Schräge Halbgevierte in Schülerhänden
Es hat wieder ein neuer Kurs der Freien Grundschule in meiner Werkstatt begonnen. Fünf Schüler kommen diesmal. Beim ersten Mal haben wir Visitenkarten gesetzt und gedruckt, ohne großen Aufwand, nur um das Handwerk und seine Möglichkeiten ein wenig kennenzulernen. Mir schwebt ja wieder eine Art Büchlein vor. Nächstes Mal werden wir beschließen, wie wir die Termine nutzen.
Eigentlich haben wir knapp drei Stunden Zeit pro Woche. Und das nach der Schule. Trotzdem konnten sich zwei Buben nur sehr mit Mühe von der Werkstatt trennen. Gustav, der schon einiges über den Bleisatz von Peter Lustig aus dem Fernsehen erfahren hatte, führte seine Mutter und die beiden Brüder, die ihn abholten, so ausführlich durch die Offizin und zeigte die Maschinen, als sei er dafür ausgebildet worden. Und Dale hängte zwanzig Minuten an, um seine Arbeit fertig zu machen.
Dale hat mich richtig überrascht, als er mir den Winkelhaken mit seiner zweiten Arbeit zeigte. Er hatte den Namen (in den Fotos wg. Datenschutz teilweise geschwärzt) aus dem Schriftgrad Cicero gesetzt (Schrift: Pracht-Antiqua), dann aber wieder am Petit-Kasten gearbeitet und die Cicero-Zeile gleich dort ausgeschlossen. Als ich den Winkelhaken so sah wie auf dem Foto, war ich erst einmal verdutzt.
Der Knabe hatte mit Petit-Quadraten und Ausschluß ausgeschlossen, dann die Lücke entdeckt und exakt mit Halbgevierten auf Cicero-Stärke die Zeile ergänzt. Ich mußte lachen, als ich das sah. Und hab rasch meinen Fotoapparat geholt. Dale meinte wohl im ersten Moment, ich wolle mich darüber lustig machen und wehrte ab, aber ich erklärte ihm, daß ich seine Ausschluß-Methode als Erfindung gar nicht hoch genug schätzen könne. Es wirkt erst einmal komisch, wenn der Setzer das sieht, aber dann muß er doch erkennen und anerkennen, daß hier ein Neunjähriger nach drei Stunden ein handwerkliches Prinzip begriffen hat, nämlich das der geschlossenen Druckform, und sich einen Weg gesucht hat, der im Schließrahmen sogar funktionieren könnte. Ich bin begeistert. Geändert habe ich es trotzdem, denn wir arbeiten nach den überlieferten Regeln der Kunst, nicht nach unseren eigenen.
Auf diesem Bild sieht man, wie der junge Setzer sich das gedacht hatte. Dies ist einer der Punkte, an dem ich es außerordentlich schätze, mir die jungen Menschen ins Haus geholt zu haben — in der eigenen Werkstatt eine technische Vorführung zu bekommen, passiert ja sonst nicht. Die Ausschlußstücken da so schräg stehen/liegen zu sehen, ist ein freches, ein amüsantes Bild für den Setzer, denn so etwas machen wir nie. Die Satzform ist ein geschlossenes Gebilde, von Rundsatz und dergleichen abgesehen.
Auch sonst war es höchst angenehm, wie die Jugend die Werkstatt entdeckte: erfreut und unternehmungslustig. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.
tags: kinder
Ralph Hadem am 14. Februar 2009 # :
Lieber Martin Schröder,
mit großem Vergnügen lese ich Ihre Notizen im Blog. Mit der Jugend ist es so eine Sache: Wir haben inzwischen mehr als 10 junge Menschen zu Mediengestaltern, Medienberatern und Digitaldruckern ausgebildet. Wenn ein junger Mensch echtes Interesse zeigt, ist das eine wunderbar befriedigende Sache. Es gibt leider viel zu wenige davon.
Viele Grüße aus der digitalen Druck-Welt
Ralph
MZS am 14. Februar 2009 # :
Ist so eine Sache mit dem Interesse. Irgend eines haben alle, aber viel zu oft wird die Resignation gefördert. Ich habe vergessen, was es in meinem Kurs war, das einer der Schüler sagte und worauf ich antwortete, man solle bei seinen Interessen bleiben und sich nichts erzählen lassen; ich beispielsweise hätte immer nur gemacht, was ich wollte. Und kaum das, was ich sollte. Was zu der vielfachen Kritik in meinen Schulzeugnissen führte, mein Lernen sei “zu” interessengeleitet und zu wenig an dem orientiert, was ich lernen sollte. Die pädagogische Auffassung von Lernen kann einen zur Verzweiflung bringen.
Nicole/momo am 14. Februar 2009 # :
Lieber Herr Drucker,
mir lief ein angenehmer Schauer über den Rücken beim Lesen. Diese Freude Ihrer jungen Gäste ist Gold wert. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis, als ich kürzlich mit einem Erstklässler und seinem Vater in einem Aquarium war und der kleine Mann nach dem Rundgang sofort noch einmal durchgehen wollte — was wir auch getan haben! Als Biologin freut mich dieses Interesse natürlich sehr. :o)
Herzliche Grüße aus F’hain!