Visitenkarten aus der Winkelgasse
Winkelgasse nennt sich die schmale Ladenstraße in der Parallelwelt Harry Potters. Den ersten der Filme sah ich kürzlich. Ich war sehr angetan. Inzwischen habe ich die anderen Filme auch gesehen — die Lindenstraße der ARD bietet mehr Spannung als das fortsetzungsbedingte Ringen um gute Ideen dieser sicherlich sehr hübschen Kapitalanlage. Für den nächsten Tag nach meinem schönsten Harry-Potter-Film-Abend hatte sich ein gewisser Herr Becker zur Beratung angemeldet. Freilich fiel mir seine stattliche außergewöhnliche Erscheinung auf, aber einem Berliner rennt der Puls nicht davon, wenn Menschen sich etwas eigen gewanden.
Visitenkarten also wurden gewünscht, geschäftliche. Um welches Geschäft es sich handele, wollte ich wissen, denn einem Bankier werde ich einen anderen Entwurf anbieten als einem Kuchenbäcker. Herr Becker wünschte die Bezeichnung Wundermacher auf der Visitenkarte, denn sein Beruf sei der des Magiers. Nun ging mein Puls doch rascher, und ich finde diese Verkettung zweier Ereignisse noch immer seltsam. Da schaue ich mir nun wirklich selten Kinderfilme mit Zauberern an, dieser hier hatte mich sogar gerührt und begeistert, mich hineingezogen in die Welt der Zauberer und Hexen und ihrer Schüler auf Hogwarts. Und ich drucke nun seit fast dreißig Jahren Visitenkarten, hatte aber noch nie für einen Zauberer gearbeitet, und nun stand plötzlich einer leibhaftig in meiner Werkstatt, und es fühlte sich so an, als sei dieser Besuch die Folge meines Film-Vergnügens, allerdings eben von Herrn Becker vorhergesehen, ja offenbar geplant, denn den Termin hatten wir vereinbart, bevor ich die DVD überhaupt hatte. Seltsam. Überaus merkwürdig.
Günstig für die Beratung des Entwurfs war, daß ich den Film nun kannte, denn Herr Becker wünschte sich eine Karte, die in das Ambiente des Geschäfts für Zauberstäbe aus der Winkelgasse passen würde. Gewöhnlich fertige ich nicht so viele Entwürfe an, meistens gibt es eine oder zwei Grundlinien, an denen im Laufe der Entwurfsberatung nur noch Details geändert werden. Aber weil ich so selten für Magier arbeite und Freude daran hatte, habe ich ein wenig mehr skizziert (PDF) als gewöhnlich.
Der Zauberer entschied sich für Entwurf Nummer 8. Die Vorderseite ein wenig stärker geprägt, denn diesen Entwurf konnte ich ohnehin nicht vom Bleisatz drucken, sondern ließ eine Metallplatte nach der digitalen Vorlage ätzen. Damit kommt man tiefer ins Papier, denn mit dem weichen Blei läßt sich nicht prägen, wenn man die Lettern lange bewahren möchte. Die Internet-Adresse auf der Rückseite wurde mit geringerer Schattierung auf den aus Schottland stammenden, zart cremegetönten Feinkarton gedruckt. Mit einem Farbschnitt in Englischrot wurden die Schnittkanten veredelt. Für die freundliche Erlaubnis, die Arbeit hier zu zeigen, danke ich dem Wundermacher Jan Becker.
tags: farbschnitt, kalligrafie, prägedruck, schreibschrift, visitenkarten
Heike May am 18. Januar 2011 # :
Ich bin verzaubert – allerdings von Deinem Wunder. Obwohl, so ein Herr Becker…der hat schon was!
Aber Deine Entwürfe sind eher umwerfend. Da kann sogar nocheinmal ein Wundermacher staunen.
LG Heike
von Made-by-May
Tom am 18. Januar 2011 # :
Ganz wunderbar – ich bin wirklich begeistert. Hatte garnicht realisiert, dass es auch Visiterkarten bei der Druckerey gibt… Aus gegebenem Anlass: Gibt es eine Preisliste?
small caps am 18. Januar 2011 # :
Sehr schön! Mit Farbschnitt, toll.
Und welch lustiger Zufall. Ich warne daher lieber vor den Vampirfilmen :)
MZS am 18. Januar 2011 # :
Vielen Dank für die Blumen!
Akzidenzen sind das tägliche Brot der Druckerey, deshalb gibt es das Schaufenster. Preislisten stehen hier, sie werden bald überarbeitet, vorläufig sind sie gültig.
Rossella am 4. Februar 2011 # :
Wundervoll wie sich Begebenheiten manchmal auf unerklärlicherweise zusammenfügen…