Schiefe Formen
Für alles mögliche gibt es Tutorien im Internet. Ausführliche Erläuterungen und Anweisungen in Wort und Bild. Aber wie man einen schiefen Satz in den Schließrahmen baut, das steht nicht im Internet. Mir hat es auch nie jemand beigebracht. Stattdessen fragten mich Buchdrucker mit Meisterbrief, wie ich das wohl gemacht hätte. Wie haben denn die Dadaisten ihre schiefen Seiten gedruckt? Das wüßte ich gern.
Für das in der Mache befindliche Buch von Max Goldt sind zwei Kolumnen aus Maschinensatz schräg zu stellen. Auf diesem Foto sieht man meine Improvisation. Die Form muß so fest sein, daß auch bei 2000 Druck die Erschütterungen der Maschine an der Druckform nichts lockern. Es wäre katastrophal, wenn während des Druckens der Satz in die Maschine kippte.
Hier ist (unscharf) der erste Abzug zu sehen. Es handelt sich um zwei Postkartentexte. Bevor ich die Textform drucke, wird ein farbiger Fond vorgedruckt.
Dieser wird aus Messinglinien zusammengesetzt. Das ergibt eine schön gestreifte Fläche. Um eine geschlossene Fläche zu bekommen, könnte man diese Linien mit Tesafilm überkleben, aber der Reiz der unruhigen Form ist in meinen Augen größer.
Um die Farben auszuwählen, wird der Farbfächer herangezogen. Auch ein schöner Anblick, nicht wahr?
Gedruckt wird hier die einzige echte Doppelseite des Büchleins, die also nicht aus zwei Seiten beim Binden entsteht, sondern in der Mitte des Büchleins liegt und durch die der Faden der Fadenknotenheftung geführt werden wird.
tags: cordbettwäsche, linotype, maschinensatz, max goldt
Kurt Oberndorfer am 31. Oktober 2012 # :
Lieber Kollege Schröder, ganz kurz ein Kommentar zu dem Fixieren von schrägen Satzelementen im Bleisatz: Es gab immer schon schräges Blindmaterial in verschiedenen Winkelmaßen. Denken Sie nur an den sogenannten Figurensatz, bei dem man mit Hilfe von Linien und geometrischen Grundformen (Rechtecke, Dreiecke o.ä.) die hübschesten “Bilder” schaffen konnte. Soweit ich weiß, war diese typographische Fertigkeit in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr envogue. Passt irgendwie auch gut für Dada. Auch Stempelsetzer waren Spezialisten die mit kleinen Reglettenbiegemaschinchen kunstfertig ovale und runde Stempelformen setzten, Lücken wurden mit durchgekautem Fließpapier gestopft, und dann hat das bombig gehalten in der Maternpresse und im Druckfundament sowieso. Ja, das gab es, eine ästhetisch geschulte Arbeiterschaft, die solche Sachen noch konnte. Ich habe in meiner Lehrzeit einen Meister (Factor) gehabt, der solche Fertigkeiten noch draufgehabt hat und sie uns noch gezeigt hat. Vermittelt hat, wäre nun übertrieben, man brauchte das nicht mehr, der Offsetdruck mit seinen fotomechanischen Möglichkeiten hielt in Deutschland Einzug, und die Computer blinkten Anfang der 60er auch schon ganz leicht am Horizont. Ein laut gebrülltes GottGrüßDieKunst aus München
Martin Z. Schröder am 31. Oktober 2012 # :
Recht herzlichen Dank, lieber Herr Kollege, für die Aufklärung. Ein wenig schräges Material, also Winkel und Rundungen in Blindmaterialhöhe, habe ich sogar (erstes Foto), aber nie das, was ich wirklich brauche. Ich hab auch schon Holzwinkel gesägt. Man muß sich ja nur zu helfen wissen. Gott grüße sie, die Kunst!, rufe ich zurück nach München!