Berliner Visitenkarten | Nr. 2
Schwarzer Farbschnitt, wie kann man einen schwarzen Farbschnitt so bringen, daß die Visitenkarte nicht düster wirkt? Wie sortiert man welche Gestaltungmittel dazu? Die zweite Visitenkarte der kleinen Serie für R.S.V.P. ist gedruckt, das Modell “Adolf Glaßbrenner”. Der einzige Berliner Lokaldichter, soviel ich weiß. Und fast vergessen. Lebte von 1810 bis 1876 und machte Berliner Figuren wie den Eckensteher Nante und das Blumenmädchen über seine Zeit hinaus bekannt. Nante und Blumenmädchen gab es in meiner Kindheit, also in den 70er Jahren, im Treptower Park als Souvenirpuppen zu kaufen. Noch heute gut lesbar sind Glaßbrenners witzige Geschichten um den Privatier Herrn Buffey.
Der Berliner Don Quixote war ein von Glaßbrenner gegründetes Unterhaltungsmagazin, was drinstand, weiß ich nicht. Die Schrift auf der Visitenkarte ist jünger als Glaßbrenner. Es handelt sich um die Fundamental halbfett kursiv. Sie wurde 1938 erstmals gegossen in der Schriftgießerei Ludwig Wagner, Leipzig. Gezeichnet hat sie Arno Drescher, der auch Maler war. Seine vor der Fundamental entstandene “Super Grotesk” wurde die meistverwendete Serifenlose in der DDR.
Diese Visitenkarte hat ein kleines schwarzes Eselsohr bekommen. So wird ein schlichtes geometrisches Gebilde zum Ornament. Und der Karton ist graublau, das mindert die Härte des Farbschnitts. Mit dem Farbschnitt ist es so eine Sache. Auf den Fotos hier setze ich ihn freilich ins Licht, aber wenn man eine solche Karte in der Hand hält, sieht man den Farbschnitt erst beim dritten Hinschauen, wenn er nicht gerade knallrot ist oder hellgrün. Hat man ihn aber erst einmal entdeckt, kann man ihn nicht mehr übersehen. Man sucht ihn immerzu, weil diese farbige Linie so fein ist, eben nur so fein wie das Papier dick ist, und trotzdem so — hat man sie erst einmal entdeckt — unübersehbar erscheint.
John56 am 21. Mai 2009 # :
Das ist aber ein sehr ordentliches Eselsohr. Dem fehlt so ein bisschen das Eselohrige. Vielleicht könnte man das Dreieck etwas kippen? Oder kann man ein Eselsohr einprägen?
MZS am 21. Mai 2009 # :
Man kann das alles tun, auch prägen, aber Typografie sollte nicht naturalistisch werden wollen und dem Betrachter gestatten, nach Belieben selbst von der strengen Form abzuleiten. Eine Prägung muß sorgfältig überlegt eingesetzt werden, denn sie manövriert gefährlich nahe am Schnickschnack. So sehe ich das.
Jeeves am 21. Mai 2009 # :
Interessante Kleinigkeit nebenbei? = Auf dem Grabstein (*) des Berliner Don Quixote steht: ADOLF GLASSBRENNER, mit Doppel-S, was wohl den VERSALIEN zu verdanken ist.
(*) Friedhof zwischen Mehringdamm und Zossener Straße
MZS am 21. Mai 2009 # :
Ha! Gerade ein Steinmetz hätte doch ein schönes Versal-ß meißeln können. In den in meinem Besitz befindlichen Büchern heißt er immer Glaßbrenner, aber er hat verschiedene Künstlernamen benutzt. Geboren als Glasbrenner nannte er sich etwa auch Brennglas. Wenn ich mich jetzt recht erinnre.
Nante am 2. Juni 2009 # :
Das ist ja ein interessanter zeitgeschichtlicher Artikel.
In Zeiten, als ich noch Tiefdruck, Flachdruck (Lithografie) und den Hochdruck künstlerisch verfolgte, habe ich die schwarze Druckfarbe mit braun, rot, … gebrochen. Dadurch wirkt die Farbe Schwarz(was oftmals passiert) nicht so stumpf.
Zum 200. Geburtstages des Schauspielers Friedrich Beckmann, der den Eckensteher Nante (von Glasbrenner geschaffene Figur) spielte, entwickelte ich ihm zu Ehren den Altberliner Bastelbogen NANTE.
Berlin hatte diesen Geburtstag vergessen.
Aber mehr zu Nante, der Marke und Veranstaltungen auf meiner Seite www.nante.de. Mal bei Geschichte, Presse, Spielstraße klicken. Oder eben einfach mal bei Eckensteher Nante googeln.
Gibt bestimmt noch interessantes zu entdecken.
Weiterhin viel Erfolg und natürlich Freude beim Entdecken.
Kommt jut übern Damm.
Euer Eckensteher Nante