Das Hamburger Wunder
Es könnte die Luftaufnahme einer Stadt (in der Mitte landwirtschaftlich genutze Flächen) sein. Ist es aber nicht. Für Schriftsetzer ist es ein prachtvoller Anblick: eine komplizierte Druckform aus Bleisatz mit Schmuck und Messinglinien. Es gibt nicht mehr viele, die solche Formen bauen können. Der Setzer muß hier sein technisches Können einsetzen, denn die großen Formen kann man nicht nach Lehrbuch bauen. Auf die großen Breiten tragen die Satzformen auf, alle die kleinen Unregelmäßigkeiten im Material, jedes Staubkörnchen, rechnerisch geht eine solche Form nicht auf, aber sie muß im Schließrahmen passen. Es braucht einige Erfahrung, solch eine Form zu setzen.
Dieses Plakat “Typographisches von A bis Z” ist in der Grafischen Abteilung des Museums der Arbeit in Hamburg entstanden unter den Händen von Michael Krüger. (Bezugsquelle am Ende des Textes)
Zugrunde liegt dem Plakat das Setzkastenschema, und einmal außen herum wurden die Fächer ersetzt durch kurze Texte über typografische Dinge, auf diesem Foto sieht man die Erklärung der Begriffe Brotschriften und Cicero.
Es ist so eine Freude, dieses Ergebnis von satztechnischer Spielfreude zu sehen, daß ich es dem geneigten Leser zeigen möchte, der abgeneigte wird sich zu helfen wissen.
Der Text ist aus der Gill gesetzt worden, die der Kollege Erich Hirsch auf der Monotype gesetzt und gegossen hat. Auf den Vergrößerungen erkennt man die Linienanschlüsse der Rahmen. Die waagerechten Linien sind die durchgehenden, die senkrechten stoßen darauf.
Dieses Bild zeigt die Fügungen der Serifen-Darstellung. Es zeigt allerdings auch Schwächen in der Zurichtung der Schrift. In dem Wort Antiqua wird es deutlich: ti kleben zusammen, zwischen q und u ist mehr Luft als gut.
Gar nicht so kompliziert, diese Form herzustellen, die Idee aber, auf die muß man erst mal kommen, das ist hübsch gemacht.
Dem Impressum ist zu entnehmen, daß 1000 Plakate gedruckt wurden auf dem Heidelberger Cylinder.
Es gäbe noch einige andere Möglichkeiten, Initiale einzubauen. Eine sehr hübsche Fummelarbeit. Ich hätte gern mitgemacht.
Das Museum hat also einigen Bleisatzschmuck in seinen Kästen. Das Druckerwappen gehört allerdings nicht zu Gutenberg. Die früheste Erwähnung nennt das Jahr 1466, Gutenberg hatte ein eigenes Familienwappen.
Schön sind die praktischen Erklärungen. Nun wüßte ich noch gern: Gibt es wirklich 3 Punkt starke Linien? Aus Messing oder aus Blei? Oder ist sie gestückelt? Oder eine hochgestellte Dreipunkt-Reglette?
Von diesem Ausschnitt ist im nächsten Bild der Bleisatz zu sehen.
Nach präzisen Tabellensatzregeln ist so ein Kunststück nicht zu setzen. Daß Messinglinien auf Lettern stoßen, darf hier also nicht reklamiert werden.
Welch wildes Gestückel! So eine Form dürfte bei jedem Setzer anders aussehen, aber man erkennt deutlich, wie daran gedacht wurde, daß die Schließform am Ende hält, nämlich an den verschränkten Formen, also daß möglichst keine rechnerisch gleichgroßen Felder im Blindmaterial entstehen, sondern möglichst viel miteinander verzahnt wird. Großartig!
Von diesen 1000 Plakaten sind noch welche erhältlich. Sie kosten nur 20 Euro per Stück, und bestellen kann man sie direkt beim Setzer Michael Krüger, der Bestellungen per E-Mail selbst entgegennimmt.
tags: bleisatz
Jeeves am 2. April 2011 # :
1) Das mit dem YSENBRÄU – stimmt das?
2)Anstatt “Zeitung” wäre “Zwiebelfisch” der Sache doch angemessener? (siehe “Ysenbräu”)
3) Die Luftaufnahme ist: New York mit Central Park (wenn dort wieder Kartoffeln und Mais angebaut werden)
Helmut Bohlmann am 2. April 2011 # :
Lieber Martin, es gibt (oder gab) Messinglinien in 3 p, z. B. von D. Stempel
Klaus am 4. April 2011 # :
“Ich als Schweizerdegen verweigere nicht nur das Sperren von Gemeinen, sondern auch das Zusperren der Haustür.”
Übrigens: Letzteres immer noch?
Dirk Borgmann am 4. April 2011 # :
Besonders schön finde ich den Rahmen um die Begriffserklärung “Fische”. Schöne Seite, das hat was, auch wenn ich nicht alles verstehe.
MZS am 6. April 2011 # :
Besten Dank für die Anmerkungen!
Ich kenne mich mit Ysenbräu auch nicht aus. Ja gibt’s denn das?
Zu Kommentar 3: Vor etlichen Jahren habe ich einen Text in einem von Max Goldt herausgegebenen Haffmanns-Raben veröffentlicht, und wenn ich nicht irre, war das die etwas sperrige Überschrift des Textes, der offenbar aufgefunden wurde bei archäologischen Untersuchungen. Ja, haustüren muß man nun wirklich nicht mehr zusperren, und Gemeine gleiche ich in großen Graden zwar aus, würde aber das Spationieren nach wie vor verweigern.