Kritisch beäugt
Gestern erschien im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung dieser Verriß, den ich für nötig hielt, weil man so ein schlechtes Buch nicht durchgehen lassen darf, ohne wenigstens eine begründete Meinung dazu zu äußern. Den einzigen Lustgewinn konnte ich aus der Sekundärliteratur ziehen, auch wenn ich sie schon oft angeschaut habe. Das im Text genannte Buch von Klemke zeigt viele der Alltagsarbeiten, aus denen man wirklich lernen kann, wie Anmut und Eleganz entstehen, wie sparsam und genau die typografischen Mittel dafür eingesetzt werden müssen. Über das neue Buch hab ich mich schon sehr geärgert, viel mehr als darin kann man eigentlich nicht falsch machen. Nicht nur wegen der Bildauswahl (ich weiß immer noch nicht, ob ich unfroh bin darüber, daß auch schlechte Arbeiten von Tschichold gezeigt werden, denn das kratzt an meinem Idol, oder ob ich doch froh sein sollte, weil es den jungen Tschichold in seiner ungestümen Begeisterung zugänglicher macht), sondern auch wegen der Typografie. Ein trauriges Zeugnis von Ahnungslosigkeit und Desinteresse. Wirklich sehr schade, denn ein guter, umfangreicherer Tschichold-Bildband wäre eine Pracht.
Der Drucker war über den Jahreswechsel ein wenig ins Holsteinische gereist und wurde dort von einem hinterhältigen dithmarscher Schnupfen angefallen, der ihn seit dem Neujahrstag in eine Gewaltspirale aus Schüttelfrost und ärgeren Plagen eindrehte und ihn mittlerweile anödet, dem der Drucker aber nun, ihm heldenhaft in unbeheizter Eisenbahn getrotzt habend zurückgekehrt in heimische Waffenkammer, den Garaus machen wird. Dauert noch einen Moment. Bis zum Sieg ist hier ein wenig Ruhe angesagt und wird die Kraft auf die notwendigen Gänge in der Werkstatt verwendet.
tags: jan tschichold
Nicole/momo am 6. Januar 2009 # :
Oha, dem werten Drucker dann die besten Wünsche zur raschen Genesung und trotz allem ein frohes neues Jahr!
Schnupfenvertreibende Kräuterlein rüberreichende Grüße von
Ihrer Biologin (gesund geblieben im fernen Rheinland, juchhee!)
Florian am 6. Januar 2009 # :
Zunächst einmal gute Besserung! – Bei Ihrem Verriss zu dem Tschichold-Bildband habe ich mich doch etwas gewundert. Sie schreiben, dass seit 1977, also seit dem von Klemke bevorworteten Band, kein Bildband mit Arbeiten aus dem gesamten Schaffen Tschicholds erschienen sei. Müsste man da nicht die 2007 erschienene Tschichold-Monographie von Christopher Burke erwähnen? Das Buch ist akribisch recherchiert, zeigt in über 700 (!) Abbildungen auch dem Kenner bislang Unbekanntes – gerade aus der Basler Zeit – und ist in meinen Augen sehr klug und ansprechend gestaltet (in einer vom Autor selbst entworfenen sowie einer eigens digitalisierten Schrift Tschicholds). Wurde dieser wichtige Band übergangen, nur weil er in englischer Sprache verfasst ist? Das kann doch nicht sein …
MZS am 6. Januar 2009 # :
Deutsch hätte ich dazuschreiben können, ja. Der Burke-Band dient übrigens in meinem Schaufenster als Hintergrund für die Visitenkarte von Clara Wieck; außerdem liegt mir vor Jan Tschichold. Designer. The Penguin Years von Richard B. Doubleday aus dem Jahre 2006. Im englischen Sprachraum ist über Tschichold einiges zu finden und mehr als bei uns. Möglicherweise auch in China, der frühe chinesische Farbendruck hat Tschichold ja gründlich beschäftigt. Hab ich nicht geprüft. Es wirft schon ein bestimmtes Licht auf die deutsche Typografie, auch die einschlägigen Hochschulen, wenn man den hier im typografischen Feld Tätigen kein verwertbares Interesse an Tschicholds Arbeiten zutraut und ein Anfänger-Verlag sein erstes Buch ausgerechnet über Tschichold derartig gegen die Wand fährt.
Danke für die guten Wünsche!
erik spiekermann am 9. Januar 2009 # :
„…wenn man den hier im typografischen Feld Tätigen kein verwertbares Interesse an Tschicholds Arbeiten zutraut…“
Ganz so ist es ja nicht: immerhin haben wir die gesammelten schriften im doppelband von Brinkmann & Bose. Von den beiden gibt es auch den nachdruck der Neuen Typografie (oder schreibt sich die mit ph? – ich kann es gerade nicht nachprüfen). Und etliche Tschichold werke gibt es als nachdruck bzw faksimile. Nur ein buntes buch fehlt uns, wie man an dem besprochenen band merkt, dann doch eher nicht. Ich soll das buch für die form besprechen, habe es aber aus lauter ärger seit weihnachten liegen lassen. Nun muss ich wohl doch den nächsten verriss schreiben.
MZS am 9. Januar 2009 # :
Ich würde ein buntes Buch mit Tschichold-Sachen ganz gerne immer wieder zur Hand nehmen.
Das in Kommentar 2 genannte Buch von Burke zeigt die Gebrauchsarbeiten Tschicholds für den Pharma-Konzern Roche nur sparsam, und gerade diese typografischen Alltagsarbeiten aus den Mühen der Ebene wirken, zumindest auf mich, so reizvoll. Oder: Wie macht ein Könner eine Geburtsanzeige für seinen Sohn? Das muß man bei Kapr nachschlagen. Stattdessen finden wir immer wieder endlos die Arbeiten aus der neuen Typografie, die uns heute ja nur noch zur musealen Betrachtung dienen können, nicht als Vorbilder. Die Bauhaus-Typografie fand ihre großen guten Auswirkungen dann doch eher etwa in der eleganten Magazin-Typografie von Bayer (“Neue Linie”) als in diesen rot-schwarzen Kanonaden fetter serifenloser Schriftungeheuer oder in den häßlichen Normungsversuchen.
Der späte Tschichold, der nicht so platt dekorativ auf den Laien wirkt, ist der interessante, und da haben wir wenig publiziertes Bildmaterial.
Schöne Bücher im Sinne des späten Tschicholds mit einer klassischen Anmutung macht übrigens durchweg der Lehmstedt Verlag, da kommen einem die Tränen, so fein und geschmackvoll, so zurückhaltend, klar und heiter ist das.
Aber es ist wahr, wir verdanken Brinkmann & Bose diese ausgezeichnete Aufsatzsammlung in zwei Bänden, und auch die “Erfreulichen Drucksachen durch gute Typographie” sind zu haben.