Zugeknöpfte Seiten
Jetzt kann ich mit der Arbeit an dem neuen Büchlein von Max Goldt beginnen. Nach einer letzten Besprechung mit dem Autor wurde ein Text ausgetauscht und kamen zwei neue hinzu. Wie das Büchlein heißen wird, ist noch nicht beschlossen. Wenigstens muß der Titel keine kommerziellen Rücksichten nehmen und kann unverständlich oder überlang oder obendrein überaus kompliziert sein.
Kompliziert ist der Anfang für mich. Die Produktion des ersten Büchleins liegt zehn Jahre zurück. Und eine solche Aufgabe hat nichts mit meinem Alltag als Typograf zu tun, der Visitenkarten, Briefpapier, Einladungen, Hochzeitsdrucksachen und dergleichen produziert. Solche Arbeiten sollen klar beschriebene Aufgaben erfüllen. Eine Visitenkarte verhilft einem Menschen und ggf. seiner Profession zu Aufmerksamkeit usw. Dieses Büchlein nun wird auf jeder Seite oder Doppelseite einen abgeschlossenen Text von Max Goldt tragen, soll ihn gut lesbar machen und seine Idee aufnehmen. Die Form ist mit dem Inhalt in einen angemessenen Akkord zu bringen. Die Texte von Max Goldt lassen sich mit interessanter Musik vergleichen: liest man sie mehrmals, findet man Schattierungen, Nuancen, Stimmungen, Anspielungen. Ihr Humor erscheint mir filigran. Vor allem ist es eine Herausforderung der Geistes, diese eleganten Texte angemessen in Druckschrift zu formen. Ich gehe vorsichtig zu Werke, weil ich nicht ertappt werden möchte, etwas übersehen und plump gedacht zu haben. Wenn jede Seite zum typografischen Bild wird, offenbart sich der Typograf.
Ich werde das Büchlein von innen nach außen drucken, also mit der echten Doppelseite innen beginnen. Echt heißt diese, weil sie nicht aus zwei durch die Bindung zueinander gestellten Seiten besteht, sondern linke und rechte Seite auf einem Bogen stehen. Auf den Falz ist Rücksicht zu nehmen, denn wenn kleine Schrift im Falz stünde, litte die Lesbarkeit durch die mechanische Falzbelastung an dieser Stelle. Außerdem läuft der Faden der Heftung über die Seite und werden drei Löcher ins Papier gestochen.
Als ich mir das überlegte und mir den Text, der auf dieser Seite stehen wird (die Einteilung der Texte gehörte zur Vorbereitung), zum x-ten Male zu Gemüte geführt hatte, schnappten einige Synapsen einander am Schwanz: In diesem Text geht es um einen Klaustrophobiker, der unter anderem über Bekleidung innerlich monologisiert. In dem Text kommen Knöpfe vor. Über die Buchseite in der Mitte wird ein Faden aus Buchbindergarn durch handgestochene Löcher laufen. Nun habe ich aus dem Schatzkästlein einige Elemente gegriffen und für die drei Löcher drei Knöpfe gebastelt, um die Bindung in die Typografie einzuarbeiten. Diese Knöpfe werde ich in den nächsten Tagen in einer grauen Farbe drucken, vielleicht ein violettes Grau. Denn zu dem Text, in welchem Strickwaren vorkommen, erscheint mir ein Grün passend. Ein saftiges Grün, das allerdings für gute Lesbarkeit dunkel genug sein muß. Dazu violettes Grau, das stelle ich mir apart vor. Den Text werde ich aus der Futura in Petit (8 Punkt) in einer freien und geschlossenen Form setzen, eine Art aufwehendes Tuch, ein Stück vom Kragen einer Strickjacke, denn diesem inneren Monolog ist Leichtigkeit im Ton eigen.
Ich habe den Entwurf mit elektronischer Hilfe angefertigt. Im Bleisatz hätte ich früher, ohne Computer, den Text erst gesetzt, einen Abzug gemacht, dann zu Zeilen zerschnitten und zusammengeklebt. Sehr lange hätte das gedauert. Und nach dieser Klebeskizze hätte ich den Text dann im Bleisatz neu fügen müssen. Jetzt habe ich ihn in digitale Form gebracht mit einem Grafikprogramm, ihn einem Bezugsrahmen zugeordnet und sortiert. Dann habe ich senkrechte Linien darübergelegt, damit ich genau sehe, auf welcher Höhe Zeilen enden und beginnen müssen. Ein Foto zeigt, wie das aussieht. Danach kann ich nun sehr bequem den Bleisatz druckfertig setzen. Das werde ich in den nächsten Tagen tun. Zur Zeit liegen noch eilige Druckaufträge vor, und für heute haben sich wieder die Kinder aus der Nachbarschaft angesagt.
„Eigentlich“ habe ich einerseits wenig Zeit, andererseits bilden Kinder eine lustige und lehrreiche Gesellschaft, die den Vorzug mit sich bringt, alles mögliche in Frage zu stellen, das man aus Gewohnheit für sichere Wahrheit hält. Und nebenbei scheint mir, es gelte eine bürgerliche Verantwortung wahrzunehmen: Wenn ich dafür bin, daß Kinder nicht abgesondert nur unter staatlicher Aufsicht von Berufskinderführern leben in Schulen, womöglich auch noch ganztags, dann sollte ich doch schon auch meine Tür öffnen, wenn die Kinder aus den Nachbarhäusern anklopfen. Mal sehen, was daraus wird, neugierig bin ich auch.
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