ein bißchen Schlamm und Schmutz, denn ich bin kein Bibeltypograf, der sein Lebtag mit drei Schriften auskommen kann. (Es ist ein Andruck auf dem Foto, deshalb so unsauber.) Im Bilde hier die halbfette Fundamental kursiv (Gießerei Ludwig Wagner, Leipzig, Erstguß 1939, Entwurf Arno Drescher), die Bigband (Entwurf Karlgeorg Hoefer, Gießerei Ludwig & Mayer, Frankfurt am Main, Erstguß 1974) und die halbfette Block-Signal (Entwurf Walter Wege für die H. Berthold AG, Erstguß Berlin 1932). Auf der Doppelseite im Buch tummeln sich dann außerdem noch die schmalhalbfette Futura und die kursive Garamond und als Grundschrift die magere Maxima (Gießerei Typoart, Entwurf von Gert Wunderlich, 1960er Jahre, Erstguß 1970?, stimmt das?).
Aber die Doppelseite wird trotzdem anständig aussehen, auch wenn sechs Schriften auf ihr beisammen sind. Hier zwei davon, die Futura unten und die Garamond oben. Zweitfarbe fehlt noch. Es handelt sich um ein Platten-Cover, also gewissermaßen um ein typografisches Zitat im Text.
Hier zeige ich die Satzform; die Garamond mußte um den Kreis, der auf einen eckigen Kegel gegossen ist, herumgebaut werden. War aber keine große Sache.
Die Garamond hat eine ft-Ligatur. Ich habe vergessen, sie zu fotografieren. In der Ligatur ist das t nach oben gezogen, um in den Kopf des f überzugehen. Jan Tschichold hat diese Vergewaltigung des t scharf kritisiert. Ich hatte es erst gesetzt, aber als ich dann die ersten Andrucke sah, habe ich diese Ligatur doch wieder aufgelöst. Wenn man es einmal mit Tschicholds Augen gesehen hat, kann man das ft kaum noch verwenden. Vielleicht in einer kleinen Schrift auf einer Akzidenz, aber für Buchkunst ist die Ligatur zu häßlich. Möglicherweise wollte Thannhaeuser sie gar nicht zeichnen (Erstguß 1955), und die Genossen von Typoart haben ihn überredet.
Die fi-Ligatur ist ja sehr schön.
Auch die ff-Ligatur kann sich sehen lassen.
In der Schriftgießerei hat man so einiges ausgeheckt. Zum Beispiel für die Maxima. Hier kam man auf die Idee, an Ruf- und Fragezeichen, ans Kolon und Semikolon das Spatium, das der Setzer von Hand vor das Zeichen setzt, gleich anzugießen, um dem Setzer einen Handgriff zu ersparen. Der arme Setzer hat aber nicht nur aus der Maxima zu setzen (außer er arbeitet für einen Typografen wie den Bekannten Weidemanns), und so muß er für einen gewohnten Handgriff (Punkt-Spatium vor !?;: und Guillemets in Brotschriftgraden) plötzlich darüber nachdenken, in welchem Kasten er die Finger hat.
Der Satz: an die Ausrufezeichen muß kein Spatium mehr gelegt werden.
Um den Freunden der Werke Max Goldts den Mund wässrig zu machen auf dieses Buch, verrate ich die Überschriften der beiden Texte. Der erste heißt Chcocklers Flops, der zweite Die Elfjährige, die in der Achterbahn ein Kind ohne Knochen gebar. Bestellen kann man das Buch noch nicht, es ist einfach zu früh, mitten in der Produktion.
— Martin Z. Schröder
Kommentare [1]
Mit Erler-Versalien gratulieren · 11. Mai 2010
Weil die erste Geburtstagskarte ausverkauft ist, habe ich eine neue gedruckt. Und weil ich lieber etwas neues mache als für eine Nachauflage die Druckform nachbauen, ist es nun eine Klappkarte im Hochformat, geschlossen DIN A6 (105 × 148 mm), zweifarbig gedruckt in dunkelrot und dunkelgrün.
Die Karte wurde mit einem ultramarinblauen Farbschnitt veredelt.
