Kids & Quiz (und ein grammatikrünstiger Werwolf)
Drei Themen serviere ich heute, und deshalb jedes möglichst knapp.
Erstens Am Freitag hatte ich den zweiten Besuch der Kinder aus der Freien Grundschule ein paar Straßen weiter. Von den vier gebuchten kamen diesmal drei, einer war leider krank. Gute Besserung, Robert!
Stella hat sich so geschickt angestellt, daß ich meine, sie könne gleich als Lehrling einsteigen. Ich war beeindruckt, was sie sich alles gemerkt hat von letzter Woche. Junge Leute sind schneller im Setzkasten zu Hause als ältere, das Gehirn ist noch weniger ausgelastet und hungert nach Informationszufuhr.
Moritz und Jonas haben einstiegsweise eine Visitenkarte gesetzt und gedruckt, wie Stella und Robert letzte Woche, um den Setzkasten und die Handhabung des Winkelhakens kennenzulernen. An den Fächern stehen die Buchstaben ja nicht dran, der Kasten ist so aufgeteilt, daß der rechten Hand des Setzers die Buchstaben nahe liegen, die er oft benötigt und jene entfernter, die er selten braucht. Also direkt rechts unten liegt die Minuskel e, der in der deutschen Sprache am häufigsten benutzte Buchstabe, darüber gleich das n, die Buchstaben mit Akzent indes am weitesten entfernt: ganz links. Also müssen Anfänger den Buchstaben erst auf einem Setzkastenschema suchen, das neben dem Kasten liegt, und dann das originale Fach. Anfangs helfe ich dabei und zeige die Fächer, denn der Kasten hat 125 davon, und bis man dann ein h gefunden hat … Meine Gäste helfen sich allerdings auch gegenseitig, es geht höchst kollegial zu.
Wir haben immer nur anderthalb Stunden Zeit und insgesamt nur sieben Termine, weshalb ich also die Arbeit vorher plane und meinen Gästen vorschlage. Vorgeschlagen habe ich, das Grammatik-Gedicht „Der Werwolf“ von Christian Morgenstern auf die Seiten eines achtseitigen Büchleins zu verteilen. Dem wurde zugestimmt. Auf meine Frage, die ich eher mir selbst als den jungen Druckern stellte, welche Schrift wir nehmen sollten, wünschte sich Stella sofort die „Lucky-Luke-Schrift“, womit sie die Figaro meinte. Aber die ist zu groß für den Text. Ich habe mich für die Garamond als Buch-Klassiker entschieden. Aller Anfang sollte von der Klassik ausgehen.
Ich habe den Kindern das Gedicht deklamiert und wurde vor die Frage gestellt, was denn die Fälle wären. Die dritte Strophe des Gedichtes lautet:
»Der Werwolf« – sprach der gute Mann,
»des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt,
den Wenwolf, – damit hat’s ein End.«
Hui, ich hatte mich ein wenig darauf eingestellt, den Unterschied zwischen den Fällen zu erklären, aber die Hauptfrage konnte ich nur mit einer sehr unzulänglichen Erklärung beantworten: sprachliche Konstruktion. Kann mir bitte jemand helfen und eine Erklärung geben, was denn die Fälle an sich sind?
Gegen Fotos und Veröffentlichung hier hatten die Kinder keine Einwände, aber ich muß doch auch die Eltern fragen und hab deren Kindern ein Brieflein mit der Bitte um Erlaubnis mitgegeben, weshalb es hier nur diese Ansichten gibt. Die von mir verwackelte Handaufnahme zeigt, wieviel Text Stella schon im Winkelhaken hat, die komplette erste Strophe. Für Moritz und Jonas (Bild oben) war es heute noch ein ziemliches Suchspiel.
Was mich in beste Stimmung versetzt, ist jugendlich unartige Schlagfertigkeit. In einer Werkstatt wie meiner muß ich freilich gegenüber Anfängern (auch älteren) Warnungen ausstoßen vor allerley Gefahren, auch vor dem Blei, das giftig wirkt, wenn man es zu sich nimmt, weshalb man mit ungewaschenen Händen nicht speisen dürfe. “Auch nicht popeln?” kam es prompt zurück.
Zweitens Ich durfte eine Einladung zu einem Rittermahl auf einer Burg in Fraktur drucken, das kommt so selten vor, daß ich vor Freude beinahe hopse, wenn mich so ein Wunsch erreicht. Ausgeführt ist diese Akzidenz im Altarfalz, einer sehr feinen Form der Einladung: Man öffnet sie wie die Pforten zu einem breiten Foyer. Damit der Druck auf der Außenseite nach innen durchscheint, verwende ich dafür ein nur 160 g/m² starkes Feinpapier, keinen Karton.
Drittens Die Danksagung dazu stellte mich vor ein Problem. Gewünscht wurde ein großes Danke in Fraktur mit einem Schmuck, wie er hier zu sehen ist. Aber die Unger-Fraktur, aus der die oben gezeigte Einladung gesetzt ist, habe ich nicht in einem so großen Schriftgrad. Ich mußte also ausweichen. Einerseits ist es eine schöne Drucksache, was ich dann mit der
Zentenar-Fraktur verwirklichte, andererseits doch ein Fehler. Dieses Blog wurde einmal mit einem kostenlosen Fernstudium verglichen, und das Zwiebelfisch-Quiz hatte ja schönen Anklang gefunden. Nun eine neue Frage: Warum passen diese Schrift und dieses Ornament um Himmels Willen nicht zusammen? Dafür gibt es zwar keine Preis-Sendung, aber breite Anerkennung.
