Produktdesign
Neulich war es sehr heiß, als ich meine Schüler von ihrer Schule abholte, und meinem Vorschlag, ihnen als erste Unterrichtsmaßnahme des Nachmittages ein Eis zu spendieren, wurde mit Wohlwollen entgegengetreten. In der Werkstatt dann war es zwar etwas kühler, aber ich hielt es für angebracht, zur Schonung unserer Nerven keinerlei Arbeitserwartung auszusprechen. G. wollte das erste Kapitel hören aus dem wunderbaren Buch von Franz Fühmann “Die Hälse der Pferde im Turm von Babel”, also las ich vor. Nachdem man sich bei dem Sprachspielkapitel um Wörter mit nur einem Vokal etwas erholt hatte, fing F. an eine Mappe für ihr bereits gedrucktes Briefpapier zu konstruieren, die wir binnen zwei Stunden sogar fertig hatten. Mit eingeklebter Lasche für die Briefbogen, gedrucktem Titel und rotem Band zum Schließen, das Mädchen hat Talent. G. freute es zu hören, daß seine DÜL-Karten Anklang gefunden haben. Und J. entwickelte erstaunlichen Einfallsreichtum im Produktdesign.
Keineswegs möchte ich hier eine Debatte über Kriegsspielzeug lostreten und merke nur dies an: Wer andern verbieten will, solches zu verwenden oder selbst zu bauen, unterrichtet in erster Linie nicht den Pazifismus, sondern, durch das Verbot, die Diktatur. Ich spreche in der Werkstatt auch Verbote und Gebote aus: man darf hier nicht rennen, beispielsweise, und man muß sich, wenn man Blei angefaßt hat, vor dem Keksverzehr die Hände waschen. Anweisungen, die mit Gefahrenabwehr begründet werden und für jeden einsichtig sind, also keine ideologischen oder Meinungsdiktate.
Als diese Maschinenpistole skizziert und gebaut wurde, aus Wellpappe und mit einem Cutter, hätte ein Moralpädagoge vielleicht gute Gründe für Einsprüche. Aber Moral ist in deutlich gezogenen allgemeingültigen Grenzen vor allem: Privatsache. Kinder sind vollwertige Menschen, und es steht mir nicht zu, die moralischen Grenzen für sie nach eigenem Ermessen enger zu ziehen als allgemein üblich. Einst hab ich wie fast alle Buben sehr viel mit Plastikpistolen, Holzgewehren und Gummimessern hantiert — und mir ist echte körperliche Aggression heute so recht zuwider.
Ich war also moralisch unbeeindruckt, zumal Kinder in diesem Alter Wirklichkeit und Wirklichkeitskonstruktion (also Spiel) unterscheiden können, und dafür aber sehr angetan von der Geschicklichkeit, mit der hier gezeichnet und geschnitten wurde. Und als das Gewehr aus Wellpappe sich als zu flexibel erwies, griff sich mein humorvoller und geschickter Gast die Schablone und erfand derart ein Ding, das zugleich Waffe und Schild mit Sehschlitz ist. Was mich sehr amüsierte. Ausstellungen über Produktdesign an Hochschulen zeigen auch nichts anderes als solche Dummies.
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