Die Erler-Versalien sind von der Schriftgießerei Typoart in Dresden im Jahr 1953 gegossen worden nach Entwürfen von Herbert Thannhaeuser, der auch die auf dieser Karte gedruckten Meister-Ornamente gezeichnet hat.
Für den Schmuck habe ich Stunde um Stunde gebraucht. Ich habe nicht viel Erfahrung mit dem Einsatz von Schmuck, und wie ein Anfänger tat ich anfangs von allem zu viel dazu. Der Rahmen war ungekonnt überladen durch zu viele verschiedene Ornamente und hatte oben und unten noch Aufbauten. Erst habe ich nach jedem Abzug noch Dinge hinzugefügt, statt wegzunehmen, bis mir der Gedanke kam, daß Schmuck ja wie Schrift behandelt werden kann: Wenige Schriften, wenige Größen, wenige Schnitte, wenig von allem. Das war ein interessanter Unterricht, denn anfänglich war die Reduzierung ergebnislos. Erst als ich entschlossen alle Blümchen bis auf eines entfernte und alle floralen Teile bis auf die Eckstücken und alle abweichenden Ornamente bis auf zwei Mittelstücke in den seitlichen Rahmenlinien, war der Rahmen gut. Auch unten wurde die Zahl der verschiedenen Ornamente reduziert, jetzt sind es nur noch drei. Nun weiß ich also auch ein bißchen mehr über das Ornament. Reichhaltigkeit richtig zu erzeugen, muß ich bei Gelegenheit noch lernen. In meiner Ausbildung war Schmuck übrigens gar kein Thema, abgesehen von einer Linie hier und da. Immerhin. Eine Berufsausbildung zum Schriftsetzer in nur 18 Monaten reicht an keinem Ende. Klassizistischer Schmuck ist ja eine ganz andere Welt als der renaissanceartige Schmuck auf dieser Karte. Und die Elementare Typografie der Moderne hatte wieder ganz andere ornamentale Bilder.
Lieferung und Preis: Im Online-Shop der Druckerey LetterpressBerlin erhältlich.
— Martin Z. Schröder
Kommentare [1]
ZGL · 28. Februar 2009
Neulich kam ein Herr in die Werkstatt, der mir erklärte, er habe bis 1990 in der Betriebsberufsschule Rudi Arndt in Berlin-Mitte, Michaelkirchstraße 17, in welcher ich von 1983 bis 1985 meine Lehre erhielt, in der Verwaltung gearbeitet. Gelernter Schriftsetzer. Hatte in den 1960er Jahren im Vorgängerbetrieb, der Zentralen Grafischen Lehrwerkstatt angefangen. ZGL genannt. Wir plauderten ein wenig. Nannten uns Namen von Lehrmeistern und dem Direktor, erinnerten uns an den Ort. Und nun zog er ein Buch aus seiner Tasche.
Aus seiner Anfangszeit in der ZGL. Ob mich das interessieren würde.
Schon das Inhaltsverzeichnis gibt mir Hinweise auf nie zuvor gesehene Schriften. Was ist denn die Minister-Zirkular? Die Minister von Typoart kenne ich, eine Renaissance-Antiqua mit ordentlich fetten Schnitten für Zeitungsüberschriften und Plakate. Aber eine Zirkular? Nie gehört. Ebenso ist die Druckhaus-Antiqua mir unbekannt. (Fotos in der Lightbox vergrößern durch Anklicken.)
Saskia, Junior, Ambassador, Akropolis, Admira, Ramona — Schriften von Typoart, der DDR-Schriftgießerei in Dresden?
Dieses Schriftenverzeichnis der ZGL-Handsetzerei ist als Werkzeug aufgebaut. Die Versalien sind abgebildet, daneben eine Tabelle, die bei der Berechnung des Umfanges hilfreich ist, den eine Schrift in ihren verschiedenen Graden einnimmt.
Auf der rechten Seite wird eine Textprobe gezeigt. Hier also die Admira. Hab ich nie zuvor gesehen.
Die Ambassador kenne ich nicht.
Schmale halbfette Russisch-Römisch ist eine hübsch technokratische Bezeichnung für eine recht klobig-monströse Type mit dicken Beinen, (und das Ausgleichen der Versalien im Namen dieser Schrift hat kein Meister seines Fachs fabriziert). Wir hatten eine kyrillische Schrift, ich habe sie ja gesetzt, ihren Namen aber vergessen. Siehe hier das letzte Foto. (Foto 3 zeigt übrigens die damals von mir angewandte Schrift Splendor, die ich neulich in meine Setzerei eingliederte.)
