Sensation lichte Bigband
Einige Schriftpakete lagen seit längerem in einer trockenen Ecke. Wann braucht man schon eine Schrift, die Bigband heißt und die in den 1970er Jahren als Reklameschrift ihrer Zeit entworfen wurde? Ich habe mich lange Zeit keinen Deut darum geschert. Aber da ich nun am neuen Büchlein von Max Goldt arbeite, durchforste ich alle Ecken der Werkstatt. Und siehe, wieder wurde es ein Fest, eine “neue” Schrift dem aktiven Bestand einzuverleiben. Wie viele Jahrzehnte mag sie in ihrem braunen Packpapier und ihrem Polster geschlummert haben, nachdem sie von der Schriftgießerei Ludwig & Mayer in Frankfurt am Main gegossen worden war?
Der Schriftentwerfer und Kalligraf Karlgeorg Hoefer (1914–2000) hat sie entworfen, 1974 wurde sie als Bleischrift erstmals gegossen. Später kam eine reine Versalschrift als lichte Variante hinzu. Hier wird unter Hinweis auf die Aufzeichnungen von Kg. Hoefer angemerkt, daß die lichte Variante nie recht angenommen worden war. Als digitale Schrift liegt sie nicht vor. So ist es also eine nicht einmal ganz kleine Sensation, die lichte Bigband heute gußfrisch in vier Größen, nämlich in Cicero, Tertia, Text und Doppelcicero (12 Punkt, 16p, 20p, 24p) und ausreichender Menge für kleine Texte verarbeiten zu können. Ich stand gestern lang in den Abend hinein in der Werkstatt und füllte zwei Setzkästen mit der lichten Bigband und konnte erst nach Hause gehen, nachdem ich damit fertig war, sie im Winkelhaken hatte, in die Druckform schließen, drucken und sie schwarz auf weiß sehen konnte. Blei ist eben doch magnetisch!
Eine fette plakative Schrift einzusetzen, würde ich mich scheuen, weil sie auch drucktechnisch schwer zu verarbeiten ist. Sie bräuchte viel Farbe und viel Druck – die Wirkungen davon auf der Rückseite des Bogens ließen sich nur schwerlich überspielen.
Die lichte Versalschrift zeigt aber zu meiner Überraschung ein so schönes, ein leichtes, zartes, geschmeidiges, geflechtartiges ornamentales Bild, gerade wenn sie ganz eng steht, ohne Ausgleich der Typen, ohne Zeilenzwischenraum, mit nur gerade der Lesbarkeit genügenden Wortabständen, daß ich mich heute doch enorm daran erfreue. Einen Vierzeiler zum Themenkreis Wasser und Leichen wird es im Goldt-Büchlein geben, dessen Überschrift mich geradezu aufrief, sie aus der Bigband zu setzen. Ich hab den Text gleich ganz dazu gesetzt und angedruckt. Er läuft zu breit, um so auf eine Seite zu passen, selbst im kleinsten Grad. Aber die Wirkung der Schrift stellt sich ausreichend dar. Ich werde also Entwürfe skizzieren, wie ich die Schrift für diesen kurzen Text einsetzen und ihre großartige ornamentale Wirkung zur Geltung bringen kann. Ja, mag sie vor 30 Jahren „nie recht angenommen“ worden sein, vielleicht hat man sich an ihren eleganten kalligrafischen Duktus noch nicht gewöhnen können, vielleicht waren die Schriftsetzermeister in den damaligen Druckereien nicht gerne Kinder ihrer Zeit. Hatten sie doch schon lange das Sterben ihres Handwerks vor Augen und fühlten sich durch den Fortschritt permanent bedroht. Heute schon, nur wenige Jahrzehnte später, ist selbst eine derartige Type nicht weniger historisch als eine Fraktur von 1800 und eine nicht weniger exotische Pflanze in einem ebensolchen Schriftengarten, durch den man nur vergnügt wandeln kann.
Für die Überlassung des Scan-Fotos der Bigband mit den Kleinbuchstaben, wie sie als plakative Reklameschrift 1974 zuerst gegossen wurde, danke ich Herrn Schriftsetzer Georg Kraus vom Preußischen Bleisatz-Magazin in Ratingen.
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