Ratte zu Gast
Das Drucken mit der jungen Jugend geht freilich weiter. Wir hatten nun den dritten Termin, acht sind es in diesem Kurs insgesamt. Ob wir dann den Kurs weiterführen und in welcher Besetzung, entscheiden wir, wenn wir mit dem ersten fertig sind. Bislang sind meine Gäste noch fleißig und mit Freude zugange. Gustav erwies der Druckerey die Ehre, seine Ratte mitzubringen. Ein geschecktes Tier, das mich an eine Hyäne erinnert. Blaue Schlitzaugen und Pranken wie ein Maulwurf. Sehr still saß es auf dem Setzkasten und betrachtete aufmerksam das Treiben seines Herrn. Welcher erst einmal eine Weile mit Nachdenken beschäftigt war und sich dann entschloß, ein Geschäft mit feinen Postkarten zu gründen. Er dichtete ein Gedicht, setzte dieses aus der Garamond ab, hieß mich zwei Linien hinzuzufügen für handschriftliche Ergänzungen des Postkartenbenutzers, trat in Urheberrechtsverhandlungen über die Nutzung des letztes Mal fertiggestellten Linolschnittes von Robert für die Rückseite und druckte eine recht ordentliche Auflage der Vorderseite, für deren Verkauf er mir die Hälfte seiner Einnahmen zusicherte. Nächstes Mal werden wir der zu illustrierenden Rückseite nähertreten. Von der Einbeziehung des Fachhandels habe ich abgeraten, weil der Gewinn im Direktvertrieb höher ist. Und wenn Gustav nur 50 Cent pro Karte im Verkauf nehmen will, können wir den Einzelhandel daran nicht partizipieren lassen. Dale war der Meinung, der Preis sei zu niedrig, und ich wies daraufhin, daß man im Schreibwarengeschäft für eine so aufwendig gedruckte Karte locker 3 Euro zu zahlen hätte.
Während Dale mit der Arbeit an seinem Gedichtband fortfuhr (nächstes Mal müssen wir doch mit dem Drucken anfangen, ich weiß gar nicht mehr, wo ich all diese Gedichte hinstellen soll) und Freyja ihr Visitenkartengeschäft ausbaute, versuchte sich Annalisa, nachdem sie ebenfalls noch eine Karte gedruckt hatte, in der Kalligrafie mit der Breitfeder, denn ich habe sowohl Federn, Tinte als auch Vorlagen in der Werkstatt, und Annalisa stand der Sinn nach einer kontemplativen Tätigkeit. Ich war angenehm überrascht von den Erstversuchen, zumal ich selbst mit dieser Breitfeder bislang nicht reüssieren konnte.
Robert druckte eine Visitenkarte für seinen Vater, in die er ein Auto einfügte aus meinem Fundus alter Druckstöcke. Diesen flotten Wagen hatte ich selbst zuvor nicht gedruckt gesehen. Freilich drucke ich das Fahrzeug auf Wunsch auch in die Visitenkarten meiner verehrten Kunden, es ist überaus ziersam. Robert zeichnete noch ein bißchen mit der Spitzfeder und dichtete dann ebenfalls eine Textkarte, die wir allerdings nicht mehr drucken konnten. Allgemein wurde erneut festgestellt, daß die Zeit sehr schnell vorbeigeht. Am Schluß fragte mich Gustav, ob ich mir wohl wünschte, daß seine Ratte nun immer mitkäme in die Druckerey, und ich habe sie herzlich eingeladen, dies zu tun. Wir werden sehen, ob so eine Ratte das in ihrem Terminkalender unterbringen kann. Mir erschien es sehr charmant, mit einem Plüschtier herumzulaufen und ich überlegte, ob es nicht auch manche erwachsenen Leute zugänglicher erscheinen lassen würde. Aber vielleicht warten wir lieber die Durchsetzung des Herrenrockes und der modischen Perücke ab, bevor wir die Attraktivität des Plüschtiers entdecken. Und auch die an Taschen, Autorückspiegel und Schlüsselbunde geknüpften Mini-Teddybären als Prekariats-Symbole müßten erst vollkommen aus der Welt gekommen sein.
tags: kinder
Christian Lembrecht am 3. März 2009 # :
Bestärken Sie Gustav bitte in seiner Idee, feine Postkarten zu entwerfen & zu vertreiben; ich kaufte ihm einige ab.
MZS am 6. März 2009 # :
Diese Ankündigung ist eine bedeutende Bestärkung des Unternehmens. Ich werde berichten und danke schon mal!