Die Rautendelein ist eine wunderschöne Anglaise, die von Typoart leider aus dem Programm genommen wurde. Sie wurde auf einen sogenannten Falzkegel gegossen. Ich habe zwei Schriftgrade von dieser Type und werde gelegentlich zeigen, wie absonderlich diese Type als Bleiletter aussieht.
Auch die Akropolis war mir unbekannt. Hübscher Name, er weist auf die Säulenbilder in der Schrift hin.
Die Minister mit der Kursiven hatten wir auch in der Lehrwerkstatt, aber …
… diese etwas stärker verzierte Zusatzvariante ist auch in den Typoart-Katalogen nicht enthalten.
Kolonel und Borgis sind Schriftgrad-Namen. In meiner Lehrzeit waren sie nicht in Gebrauch. Ich hatte sie vorher gelernt, in der Schüler-Arbeitsgemeinschaft, und ich gewöhnte mich daran, als ich später in der Buchdruckerei Rapputan angestellt war und man nur von Petit, Korpus und Cicero sprach, nicht von 8, 10 und 12 Punkt. In diesem Katalog hier sind sie zusätzlich zum Schriftgrad genannt, was auf eine Übergangszeit hindeutet, in der beide Sprachregelungen Anwendung fanden.
Schmalfette Druckhaus-Antiqua. Kannte ich auch nicht. Kann mal ein Experte bitte nachschauen, ob das alles Schriften aus der Gießerei Schriftguss-AG Dresden sind?
Wie wenig zeitlos der Begriff “aktuell” umgesetzt wurde. Heute neu, morgen Staub.
Die Junior kommt mir so bekannt vor, aber ihr Name nicht.
Ein paar Seiten sind mit Fließtext ausgestattet. Es wird wohl nicht mehr viele Exemplare dieser Sammlung geben. Früher hatte jede etwas größere Druckerei solch eine Schriftmustersammlung. Die Auftragsannahme brauchte so etwas für die Kundenberatung; Grafiker in den Verlagen hatten solche Bücher wahrscheinlich in der Hausbibliothek.
— Martin Z. Schröder
Kommentare [14]
Eine neue Schrift wird in Dienst genommen · 26. Februar 2009
Das Auspacken der Splendor mußte zügig vorangehen, denn ich habe ja einen Auftrag zu erfüllen. Auf der rechten Seite auf den beiden übereinanderstehenden Setzschiffen (so heißen diese Tabletts) stehen die ausgepackten Lettern, links ist der Steckschriftkasten zu sehen, in den sie geordnet werden. Im Steckschriftkasten stecken die Schriften der größeren Grade und solche mit empfindlichen Schriftbildern oder Überhängen, also Teilen, die über den Korpus der Letter hinausragen und abrechen könnten. Vorne die Minuskeln (Kleinbuchstaben), denn sie werden am häufigsten verwendet und kommen daher am nächsten zum Schriftsetzer. Die Ligaturen werden eingegliedert, also ff steht hinter dem f, nicht irgendwo bei den Ziffern, wo man sie während des Setzens leicht übersehen kann. ch kommt zum h, ck kommt zum k, tz zum z, ß zum s.
Auf diesem Bild sieht man: Alles ist eingeordnet, Arbeit fertig. Ein schönes Bild für den Setzer — dieser helle Glanz der reinen, gußfrischen Schrift. Auch für den Drucker. Der kann sicher sein, daß jeder Buchstabe scharf ausdruckt.
Das ist die Ackerfurche des Schriftsetzers.
Damit die Schrift nicht rutscht, wenn der Kasten aufgezogen und zugeschoben wird, legt man eine Spannleiste hinter die letzte hölzerne Trennleiste. Eine Stahlfeder wird in den Seitenwänden des Kastens verklemmt.
Und was entdecke ich, als ich den Stempel auf der Trennleiste näher betrachte? Es ist eine Klingspor-Trennleiste. Aus der Schriftgießerei Klingspor. Ich habe sie wahrscheinlich von meinem Lieferanten.
