Anwalt der Handschrift
Im Frühjahr stellte der im Druckerey-Blog schon oft mit schönen Arbeiten erwähnte Designer und Kalligraf Frank Ortmann seinen Rundbrief-Empfängern eine neue Arbeit vor, nämlich “eine das Spektrum der feinen Schreibschriften bereichernde sowie hiesig gänzlich unverbrauchte Variation der Englischen Schreibschrift, im Amerikanischen als (Advanced) Engraver’s Script bekannt, charakterisiert durch erstaunlich stark kontrastierte Schwellzüge und außergewöhnliche Versalformen”, nachdem er sie so gründlich einstudiert hatte, daß er sie nun seinen Kunden anbieten kann.
Kunden von Herrn Ortmann kommen gelegentlich in den Genuß von echter Post (Snail-Mail), beispielsweise wenn Vorlagen, Originalproben und Papiermuster versandt werden. Hurra, ein Brief aus dem 19. Jahrhundert! ruft der Empfänger aus. Für so einen Brief kramt man den vergoldeten Erb-Brieföffner aus dem Erbgerümpel, denn diese Briefhülle zu zerfetzen, kommt für keinen Kulturmenschen in Frage. “Das ist doch aber nicht handgeschrieben!” hört man Besucher sagen, wenn man solche Post dekorativ auf dem Tische herumliegen läßt. “Schauen’s amol genau hin!” erwidert man gelassen. Die Besucher tun’s — und die Erkenntnis verschlägt ihnen die Sprache. Wenn man bei Frank Ortmann etwas in Auftrag gibt, wird man nicht nur mit solcherlei Arbeit beliefert, sondern auch noch mit so großer Freundlichkeit und prompt bedient, daß man ihm immerzu Päckchen mit Geschenken schicken möchte und einem die Rechnung am Ende zu gering vorkommt.
Der Kunde eines solchen Kalligrafen ist eher eine Art Mandant: Herr Ortmann übernimmt Fälle und vertritt Interessen. Ex manu datum – man gibt den Fall (diesenfalls die Feder) aus der Hand, und der Kalligraf führt den Auftrag auf eine Weise aus, daß der Mandant sie nur bewundern, nicht aber beurteilen kann, weil ihm das Fachwissen über Schnörkel und Schlingen fehlt.
Wie schreibt man aber einem solchen Anwalt der Schrift? Meine Handschrift ist an sich eine recht manierliche. Ich bemühe mich um Lesbarkeit, ich male mal einen kleinen Schwung hier und da an einen Buchstaben, ich schreibe Mediävalziffern — aber damit kann man gegen die Briefe von Ortmann nicht anstinken. Also ziehe ich mir die groben Handschuhe an und zeige, was eine Druckerkralle krakeln kann.
Hatte ich die neue Website von Frank Ortmann schon erwähnt? Das möchte ich hiermit nachgeholt haben.
tags: frank ortmann, kalligrafie, kalligraphie, spitzfeder
Sven Winterstein am 29. Mai 2011 # :
Großartiger Posteingang, ich bin fast sprachlos. Man freut sich ja schon, wenn jemand eine Schreibmaschine benutzt hat. Im Schatten der hochästhetischen Beschriftung fällt einem allerdings auch das schlappe Briefmarken-Angebot der Post auf.