Der Drucker, die Liebe – und der Tod
Fröhliche Leute sind es, die Einladungen zu ihrer Hochzeit in Auftrag geben. Das ist ein nettes Geschäft für die Brautleute, die Vorbereitungen bereiten den meisten Leuten Vergnügen. Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Oft sieht man das Paar einige Wochen nach der Hochzeit wieder für die Danksagungen, die nun passend gedruckt werden sollen, und auch dann ist die Stimmung bestens. Noch besser wird sie, wenn Kinder auf die Welt gekommen sind und einem ausgesuchten Teil der Welt davon kundzutun ist.
Die Geburtsanzeige ist eine der schönsten Arbeiten für den Drucker. Manchmal wird die Druckfarbe auf das erste Foto des Kindes abgestimmt, dann liegt so ein Säuglings-Porträt in der Werkstatt, und der Drucker muß lächeln, wenn er an den Pausbacken vorbeigeht und sich sehr, sehr alt vorkommt. Gelegentlich wird dem Drucker auch ein digitales Foto überlassen, das vielleicht ein paar winzige kosmetische Korrekturen vertragen kann – auch eine wirklich schöne Arbeit.
Aber schließlich gehört es auch zum Beruf des Akzidenzsetzers und Druckers, den Tod bekanntgeben zu helfen. Dazu dient die Todesanzeige. Auch dafür werden Herzen für eine Zeit in die Druckerei getragen. Wenn der Mensch alt war, sind seine Lieben traurig. Konventionelle Anzeigen, wie sie dafür meistens in Auftrag geben werden, sind schnell besprochen. Wenn sich das Sterben lange hinzog oder wenig angenehm vonstatten ging und der Mensch endlich sein Ziel erreicht hat, ist die Stimmung sogar gelöst.
Aber auch junge Menschen sterben. Und es kommt vor, daß einem andern jungen Menschen der Tod des geliebten den Boden unter den Füßen ins Wanken bringt. Einer Drucksache für einen solchen Tod wird dann oft eine große Bedeutung zugemessen. Es ist nicht nur eine Benachrichtigung, sondern die Karte wird zum Manifest. Sie wird eher für den Toten in Auftrag gegeben als für die Hinterbliebenen. Für den Drucker ist das eine strenge Arbeit. Ein fremder Mensch in untröstlicher Trauer kommt herein und bittet um Dienst und Hilfe. Die Mittel der Typografie sollen dem Blei aus dem Setzkasten Flügel verleihen und die Botschaft einer gequälten Seele überbringen.
Manchmal ist das nicht zu schwer, weil der trauernde Mensch sich lenken läßt. Aber manche Menschen neigen auch dazu, ihrer Trauer allzuviele Worte mitgeben zu wollen. Der Drucker muß dann wissen: Ein Mensch in Trauer ist nicht ohne Verstand. Wonach er jetzt sucht, das kann ihm der Drucker nicht geben, die Antworten, warum ihm diese Erschütterung zuteil werden mußte, und den Trost. Aber je klarer die Worte des Dienstleisters zu ihm dringen und er seinem Kunden verdeutlicht, daß er ihn in dessen Sinne berät, desto besser wird die Drucksache zu einer guten Erfahrung.
Braucht eine Todesanzeige viele Worte? Bedarf die Mitteilung der Trauer mehr als die Anzeige ihres Grundes?
Ein Drucker darf keine Angst davor haben, daß sein trauernder Kunde starke Gefühle zeigt. Die meisten Menschen sind darauf trainiert, keine schmerzhaften Gefühle zu offenbaren. Niemand soll die Tränen sehen, niemand soll mit Leid belastet werden. Und wenn es dann doch passiert, sind die Menschen oft hilflos. In der Druckerei muß nun der Name des Toten genannt werden, der jetzt vor allem ein Seufzer ist. Daten werden aufgeschrieben, die Anzahl der Benachrichtigungen wird oft erst hier erwogen.
In dem abgeschlossenen, warmen Raum einer gemütlichen Werkstatt brechen die Gefühle dann oft auch aus der Beherrschung aus. Der Besuch weint. Wenn der Drucker sich in Erinnerung ruft, was Trauer bedeutet, wenn er selbst die Fassung behält, sich zurücknimmt und zugleich freundlich und aufmerksam das Gespräch angemessen führt, wird er seinen Kunden auf eine gute Weise durch den Prozeß führen, der sich nun eben für eine kleine Stunde in seiner Offizin abspielt.
So finden alle bedeutenden Geschehen im Leben auch in der klassischen Akzidenz-Druckerei ein Echo. Warum das eine der vielen guten Seiten dieses Berufs sein sollte? Der Schriftsetzer und Akzidenzdrucker ist zwar kein Zaungast der Wissenschaft mehr wie seine Vorfahren im Beruf, die noch Bücher setzten, aber seine Arbeit macht ihn zu einem Zaungast anderer Leben.
Gestern war mein Fotograf, Herr Schottenloer, wieder zu Besuch. Er hatte nicht viel Mühe, mir Todesanzeigen-Fotos auszureden. Obwohl ich ihm eine schöne zeigte: kursive Renaissance-Antiqua in bläulichem Grau auf schmales Echt Bütten. Veröffentlichen können wir so etwas ohnehin nicht. Da entdeckte der Herr Schottenloer einen Bären, der seit Jahrzehnten immer mal wieder auftaucht in meiner Umgebung, und gab diesem ein Buch über Druckerwappen in die Tatzen. Und knipste drauflos. Damit hier auch mal „etwas Süßes“ zu sehen sei, wie er meinte, gerade wenn ein Eintrag düster klinge. Nun ja. Jedem Tierchen sein Pläsierchen – oder umgekehrt.
tags: danksagung, familienanzeigen, familiendrucksachen, geburtsanzeigen, hochzeitseinladungen, todesanzeigen