Rhombus aus Nadeln
Die Druckerey befindet sich wieder einmal im Ausnahmezustand: Es wird kein Satz mehr abgelegt, d.h. die Druckformen werden nicht mehr auseinandergenommen und die Lettern nicht mehr in die Setzkästen zurückgelegt, es wird nicht aufgeräumt, weder entstaubt noch entrümpelt, es wird nur noch skizziert, beraten, gesetzt, gedruckt — also produziert, denn: Weihnachten und der Jahreswechsel stehen an. Man sollte eines der Ereignisse in den Sommer schubsen.
Die alten Ornamente für Weihnachtsdrucksachen finden viele Typografen ein wenig gruselig. Der Setzer hat sie immer wieder vor Augen, wenn er auf der Suche nach einem Ornament die Schubladen mit den Schmakazien durchsucht — und sieht dann reihenweise dieses Tannengrün, das erstens nur einmal im Jahr gebraucht wird und zweitens keinen großen Reiz ausstrahlt. Hier gibt es keinen kalligrafischen Zug, keinen schönen Schwung, keine hübsche Zierleiste, nichts von dem, was den Setzer sonst an seinen Ornamenten erfreut. Nur Nadeln in stilisierter Zweigform. Gestrichel. Ameisenhaufen. In der Beratung für den Kunden nahm ich bislang gern einen Bogen um Tannengrün.
Nun hat mich das Schicksal in Form von sehr freundlichen Kunden mit dem hartnäckigen Wunsch nach Tannengrün mit Sternen für Grußkarten ereilt. Ich habe erst überlegt, wie ich das Tannengrün umgehen kann, wie ich es imitieren kann, aber mir fehlte die Zeit für komplizierte Umwege. Und man muß als Setzer aus allem etwas machen, das zur Verfügung steht, auch aus stilisierten Nadeln, die man nicht mag. Oft werden sie als einfache Gruppe oder, was mir sehr fad erscheint, als Rahmen zusammengebaut. Ich möchte auch keine grünen Kränze drucken. Aber warum nicht die Form ändern, warum nicht das stilisierte Grünzeug in eine noch stilisiertere weil strenge Form bringen? Das erste Foto zeigt den Bleisatz mit mehreren Größen des Tannengrüns. Das zweite Bild meine Skizzen. Auf dem Abzug rechts unten stehen die Zweige noch als etwas ungeschickte waagerechte Linien, daraufhin habe ich dann Eckstücke verbaut, wie sie für die öden Rahmen benutzt werden. Dann war mir die Sache aber wieder zu streng — hier mußte eine Achsenverschiebung her, ein zweites Parallelogramm. Dafür habe ich die Sterne eingesetzt und in dem grünen Karo auch noch ein bißchen was verwirbelt, genau zu sehen im ersten Foto, das die grüne Druckform zeigt. Die vier Teile des Karos sind nicht identisch.
Das dritte Bild zeigt die Umarbeitung der Druckform von grün zu rot: Alle grünen Elemente wurden entfernt und durch nichtdruckendes sog. Blindmaterial ersetzt, die Sterne wurden dafür eingefügt. Zum Schluß habe ich die Karte gerillt und damit eine Klappkarte daraus gemacht. Innen gab es noch einen Text, den ich hier leider nicht zeigen kann, der Diskretion wegen: Aus Garamond in dunkelgrün, auf die Mittelachse gestellt. Ich hab mich durch diesen Druckauftrag mit dem Tannengrün versöhnt. Und hätte es nicht ungern in rötlichem Blau gedruckt, aber das war nicht gewünscht. Also ist es nun zwar noch traditionell, aber als innen nicht ganz exakte Raute mit einer Achsenverschiebung doch eine das Auge nicht ermüdende Form. Oder?
Die Romana-Analyse ist nicht vergessen, aber erst einmal muß ich noch Weihnachtsgeschenke fertigen …
tags: ornament, tannengrün, weihnachten, weihnachtsschmuck
Georg Kraus am 11. Dezember 2008 # :
Fabelhaft gelöst, Kollege Schröder, sehr hübsch. Was mich leicht schmerzt: Sicher kennen Sie die diversen Weihnachtsschmuck-Vignetten von Schelter & Giesecke? Warum fordern Sie nicht im nächsten Jahr Ihren von Ihnen so oft hochgelobten Bleisatz-Lieferanten auf, seine nicht-öffentlichen (Weihnachts-)Vignetten-Schatztruhe zu öffnen? Der Kerl soll doch mal unter Beweis stellen, daß er etwas taugt! Vielleicht hat er ja sogar etwas mit Sternen, Zweigen, Schneemännern und ähnlichem? Weiß man’s? Wobei: Ihre Komposition ist viel individueller als jede Weihnachts-Vignetten-Serie der Schriftgießerei — Chapeau!
MZS am 11. Dezember 2008 # :
Nein, die kenn ich nicht. In allen Katalogen (viele waren es aber sicherlich nicht) aus Schriftgießereien habe ich Weihnachten überblättert. Also würde ich Sie bitten, entweder mal auf Ihrer Seite was zu zeigen oder mir Fotos zu schicken. Und ich schau dann auch noch mal in meinen dicken amerikanischen Gießereien-Katalog, was es dort gab.
Nicole/momo am 11. Dezember 2008 # :
Hach, einen schicken kalligrafischen Zug mit schönem Schwung hatten Sie doch kürzlich erst in einem Ornament. ;o)
Ich habe es auch nicht so mit grün, erst recht nicht mit tannengrün in weihnachtlicher Verbindung mit rot. Hier jedoch ist es schön umgesetzt, für mich ist es eine farbige Schneeflocke! :o)
Mehr demnächst. Sie wissen schon. :o)
Herzlichst,
Nicole
Jeeves am 12. Dezember 2008 # :
Kurz & knapp: Mir gefällt das Ergebnis.
Georg Kraus am 13. Dezember 2008 # :
Am Mittwoch haben wir die ersten Ludlow-Vignetten gegossen (Weihachts-Symbole). Natürlich ist es nun zu spät im Jahr für die Vermarktung. Aber ich würde Ihnen gern einige Exemplare zur Verfügung stellen, damit Sie sie ausprobieren können, wenn Sie mögen. Schrifthöhe 23,32 mm — eine Frage der Zurichtung. Mögen Sie? Anfang Januar beginnen wir mit dem sukzessiven Anbieten diverser Vignetten und Schriften. Offiziell für Buchbinder zum Prägen, aber an und für sich spricht nicht viel gegen eine Verwendung beim Drucken. Die deutschen Tageszeitungen (Beispiel Rheinische Post) haben bis in die 80er Jahre hinein ihre Überschriften häufig auf Ludlow abgesetzt.