Auf der Schriftmusterkarte steht der Name der Schrift, der des Entwerfers und das Jahr des ersten Gusses. Dazu sind alle gegossenen Typen einer Schrift verzeichnet. Man kann auch ablesen, welche Grade (Größen) hergestellt wurden und welche Schriftschnitte (kursiv, halbfett, schmalmager, extrabreitfett und dergleichen) es außerdem noch gibt.
Auf der Rückseite der Karte bekommt man einen Eindruck von der Lesbarkeit der Schrift und von ihrer Zurichtung. Die Gießerei machte damit gewissermaßen auch einen Vorschlag für das Einsatzgebiet. In der Tabelle rechts kann man den Bestand der Druckerei eintragen.
Die Schriftmusterkarteikarten wurden ursprünglich vom Bleisatz im Buchdruck gedruckt, aber die Auflagen waren so hoch, daß man später die Karten im Offset reproduzierte. Jeder Schriftsetzer-Lehrling der Betriebsberufsschule in Berlin bekam eine vollständige Schriftmusterkartei der Gießerei Typoart und hatte damit alle in der DDR als neu verfügbaren Schriften zur Hand.
Die Splendor ist also ein Berliner Kind, Wilhelm Berg hat sie gezeichnet.
Die Signatur ist eine kleine Rille in der Letter, die dem Setzer zeigt, wie herum das Schriftbild steht, ohne daß er es erst anschauen muß. Die Zifferntypen sind so breit wie das Bild, das sie tragen, also die 1 ist etwas schmaler als die 2. In vielen Schriften sind alle Ziffern auf Halbgevierte gegossen, damit man damit leicht Tabellen setzen kann.
Drei Schriftschnitte. Und hier sieht man klar den Zug der Breitfeder, deren schmaler Strich mit der Breite der Feder nur geringfügig zunimmt.
Die Splendor hat zwei Versalien A, das große S gibt es auch mit Unterlänge.
Es gibt zwei M, zwei N, zwei große Z und auch zwei kleine z. Daß fi und fl als Ligaturen gegossen sind, sieht man ihrem Bild in der Ligaturenreihe auf der Karte nicht an. Der Setzer kann diese Ligaturen auch setzen, wenn es den Regeln widerspricht, die sich auf das Bild beziehen, also über Wortfugen hinweg etwa.
Die ck-Ligatur, rechts daneben das l.
Diese drei Schriftmusterkarteikartensätze muß man auf der Zunge zergehen lassen. Hier werden Kunden als denkende Menschen angesprochen, die ihrer Sprache mächtig sind. Heute geht Reklame über Bild und Geräusch und spricht unsere Sinne an, nicht unseren Geist.
Ob diese Definition stimmt? Das große A wirkt fremd, hier hätte ich es nicht gesetzt wegen der Verwechselbarkeit mit dem Ort und weil das Wort Art so kurz ist, daß ich ein gewohntes Bild vorgezogen hätte. Aber man kann mit solchen Typen gerade in werbende Texte auch Stolperfallen fürs Auge einbauen.
Die Damen und der Winter haben so ihre Vorlieben. Ein Herzheilbad ersten Ranges — auf so eine Idee muß man erst einmal kommen. Warum sehe ich ein dickes rotes pochendes Herz im mit schwarzgrünem Moor gefüllten Einweckglas vor dem inneren Auge?
Man beachte, wie die Zeilen genau gefüllt sind und Wörter nicht in Silben getrennt werden. Sich solche Texte, also auf den Buchstaben genau in der Länge, auszudenken, dürfte ein paar Minuten Zeit kosten.
Eine neue Schrift muß ausprobiert werden. Es gibt Schreibschriften, sogar reich verschnörkelte, die in Versalien lesbar und schön zugleich sind. Die Splendor vielleicht gelegentlich, aber das große I kann so nicht verwendet werden. Auch die zweite N-Variante ist schwierig.
