Urgesteine und Umstrittene
Dieser Anblick, verehrte Leser, diesen Acker mit Reihen und Furchen anzuschauen, das ist für mich erhebend. Einerseits die geordnete Umgebung, der rechteckige Rahmen, die genauen Maße, die Präzision der Form — andererseits die wortbildenden Lettern, denen sprachliche Unordnung innewohnt. Es dauert ein Weilchen, einen solchen Entwurf zu berechnen, in diesem Fall habe ich einen digitalen Entwurf gemacht, und den Text zu pinnen, wie wir früher sagten, wenn mal Werksatz (Paketsatz) anzufertigen war. Man füllt den Winkelhaken einige Male, bis eine solche Kolumne fertig ist.
Und in dem Moment, da ich diese Zeilen schreibe, ist der Satz bereits gedruckt und schon wieder abgelegt, denn mir fehlt inzwischen Platz, um Kolumnen dieser Größe zu lagern. Ist das aber nicht ein schönes Bild eines “temporären Werkes”? Nur Mittel zum Zweck, nur dazu da, um auf Papier gedruckt zu werden, aber an sich schön und vielleicht wegen seiner Vergänglichkeit für den Schriftsetzer, der es Letter für Letter zusammengesetzt hat und alle feintypografischen Details des Textes während der Arbeit an der Zeile im Winkelhaken bestimmt hat und so genau kennt wie sonst niemand, ein bewegender Anblick.
Es handelt sich um die kursive Walbaum in Petit (8 Didot-Punkt), eine der schönsten Schriften meiner Werkstatt.
Auf der linken Seite ist Monotype-Satz aus Hamburg zu sehen. Schrift: Plantin. Im gebundenen Buch wird der Druckbogen so freilich nicht zu sehen sein, das paßt ja überhaupt nicht zueinander.
Wenn dieser Zwiebelfisch nicht von der Schriftlinie abweichen würde, hätte ich ihn wahrscheinlich nicht bemerkt. Die Letter selbst mißt 3 Millimeter Kopfhöhe, so ein i ist etwas mehr als ein Drittel davon.
Die Texte von Max Goldt in diesem Büchlein sind alle gut. Ich habe sie ausgesucht aus einer größeren Auswahl, in der kein schlechter Text befindlich gewesen. Dieser hier gehört zu den Texten, in denen man das so ernstgemeinte wie dusselige Gerede der eigenen medialen Umwelt wiedererkennt und ins Komische gezogen sieht: Eine “umstrittene Balalaikaspielerin”, ein “CDU-Urgestein” (huh!), ein “irre populärer Kunsthonigexperte”. Schon das WORT Kunsthonigexperte haut mich um. Ich sehe ihn vor mir, mit einem geschichtsträchtigen (gemeint wäre anekdotenbehafteten) Löffelchen in der Aktentasche; Halbglatze, Brille, Bart, Lederbundjacke, Jeans, ein lockerer, gern gesehener Talkshowgast, der, das Herz auf dem rechten Fleck, als unbestechlich gilt in allen Fragen rund um den Kunsthonig, in welchem natürlich viel mehr steckt, als der Laie auch nur ahnt. Und dieser hochkarätige Spezialist heißt dann auch noch Bernhard Behrend. Behrend, Bär rennt, Kunsthonigexperte — mich erheitert das ganz außerordentlich, und ich summte wie ein fleißiges Bienchen, als ich diesen süßen Text mit Gutenbergs Mitteln vervielfachte.