Schriftlinie halten!
Manche Bleischriften sind rar, umso glücklicher ist der Besitzer einer seltenen Type. Die feinen Linien der Walbaum sind besonders empfindlich gegen Abnutzung, und deshalb bin ich froh, daß mir ein Kollege seinen nicht mehr benötigten Bestand anbietet. Bevor man aber die Schrift aus einer Druckerei in den Kasten mit der eigenen legt, also zwei Lieferungen mischt, muß die Schriftlinie geprüft werden. Die Schriftlinie ist die untere Begrenzung der Buchstaben ohne Unterlänge, und ob diese Linie identisch ist, kann man nur am Druckbild prüfen, denn die Abweichungen können sehr gering sein. Warum die Schriftgießereien keine einheitliche Schriftlinie halten konnten, weiß ich nicht, vielleicht kann diese Frage ein Kollege unter den Lesern beantworten?
Der zum Verkauf seiner Typen bereite Kollege sandte mir eine Probe. Man verwendet für diese Prüfung gern das m oder n, weil diese Buchstaben sicher auf zwei und auf drei Füßen stehen, die Schriftlinie in der Zeile also überdeutlich sichtbar machen.
Die Probe meines Kollegen und eine Probe aus den eigenen Kästen habe ich nebeneinander in eine Druckform geschlossen. Man muß dabei höllisch aufpassen, daß nichts durcheinander gerät.
Im Abzug zeigt sich dann, in welchem Zustand die Schriften sind und ob beide vermischt werden dürfen. In diesem Abzug sieht man im Wechsel die gewöhnliche und die kursive in Cicero, Mittel und Tertia, also 12, 14 und 16 Punkt. Die gewöhnliche Type im Schriftgrad Mittel ist nicht identisch. Nicht nur steht die Schriftlinie rechts tiefer, die Buchstaben sind auch kleiner. Das ist rätselhaft. Beide Schriften sind auf 14p-Kegel gegossen, aber sie sind nicht gleich groß.
Die rote Markierung zeigt die Trennlinie. Links meine Lettern, rechts die des Kollegen. Die gewöhnlichen “n” des Kollegen sind auch kleiner als seine kursiven. Da ist etwas schiefgelaufen.
Auch von der Seite kann man einen Kontrollblick werfen. Alle anderen Zeilen sehen gut aus, und ich werde nun mit dem Kollegen über den Preis sprechen und hoffe, einige Schriften zu erlangen, die gewöhnliche Walbaum in Mittel kann ich leider nicht übernehmen.
Kurzmeldungen
1. Das kürzlich angekündigte Puzzle ist zwar fertig, konnte aber noch nicht in den Online-Shop, weil dieser gerade umzieht. Man wird ihm den Umzug aber nicht anmerken, wenn er in Kürze wieder da ist, einstweilen funktioniert er schon hier, ich warte aber mit neuen Drucksachen, bis der Umzug abgeschlossen ist.
2. Die Modemesse haben wir überstanden, der Umzug mit Maschine und Setzkästen ist mit Aufräumarbeiten abgeschlossen. Ob die zahlreich vergebenen Visitenkarten und die erfreut in Empfang genommenen Komplimente auch geschäftliche Wirkung zeitigen, bleibt nun abzuwarten. Meine Oberhemden haben sich bewährt, und in der Werkstatt trage ich nun ein seidenes Schleifchen an der Schürze, das mir eine freundliche Dame vom uns vis-à-vis befindlich gewesenen Messestand der Berliner Manufaktur Edsor Kronen genäht hat.
3. Die Arbeiten am vierten (noch nicht vorbestellbaren) Buch von Max Goldt in meiner Werkstatt haben mit der Textauswahl begonnen. Vorgesehen ist die Fertigstellung zum Ende des Jahres.
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