Auch Schmuck muß ausprobiert werden. Ich habe die Splendor zuletzt vor 20 Jahren verwendet, als ich noch ein kleiner Junge von Anfang zwanzig war und nichts über Typografie wußte außer den drei Grundregeln des Schriftsetzers. Ich weiß heute, daß wir die meisten Schriften mit zu großen Wortabständen gesetzt haben, fast jede Schreibschrift wird dadurch profan, manche wird häßlich. Die Splendor ist eine Breitfederhandschrift ohne Buchstabenverbindungen (außer in manchen Ligaturen, die man deshalb auch mit Überlegung einsetzen muß, also das ch in sch würde ich nicht als Ligatur setzen), die eng gesetzt werden muß und die Raum braucht. Die Wortabstände in den Schriftmusterkarteien sind oft gut und mit Überlegung gesetzt. Vor Versalien kann der Abstand meistens verringert werden.
— Martin Z. Schröder
Kommentare [3]
Ungedörrter Saurier packt aus · 25. Februar 2009
Es kommt vor, daß ich von Kunden herausgefordert werde derart, daß sie mit den angebotenen Schriften nicht vollkommen glücklich werden. Nun ist das Angebot in einer Druckerei mit Bleisatz naturgemäß eingeschränkt, denn die Schriften benötigen viel Platz und sind teuer. Aber im jüngsten Fall konnte ich doch noch mit einer Type für Hochzeitseinladungen im Stil der 1920er Jahre überzeugen, die allerdings gar nicht im aktiven Bestand meiner Werkstatt ist. Dahin muß sie erst kommen.
Die Splendor, vergessen, wann und wo sie erworben wurde, war noch verpackt. Ich konnte meinen Kunden nur die Schriftmusterkarte von Typort zeigen. Die volkseigene DDR-Schriftgießerei hatte die 1930 zuerst gegossene Schrift von der Schriftguß-AG Dresden “übernommen” und machte sie zu einer der meistverwendeten ostdeutschen Schreibschriften. Wenn ich ausgepackt habe, werde ich sie mit Bilden vorstellen.
Dieses Auspacken ist wirklich eigenartig. Solche Schriftpakete in Originalverpackung haben Jahrzehnte in Lagern gelegen, wurden einst von Druckereien gekauft und sind manchmal über längere Umwege in meine Werkstatt gelangt. Packe ich sie nun aus, komme ich mir wie ein Frevler vor. Wie einer, der in einem ausgebuddelten Tonkrug aus Ägypten Kaffee aufbrüht. Furchtbar. Es tut mir sogar leid, das Einwickelpapier wegzuwerfen, denn das ist ja so alt und hat so lange gedient. Und ich rupfe das nun ab, entferne die Kolumnenschnur und die Holzregletten, diese kleinen Tafeln an den schmalen Seiten des Schriftpaketes, und stelle die Lettern in den Dienst, als seien sie gerade frisch aus der Gießerei gekommen und wäre Nachschub stets zu ordern. Sie werden in Setzkästen übernommen, das zeige ich demnächst.
Auf jedem Schriftpaket findet man einen Zettel wie den abgebildeten. Gießer war offenbar ein Männerberuf, die Teiler-Arbeit (Abzählen der Menge jeder Type für jedes Paket nach einem sogenannten Gießzettel) wurde von Frauen gemacht, da scheint Typoart keine Ausnahme gekannt zu haben. Wenn ich die Druckgenehmigungsnummer richtig lese, wurde der Zettel 1967 genehmigt. Gab es damals noch die dreistellige Postleitzahl? Im Internet findet man die Jahre 1964 und 1965 genannt für die Einführung der vierstelligen Postleitzahl in der DDR. Ob nun so viele Zettel gedruckt worden waren, daß man sie noch in den 1980ern so nutzte oder ob mein Splendor-Paket vierzig Jahre lang auf den Tag gewartet hat, an dem ich es öffne — wer kann das sagen?
Jedenfalls werden meine Leser verstehen, daß ich nicht ohne innere Bewegung meiner Arbeit nachgehe. Manchmal meine ich, ein Archäologe müßte im nächsten Moment hereinkommen und mich als einen originellen Dinosaurier in seiner Höhle dörren und mit farblosem Acryl übermalen.
Mir erscheint meine Tätigkeit sowohl einsam als auch abgehoben, manchmal unverschämt, weil ich das Werkzeug benutze, statt es zu konservieren. Aber es gibt ja genug Druckerei-Museen. Sollen die doch ihre Bestände einmotten, denke ich dann wieder. Die Druckerey ist ein Ort, an dem man original Drucksachen bekommt wie 1930. Diesmal also eine Hochzeitseinladung, ich freue mich darauf. Digital ist die Splendor übrigens nicht zu haben, ich sage freundlich ätsch und zeige sie morgen oder übermorgen oder so.
