Unger-Fraktur analog und digital
Der obere Schriftzug im Foto kommt aus dem Tintenstrahldrucker, der untere aus dem Tiegel. Unten Bleischrift, oben die digitale Version von Delbanco. Es handelt sich um eine 8p-Schrift (Petit), die hier also sehr stark vergrößert gezeigt wird. Deswegen auch die Fransen am Tintenausdruck.
Die Unterschiede gehen nicht auf eine Abnutzung der Blei-Type zurück, die kleinen Grade der Unger-Fraktur waren tatsächlich ein eigener Schnitt, also weiter in den Punzen (Binnenräumen), auch weniger kantig, im g wurden Brüche getilgt.
Das zweite Bild zeigt drei Bleilettern. Ab Korpus (10p) ist die Fraktur im g wieder zu sehen, die aus dem Petit-Grad für Lesbarkeit rausgebügelt wurde. Aber auch einige andere Dinge wurden in der digitalen Version verändert, ein paar sind im oberen Foto rot markiert. Die Schrift läuft in Petit digital deutlich enger, ist aber auch weniger gut zugerichtet als die in Blei: “digi” steht enger als “ital”. (Alle Fotos lassen sich durch Klick vergrößern.)
(Den Schmitz an der Unterlänge vom g habe ich erst später beseitigt, das ist ein Foto vom Andruck.)
tags: bleischrift, petit, punzen, schmitz, unger-fraktur
Peter Wiegel am 24. November 2010 # :
Das Problem mit den verschiedenen Entwurfsgrößen ist ein generelles in der Font-Erstellung und betrifft die großen Foundries mit ihren oft mehrere tausend Euro teuren professionellen Font-Pakete genau so. Selten finden man Schriften in sehr kleiner Entwurfsgröße. Gelegentlich noch eherr einen „Headline“ Font in besonders großer Entwurfsgröße. Auch wissen viele Schruiftnutzer – selbst ausgebildete Mediengestalter nicht, warum sie für eine Schriftgröße z.B. unter v8 Punkten jetzt einen anderen Font nutzen sollten.
Zudem ist es für Ersteller von Computerschriften, wie auch mir, sehr schwierig, an die im Detail anders gestalteten Schriftgrößen in für die Digitalisierung durch nachzeichnen ausreichender Qualität heran zu kommen. Alte Drucke sind da in der Qualität, gerade in sehr kleinen Druckgrößen einfach ungeeignet, so zeichnet man eben seine Glyphen nach einer in 14 Punkten oder größer gedruckten Vorlage, weil man hier die Konturen am besten noch erkennen kann. Zugang zu den original Bleilettern, von denen man dann eine hochauflösende Makro-Aufnahme machen kann, haben die wenigsten von uns. Aber nur damit würde man dann auch die kleinen Entwurfsgrößen in einem extra-Font berücksichtigen können. Einer automatische Anpassung über OpenType-Funktionen und mehrfach im Font angelegter Glyphen klappt ohnehin aufgrund mangelnder Softwareunterstützung noch nicht.
MZS am 25. November 2010 # :
Herzlichen Dank für die Erläuterung! Ist doch schön, wenn künftige Generationen noch Verbesserungen schaffen können.
Andreass am 25. November 2010 # :
Gerade bei der Unger Fraktur gibt es auch schon viele Varianten bei den Bleisatztypen.
Fast jede deutsche Schriftgießerei hatte die “Original Unger Fraktur” im Angebot. Fehlende historische Grade wurden durch Neuschnitte ergänzt. Die Neuschnitte sehen auch tatsächlich neu aus. Dazu gesellten sich oft auch “Unger Fraktur Neuschnitt” Varianten.
Ähnlich sieht es bei der Original Schwabacher aus, von der es mindestens drei als historisch anzusehende originale Designs gibt, die natürlich recht unterschiedlich sind und aus verschiedenen Quellen stammen.
MZS am 25. November 2010 # :
Aha! Interessant! Ich habe eine Unger-Fraktur von Stempel mit Mediävalziffern und eine Unger-Fraktur von der Schriftgießerei Wagner mit Versalziffern. Allerdings sind es angeblich dieselben Matrizen (bis auf die Ziffern), die von Wagner bei Betriebsschließung an Stempel gingen. Von mehreren Ungers höre ich heute erstmals. Nach meiner Kenntnis wurde die Original-Unger-Fraktur nur von Berthold in Berlin und Stempel in Frankfurt angeboten, wobei Berthold zwei Schriftgrade mehr hatte. Andere Frakturen wie die Breitkopf wurden lt. Seemann von vier Gießereien angeboten. Ich dachte immer, die Schriften seien bildgleich, sie sind im Seemann als identische angezeigt. Nun ja, was an den Bleischriften des 19. Jahrhunderts übrig ist von Ungers Unger-Fraktur — hoffentlich doch der Gesamteindruck.