Der Schmutztitel aus der Bleischrift Kavalier
Die Kavalier ist eine reine Versalschrift, hier wurde sie aus ihrem kleinsten Grad, Nonpareille (6 Punkt), gesetzt. Schriftgießerei: Hermann Berthold AG, Berlin, Erstguß: 1910, Entwurf: Hermann Zehnpfundt. Der Schmutztitel gehört eigentlich in fest gebundene Bücher, er ist am Vorsatzpapier festgeklebt und verbindet so den Buchblock mit dem Deckel und ist daher nicht ganz so breit wie eine normale Buchseite.
So bricht man typografische Regeln richtig falsch. Natürlich darf man kein Wort ohne Not einfach so abtrennen, und dann noch so! Einfach eine Silbe auf die nächste Zeile bringen. Kannste donnich machen! Aber der Zeilenfall ist hübscher. Und um zu beweisen, daß der Typograf einen Schriftsteller so richtig kujonieren kann, geht Hübschheit ausnahmsweise vor Lesbarkeit. Die drei Zeilen wird man ja wohl auch so lesen können! Außerdem gibt es einen Text von Max Goldt mit dem Titel “Der schlimme Schal oder: Der Unterschied zwischen Wäwäwäwäwä und Wäwäwäwäwäwäwä”. Dieser Schmutztitel, dessen Mittelzeile auf wä endet, ist eine literaturhistorische Reminiszenz, ein Hallo für Goldt-Kenner. Gutes Herausreden, oder? Aber der Zeilenfall ist wirklich sehr gut so, und ich find’s lustig. Mal sehen, was Herr Goldt zu dieser Vergewaltigung sagt.
tags: cordbettwäsche, kavalier, max goldt, schmutztitel
Thomas Kersting am 14. Oktober 2012 # :
Genial, dieser Zeilenfall mit der Trennung! Im Bezug auf den erwähnten Inhaltsstext geradezu kongenial! Lediglich der fehlende Trennungsstrich irritiert mich etwas.
Ich setze immer wieder gerne Flatter- bzw. Rausatz. Hier gibt es gegenüber dem Blocksatz doch eine größere Möglichkeit der “minimalen künstlerischen” Gestaltung im Rahmen der typografischen Regeln!
Gerade die Linotype ermöglicht durch die Keile und die damit verbundene automatische und stufenlose Austreibung der Wortzwischenräume eine hohe Konzentration des Setzers auf die Endungen der Zeilen.
Es bereitet mir immer wieder große Freude, den augenscheinlich willkürlichen Zeilenfall dahingehend zu manipulieren, dass plötzlich im gröbsten Rauhsatz Treppen oder gar liegende Tannenbäume auftauchen.
Herzlichst Ihr Linotype-Setzer
Thomas Kersting
Jeeves am 14. Oktober 2012 # :
Ein Trennungsstrich würde den Witz erklären. Tut man sowas? Aber nie!
Martin Z. Schröder am 14. Oktober 2012 # :
Vielen und allerbesten Dank den Herren!
Das Divis erscheint mir hier unnötig zu sein, sogar überflüssig. Es ist in einem Text für das zügige Lesen unverzichtbar, aber bei den drei Zeilen doch kaum. Es kann keine Mißverständisse geben, weil es weder das Wort “Cordbettwä” noch das Wort “Sche” gibt. Ja, das stimmt, es würde dem Witz einen Zeigefinger beigeben. Das Divis würde in meinen Augen eine typografische und textliche Schwächung darstellen. Der Autor ist übrigens sehr einverstanden mit diesem Schmutztitel. Und mit dem ganzen Werk. Kürzlich habe ich ihm das erste handgemachte Exemplar zeigen können. Morgen gibt es hier erste Einblicke.