— Martin Z. Schröder
Kommentare [1]
Sondermeldung: Schatz in Leipzig gefunden! · 18. Juni 2008
Im Januar hatte ich beklagt, daß die Garamond-Matrizen der Schriftgießerei Typoart verschwunden seien, so war es mir aus verschiedenen Quellen über Jahre als Gerücht zugesprudelt.
Als ich im April auch dem Schriftentwerfer Andreas Seidel mein Klagelied sang, meinte er, ich solle doch direkt im Museum für Druckkunst Leipzig nachfragen, er könne sich nicht vorstellen, daß das Material sich in Luft aufgelöst habe. Als ich im Mai die Ausstellung mit den Werken Giovanni Mardersteigs im Museum besuchte, nahm sich die freundliche Direktorin, Dr. Susanne Richter, Zeit für mich und die Anhörung meines Begehrs und sagte zu, nach den Matrizen in einem bislang nicht katalogisierten Fundus suchen zu lassen. Ich hatte wenig Hoffnung. Warum sollte ausgerechnet ein Berliner Drucker den Anstoß geben, wo sich doch schon Studenten ausführlich mit der Firmengeschichte von Typoart befaßt hatten. Und je weniger ich wußte, desto länger konnte ich mich der Hoffnung hingeben, daß mein Schriftenbestand eines Tages doch aufgefrischt werden könnte. Denn Recherche ist mir kein Fremdwort. Nun war die Frage an die richtige Frau adressiert, ich wartete.
Wenige Wochen darauf bekam ich Nachricht: Die Matrizen sind da! Welch eine großartige Überraschung!
Der Gießer wird sich ihrer annehmen und ihre Tauglichkeit für den Neuguß prüfen. Es sehe gut aus, schrieb mir Frau Richter. Ich solle schon mal zwei Lettern meines Bestandes schicken, damit man die Schriftlinie prüfen könne.
Das Museum hat außer Schriften auch einen großen Bestand Matrizen für typografischen Schmuck, der bislang sporadisch gegossen wird, die Lettern werden als Souvenir im Museumsladen verkauft (Foto). Natürlich bin ich auch daran interessiert. Eine Katalogisierung wird anzustreben sein, um das Angebot verfügbar zu machen. Druckerkollegen, die meine Nachrichten hier verfolgen und ebenfalls am Erwerb von Typoart-Lettern interessiert sind, bitte ich um Kontaktaufnahme.
Das Museum hat Nachwuchsprobleme, am dringlichsten im Bereich Druck. Aber auch die Schriftgießerei wird schon seit langem nicht mehr gelehrt, es gibt nicht mehr viele Leute der Zunft. Ich habe dem Museum nun Ideen unterbreitet, wie das Wissen erhalten werden könnte. Wer noch keinen Kontakt zum Museum hat, aber ebenfalls an der Materie interessiert ist, den bitte ich, mir zu schreiben. Ich werde auch hier zu gegebener Zeit über Entwicklungen berichten.
— Martin Z. Schröder
Das breite und das schmale h · 21. Januar 2008
Gestern stolperte ich über ein Schriftpaket, das an einer Ecke zerfleddert war. Ein Versal A lag daneben. So etwas kann ich nicht dulden, also habe ich ausgepackt. Es handelt sich um eine Garamond kursiv in Korpus, also im Schriftgrad 10 Punkt. Dieses Paket kam vor Jahren aus der Schriftgießerei VEB Typoart, einem „Volkseigenen Betrieb“ der DDR. Die Garamond, eine von Herbert Thannhaeuser neuinterpretierte Renaissance-Antiqua, ist eine der sehr schönen Schriften, die von Typoart gegossen wurden. Über die an ihrem Ende sehr traurige Geschichte des Unternehmens Typoart hat Ingo Preuss hier Notizen hinterlegt. Nun, das Schriftpaket mußte, wie man auf den Fotos sieht, in der Tat schleunigst vor dem Zusammenfall gerettet werden.
