Mundschenks Herkunft entdeckt
Vor ungefähr einem Jahr habe ich eine Wodka empfehlende Karte hier im Blog vorgestellt. Auf dem dort abgebildeten Druckstock ist zu erkennen, daß etwas herausgekratzt wurde, eine Signatur womöglich.
Nun erreicht mich eine Zuschrift von Herrn Michael Schulze, der diese Vignette in einem Buch entdeckt hat und mir schreibt: Das gleiche Logo habe ich in einem älteren Rezeptebuch “Die Getränke der Gegenwart” von B. Appelhans, III. Auflage, Verlag von N. Besselich, Trier (außen auch Verlag der Konditor-Zeitung, Trier) gefunden, in dem es als Schlußvignette dient. Eine Jahreszahl ist in dem Buch nicht angegeben. Da der Autor die erhebliche Verzögerung der 3. Auflage durch den Krieg bedauert, wird es wohl Anfang der 20er Jahre erschienen sein. Eine Google-Recherche ergab, daß die erste Auflage 1901, die Zweite 1908 erschien. Das Logo selber ist 4 cm hoch und ca. 2,4 cm breit und enthält noch ein nicht lesbares Zeichen des Künstlers, welches aus Ihrem Galvano herausgekratzt ist.
Dazu schickt mir Herr Schulze Fotos, die ich mit seiner freundlichen Erlaubnis hier veröffentlichen darf. Es ist schon bedauerlich, daß man den Gebrauchsgrafiker, der vor hundert Jahren diesen Mundschenk gezeichnet hat, nicht namentlich nennen kann. Aber man sieht auch, daß gute Gebrauchsgrafik auch über längere Zeit als den Tag bestehen kann.
Ob der Mundschenk eigens für dieses Buch angefertigt wurde, vermag man wohl nicht mit Gewißheit zu sagen. Ich würde es aber annehmen, denn Vignetten ohne bestimmten Zweck, wie sie von den Schriftgießereien angeboten wurden, waren, glaube ich, nicht signiert. Diese Vignette hier kam übrigens häufig vor. Möglicherweise wurde sie zuerst für das Buch gefertigt und dann als Katalogware an Druckereien verkauft. Einstweilen läßt sich nur mutmaßen.
Interessant ist der gezeigte Haupttitel des Werkes: Die erste Zeile wurde gesperrt, um auf die Breite der zweiten zu kommen. Soviel Grobheit und Mangel an Rhythmus-Gefühl, der die ganze Buchseite auszeichnet, hatte es zuvor nicht gegeben. Das Ende des 19. und der Anfang des 20. Jahrhunderts war die Zeit des typografischen Niederganges, und diesem Treiben durch Vernunft ein Ende zu setzen, hat Jan Tschichold mit seinen Ausführungen zur Elementaren Typografie 1925 begonnen, mit denen er sich an jene wandte, die damals das Bild der Drucksachen bestimmten. Grafikdesigner kannte man zu jener Zeit nicht. Und Gebrauchsgrafiker befaßten sich meistens mit Illustration, weniger mit Schriftsatz. Es waren vor allem die Schriftsetzer, denen die Anwendung von Schriften oblag und die damit oft nicht umgehen konnten, weil sie nicht mehr jene gebildeten Zaungäste der Wissenschaft, Verleger und akademische Drucker waren, wie man sie in den Jahrhunderten zuvor gekannt hatte, sondern Akkord-Dienstleister und eben nur noch Stehkragenproletarier, wie man sie damals scherzhaft nannte.
Wunderbar aber ist der Buchtitel! “Getränke der Gegenwart” — wie bedeutungsschwer und ernsthaft — also dem Gegenstand völlig angemessen. Vermutlich mit feinen Limonade-Rezepten, deren Zutaten man beim Wald-, Feld- und Wiesenspaziergang einsammelte …
Die Karte ist übrigens immer noch im Programm des Druckerey-Shops, wenn auch nicht mehr in der ersten Auflage.
tags: friedrich wilhelm kleukens, vignette
Hans Reichardt am 28. Juni 2011 # :
Hallo Herr Schröder,
Die Vignette stammt von Friedrich Wilhelm Kleukens und wurde durch die Schriftgießerei D. Stempel AG hergestellt und verkauft.
Die Vignette war signiert mit den Anfangsbuchstaben des Künstlers FWK als Logo am Fuß der Vignette.
Hans Reichardt
MZS am 28. Juni 2011 # :
Wenn ich schreibe, daß man einstweilen etwas nicht weiß, rechne ich nicht mit Hans Reichardt, einem Enzyklopädisten des industriellen Hochdrucks der vergangenen etwa 150 (?) Jahre und offenbar auch der Gebrauchsgrafik, der wahrscheinlich von seinem Archiv derartig enthusiasmiert ist, daß er es wieder und wieder durchkämmt und sich an manchen grafischen Leistungen so sehr erfreut, daß er sie nicht vergißt, wodurch er etlichen Ratlosen wie gelegentlich mich erfreuliche Belehrung zuteil werden lassen kann — wofür ich wärmstens danke. In der nächsten Auflage der Wodka-Karte werde ich FWK nennen, über dessen Arbeit es vom Klingspor-Museum ein PDF zum Download gibt.