Gußfrisch und frisch geschnitten
Derzeit ist so viel Betrieb in der Werkstatt, daß ich kaum Zeit finde, davon zu erzählen. Ich muß Notizen machen und später etwas nachholen. Heute zeige ich zuerst noch eines der Ornamente aus Leipzig vom Druckkunstmuseum, das mir ausnehmend gut gefällt und das ich zusammen mit einer Schriftprobe gedruckt habe. Zwei beinahe gußfrische Grade der Compliment kaufte ich vor ein paar Wochen vom führenden deutschen (wenn nicht gar westauropäischen) Bleisatzhändler Georg Kraus. Es dauert immer eine Weile, bis die Schriften ausgepackt und in Setzkästen untergebracht sind und dann noch eine Weile, bis ich dazu komme, sie zu drucken. Aber nun waren der Reize zwei: Ornament und Schrift.
Nach Angaben von Georg Kraus wurde die Compliment von Helmut Matheis entworfen und erstmals 1965 von der Gießerei Ludwig & Mayer in Frankfurt gegossen. Diese Schrift hat nicht das Zeug zu einem Klassiker, es ist eine anständige Schreibschrift für Akzidenzen, die den Zeitgeist der 50er und 60er Jahre spiegelt, etwas altbacken, aber handwerklich gut gemacht. Mir gefällt eine gewisse Härte oder Schärfe in den deutlich kalligrafischen Zügen, die etwas manirierte Spitzigkeit. Die Schrift ist nicht originell, hat keine große Eleganz, und meinem Druckschüler Dale, der in den Ferien mal für zwei Stunden zur Arbeit an seinem Büchlein kam, fiel gleich der Haken auf dem u auf, worauf ich ihm die Herkunft dieses Diakritikums aus der deutschen Kurrent zeigte. Man kann in der Kurrent bis 1941 n und u ohne das Häkchen gar nicht unterscheiden. Voran steht noch das e der Kurrent, das den beiden andern Figuren ähnelt und den Schreiber so zur Sorgfalt zwingt.
Dale hat einen Linolschnitt gemacht, und falls die Zeichnung nicht zu erkennen ist: Wenn sie als Illustration in seinem Buch steht, wird man sofort sehen, worum es sich handelt. Er hat den Schnitt dann auch gleich gedruckt. Und ich freue mich sehr auf das fertige Büchlein. Eine Weile brauchen wir noch. Einstweilen zeige ich hier die Sammlung meiner Linolschnittmesser. Ich weiß nicht mehr, woher sie kommen. Ob ich sie 1972 schon als neu besaß oder später im DDR-Ausverkauf mitnahm. Die Messer selbst taugen wenig, sie sind einfach nicht scharf. Ich habe die hölzernen Halter mit Messern der Firma Brause ausgestattet. Dazwischen liegt noch ein Kunststoff-Messerhalter aus der DDR sowie ein Holz-Messerhalter von heute. An der Verpackung gefällt mir der auf die Feder gestützte Bär mit der beeindruckenden Hüfte und dem halbkreisförmigen Bauch und den schlanken Füßen ausnehmend gut. Damals war Gebrauchsgrafik noch ein Handwerk auch des Zeichnens, und man hatte damals noch Freude an grafischen Zeichen. Der leider oft ausschließliche Computergebrauch hat die gebrauchsgrafische Sprache verflacht. Man sieht so viele Stilisierungen und stilisierte Zeichen, daß es schon nur noch geometrische Zeichen sind, und sie sind allesamt leicht zu verwechseln, ob sie nun an Finanzinstituten pappen oder an Hygienepapierfabriken. Dieser Linolschnittmesserherstellerbär zeigt freundliche, lässige Selbstironie. Das ist den heutigen Zeichen fremd. Vielleicht weil der Konsum wichtiger genommen wird und Marken zu Ikonen geworden sind?
tags: compliment, helmut matheis, kinder, kurrent, linolschnitt, ludwig & mayer
Florian am 21. April 2009 # :
Schön! Hier gibt es eine Kurrentschrift mit ausgeprägtem u-Diakritikum zu sehen. Und auf der sowieso empfehlenswerten Seite faql.de wird anhand des – zugegebenermaßen nicht so häufig vorkommenden – Wortes ›Aluminiumminimumimmunität‹ demonstriert, warum dieses Häkchen in Kurrentschrift essentiell war.
MZS am 21. April 2009 # :
Das sind aber schöne Links, an dem zweiten kann man sich festlesen. Vielen Dank!