Aufwendige Visitenkarten
Wer grafisch am Computer arbeitet, entwickelt oft ganz andere Entwürfe als ein Akzidenzsetzer wie ich, der Typografie gewissermaßen aus dem Setzkasten heraus denkt. Designer wie Patrick O. Wodtke erinnern mich aber trotzdem an früher. Als ich noch angestellter Schriftsetzer in einer Akzidenzsetzerei war, bekamen wir von Gebrauchsgrafikern Skizzen, die wir nachbauten. Axel Bertram war in der Buchdruckerei Rapputan in der Berliner Friedrichstraße dafür bekannt, besonders enge Wortzwischenräume im Satz zu bestellen, anders als wir es gewöhnlich handhabten.
POW wünschte sich Visitenkarten, die auf einer Seite mit einer Farbfläche im Beschnitt bedruckt waren, darin negativ eine Grafik, auf der Rückseite eine digital gesetzte Schrift. Beides war also nicht vom Bleisatz zu drucken, sondern vom Klischee. Die Karten sollten mit einem Farbschnitt ausgestattet werden. Als Farbangaben wurden mir Nummern aus dem HKS-Farbfächer genannt. Ich danke Herrn Wodtke für die freundliche Genehmigung, die von ihm entworfenene, gesetzte und gezeichnete und von mir ausgeführte Arbeit hier zeigen zu dürfen.
Das Klischee mußte also größer angelegt werden als das Format der Karte, um den Schnitt in die Farbfläche hineinsetzen zu können.
Das Papierformat brauchte einen Rand über die Druckfläche hinaus, damit es in der Maschine befestigt werden konnte. Gewöhnlich drucke ich auf das Endformat und setze den Farbschnitt vor dem Druck an.
Die dunkelbraune Farbe habe ich von Hand gemischt. Selbst wenn ich die entsprechende HKS-Farbdose im Regal hätte: Im Buchdruck ist der Farbauftrag höher als im Offset, mit dem der Farbfächer gedruckt ist. Das Papier mit der filzmarkierten Oberfläche und die Farbfläche des Druckbildes brauchen einen extra hohen Farbauftrag.
Eine Farbe aus der Dose würde dadurch dunkler scheinen als die Vorlage auf dem Farbfächer. Dem müßte also durch Aufhellen der Farbe entgegengewirkt werden. Dann mische ich lieber gleich. Hier also ein dunkles Braun, dazu ein Löffelchen kaltes Rot, eine Messerspitze Orange und ein Stritz Schwarz.
Nach dem Drucken und dem Beschnitt sowie dem Anschleifen der Schnittflächen wird die Farbe auf die Schnittflächen aufgetragen. Auch diese Farbe ist von Hand gemischt nach Angabe einer HKS-Farbe. Nach dem Auftragen wird die Farbe poliert und mit einem dünnen Lack überzogen.
Vor dem Schneiden wurden die Drucke mit dünnem Papier durchschossen. Der Preßbalken und das Messer in der Schneidemaschine üben einen so hohen Druck aus, daß die Farbe der Farbfläche unweigerlich auf der Rückseite der nächsten Karte abziehen würde. Außerdem wird der Papierstapel für den Farbschnitt sehr hohem Preßdruck ausgesetzt. Nach dem Schneiden habe ich die recht fest haftenden Zwischenlagen abgezogen, aber für das Verpacken zwischen den Karten gelassen, denn auch Abrieb in einem festen Päckchen wäre unschön.
Immer wenn sich ein Designer mit einer Anfrage meldet, bekomme ich es erst einmal ein wenig mit der Angst zu tun. “Designer” ist keine geschützte Berufsbezeichnung, und auch wenn es das wäre, gibt so ein Wort noch keine Garantie für typografisches Verständnis. Aber bislang hatte ich Glück mit meinem Designer-Kunden. Typografisch ist auch an diesem Entwurf von Patrick O. Wodtke nichts auszusetzen, der Schriftsatz in der PDF-Vorlage, die ich für die Klischeeherstellung benötige, war einwandfrei. Von Designern dieser Güteklasse kann ich lernen, und sie fordern mich technisch heraus: Die Kombination von Farbfläche im Beschnitt, zweiseitigem Druck und Farbschnitt erfordert genaue Planung.
tags: farbschnitt, klischee, letterpress, visitenkarte
Simon Wehr am 4. September 2009 # :
Die Bello macht doch immer wieder Spaß!
Martin Z. Schröder am 4. September 2009 # :
Danke für den Hinweis! Überrascht stelle ich eben fest, daß ich mich für die Schrift gar nicht näher interessiert hatte, weil ich so sehr mit der Druck- und Veredelungstechnik befaßt war. Die Bello erschien 2005 bei Underware.
Florian am 13. September 2009 # :
Aufwändig? Da gibt es aber wesentlich besseres!
Gut, daran wurde auch 25 Jahre entwickelt, aber das Ergebnis zählt.
P.S.: Das „??aufwändig??” sollte ganz ohne Aufwand für das nötige Reizklima sorgen.
Martin Z. Schröder am 13. September 2009 # :
Reizklima — ist das was für oder gegen den Husten?
Danke für den Link! Der arme Mann wäre in meiner Werkstatt unbedienbar. Und ich wäre froh, wenn er, angenommen er besuchte sie, sie ohne etwas zu zertrümmern vor Wut über meine unspektakuläre Arbeit verlassen würde. Aber vielleicht ist der Film nur ein Spottfilmchen und der Fanatismus nur ein Schauspiel. Es ist zwar alles möglich, aber man muß ja nicht immer dabeisein.
Florian am 13. September 2009 # :
Gern geschehen.
Es ist wohl leider kein Witz:
time.com
suntimes.com
Aber offensichtlich funktioniert das Konzept. Ich tratsche es ja auch weiter.
Martin Z. Schröder am 13. September 2009 # :
Hatte ich schon erwähnt, daß man mit von mir gedruckten Visitenkarten binnen zwei Stunden 5 Millionen verdienen kann?