So kleine Schrift einzulegen, das ist anstrengend für die Augen. Man muß die Typen lesen, aber da sie noch nie Farbe am Leibe hatten, ist das helle Blei blitzeblank und blendet. Dann eine Ligatur ffl von einer Ligatur ffi zu unterscheiden (Foto) kostet Augenmuskelkraft. Das Foto mit den beiden Ligaturen ist eine deutliche Vergrößerung, auf dem nächsten zeige ich eine Zeile zwischen meinen Fingern stecken, damit die Größe deutlich wird. Der Schriftgrad Korpus ist für Romane üblich.
Das den f-Ligaturen folgende Foto zeigt zwei ch-Ligaturen. Die kursive Garamond hat in verschiedenen Graden verschiedene Spezialitäten. Den kleinen Graden hat man ein h beigefügt, dessen Abstrich gerade heruntergeht und nicht nach innen in einen Tropfen ausläuft, damit man das h nicht mit einem b verwechselt. Als ich heute das Tropfen-h einlegen wollte, fiel mir auf, daß es etwas schlanker schien als die Lettern, die seit zehn Jahren im Kasten der kursiven Garamond liegen. Ich muß sagen, daß ich von meinem scharfen Blick selbst überrascht war. Man spürt den Unterschied mehr, als daß man ihn sieht. Das ist wohl eine Frucht der Erfahrung. Der Verdacht bestätigte sich, und ich wurde böse. Es ist schier unglaublich, daß eine Schriftgießerei heimlich neue Matrizen schneidet und alte und neue Güsse unter einem Namen verkauft, ohne auf den Unterschied hinzuweisen.
Ich habe die Schriften, die alte und die neue, geprüft. Alle anderen Buchstaben sind identisch. Aber die Schulterflächen, auf denen die Typen sitzen, zeigen andere Spuren. Das scheint zu bedeuten, daß es mehrere Matrizen für den Guß dieser Type gab. Ich kenne mich mit Schriftgießerei nicht aus, mir ist dieser Gedanke völlig neu. Matrizen halten ewig, dachte ich. Ich habe die beiden h in zwei Zeilen abgesetzt, oben die neue, unten die alte. Die neue Schrift ist deutlich schlanker. Wobei ich nicht wissen kann, wann welche gegossen wurde. Es kann auch sein, daß das breitere h nach dem schmaleren gegossen wurde.
Man kann nichts mehr reklamieren, die Firma Typoart gießt nicht mehr. Die Matrizen sind, so hörte ich, verschwunden. Also heißt es, pragmatisch zu denken. So hatte Gutenberg schließlich von vielen Buchstaben mehrere Varianten gegossen, weil er seine Satzschrift der Handschrift anpassen wollte und den Blocksatz erreichte nicht durch Veränderung der Wortzwischenräume, sondern durch Auswechseln verschieden breiter Typen. Ich habe die schmalen h im Setzkasten gesondert untergebracht und versuche, mich nicht zu ärgern. Ein Rätsel bleibt mir die Schrift aber doch: Warum ist das h so markant geändert worden?
Ich wurde gefragt, ob die Geschichte um die Buben aus der Nachbarschaft fortgesetzt wird. Die beiden Satansbraten haben mich nun schon zweimal versetzt. Nach dem ersten Mal haben sie sich zwei Tage später sehr entschuldigt und mir zugesagt, nächstes mal abzusagen, wenn sie nicht kommen könnten. Haben sie aber nicht. Ich habe von einer Freundin und Mutter gelernt, daß man Kinder gelegentlich wie Marsmenschen behandeln sollte. Also fragen, wenn einem etwas überaus merkwürdig vorkommt. Ich erinnere mich an den jungen Besuch letzten Sommer, der zum Frühstück Brötchen mit Butter mit Salami mit Marmelade vertilgte. Aber selbst bei Erwachsenen wäre ich in diesem doppelten Verabredungplatzenlassenfall mehr verwundert als beleidigt. Also ich werde nachfragen, wie sie es halten mit Verabredungen, wenn sie wieder hereinschauen, dann werde ich klüger sein.
Fotos vom Fortgang des Goldt-Büchleins demnächst wieder. Am Sonntag habe ich stundenlang einen langen Text gesetzt. Dramensatz …
— Martin Z. Schröder
Kommentare [2]