Schlußbemerkung: Am heutigen Sonnabend erscheint in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung auf der Literaturseite ein Bericht von mir über meine Begegnungen mit den heimlichen Genossen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vor zwanzig Jahren. Wenn hier eines Tages mal wieder Geschichtenzeit ist, reiche ich den Text auch im Blog nach.
tags: altarfalz, kinder
JanM am 31. Mai 2008 # :
Ich probier’s mal: Die Linien des Ornaments verdicken sich zu den Enden hin, während die Linien der Schrift an den Enden schmal auslaufen?
MZS am 31. Mai 2008 # :
Richtung stimmt, aber hier ist Grundsatz gefragt, Abstraktion, Stilbewußtsein, Definition, Beweisführung, so was in der Art.
P. B. am 1. Juni 2008 # :
Lieber Herr Schröder,
hiermit reiche ich meine erste Erstsemester-Hausarbeit für das Fernstudium ein.
Mit der Bitte um Benotung.
Fraktur und Ornament kann ja eigentlich nicht der gesuchte Widerspruch sein, auch ein Stilmix scheint nicht verboten und kann durchaus reizvoll sein.
[grübel]
Schneidler und Ornament passt ja auch:
»Wohl dem, der sich um Ornamente bemühen darf.
Ornamente sind ja eine innere Landschaft …«. (1)
In seinem Frühwerk entwarf er religiöse Vignetten und
weitere typografische Juwelen finden sich wieder im
Weisert-Schmuck.
[schwitz]
Warum will die Zentenar und das abgebildete Ornament
um Himmels Willen nicht zusammen passen?
Die Zentenar-Fraktur ist aus der Breitfeder entsprungen,
ersichtlich vor allem in Schneidlers wundervollen, lebendigen
Sonderfiguren und Fraktur-Initialen.
Geofroy Tory und Robert Granjon standen inspirierend Pate.
Ein spätgotisches, reinaissancehaftes und kraftvolles
Formenspiel versteht sich mit einem zierlich, spitzfedrig,
gezirkelten Ornament nicht auf Anhieb – könnte man
meinen, aber in der gezeigten Einladungskarte wurden
beide stilistisch unterschiedlichen Elemente zu
einer Hochzeit überredet.
[?]
Oje, ich habe sicher etwas übersehen und sehe das
Klassenziel in ernsthafter Gefahr.
Herzliche Grüße sendet
P. B.
Quelle: »F. H. Ernst Schneidler, Schriftentwerfer,
Lehrer, Kalligraph«
SchuhmacherGebler, München
(1) Ernst Schneidler, Briefe, S. 15
MZS am 1. Juni 2008 # :
Erstsemester? P.B., Sie werden auf der Stelle ins lebenslange Hauptstudium befördert, sofern Sie Monseigneur Imprimeur du Roi Geoffroy Tory liebenswürdigerweise sein Doppel-f zugestehen.
Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir den Stilmix nachsehen, aber es ist genau die Überredung zu jener Zwangsehe aus Breit- und Spitzfederduktus, die ich für mindestens schwierig ansehe, zumal die Stärke der Schrift gegen die Zartheit des Ornamens ein so starkes Übergewicht bildet. Wenn das Ornament in rot und die Schrift in grau stünden, sähe es vielleicht anders aus, aber so halte ich die Anordnung für einen Fehler.
Ohne eine Linie wäre es nicht gegangen, eine fett-feine hätte das Problem verstärkt, ebenso eine englische, also in der Mitte verdickte Linie hätte nichts gebracht. Die feine Linie verbindet mehr als sie trennt, zumal da nichts zu trennen ist, wenn die beiden Elemente so dicht aneinander stehen. Nein, so geht es nicht. Ich habe mich bestechen lassen von der Schönheit der einzelnen Teile, ich war so entzückt von den Schwüngen der Zentenar-Fraktur, daß ich mich habe hinreißen lassen, die kleine Auflage zu drucken, obschon mir bereits beim ersten guten Abzug mit voller Farbgebung das Ungleichgewicht unharmonisch ins Auge stach.
Ich danke Ihnen sehr für Ihren schönen Beitrag, den ich jubelnd gelesen habe. Ihnen kann ein Schriftsetzer wie ich keine unlösbare Aufgabe stellen.
MZS am 1. Juni 2008 # :
Allerdings weiß ich immer noch nicht, wie ich kommenden Freitag den Kindern erklären könnte, was der morphologische Kasus a.k.a. die Deklination der Substantive a.k.a. die vier Fälle sind.
MZS am 1. Juni 2008 # :
Ach, und was ist der Weisert-Schmuck? Nie davon gehört. Muß ich mich dafür schämen?
Florian am 2. Juni 2008 # :
Habe zwar mein Prüfungsblatt nicht abgegeben, aber die Aufgabe – juhu – dennoch für mich richtig bzw. im obigen Sinne gelöst, Ehrenwort. Ich bin sicher, dass Sie, Herr Schröder, als Anhänger freier Lehr- und Lernformen mir das glauben werden. – Solche und noch weit grellere Kombinationen sind übrigens bei Imre Reiner an der Tagesordnung – als typographischer Gewährsmann wohl nicht gerade ein enger Freund von Ihnen, I suppose?
MZS am 2. Juni 2008 # :
Lieber Florian, nicht ein Zweifel nagt an mir, daß Sie die Lösung meines Problems gefunden haben.
Ich schätze das, was ich von Imre Reimer kenne, einige Bücher, sogar sehr. Aber daß sie so schrill sind, habe ich nicht mehr in Erinnerung. Ich werde morgen mal schauen.