Westpaket gotischen Typs
Mein Setzerei-Lieferant hatte angekündigt, er werde seiner nächsten Schriftsendung eine Überraschung beifügen. Was dazu führte, daß ich in Zeitnot geriet, weil ich das Paket sofort nach seiner Ankunft aufriß und mich dann lange mit dem Geschenk befaßte, statt mich in Ruhe auf eine Kundenberatung vorzubereiten. Auf dem Foto links liegt ein Schächtelchen, so groß wie eine Streichholzbox, das Spatien für eine Schrift im Grad Diamant, also 4p groß enthält. Die schmalmagere Futura in Diamant ist die kleinste Type meiner Werkstatt. Die Kleinbuchstaben dieser Schrift sind knapp einen Millimeter hoch. Daneben liegt ein Satz lichte Bodoni in Mittel (14p), darunter ein weiterer in Tertia (16p). Solche Schriften eignen sich für alle Arten von Akzidenzen, zusammen mit einer Serifenlosen, etwa der Futura, aber auch mit einer klassizistischen Fraktur wie der Unger-Fraktur.
Bei dem Geschenk von Georg Kraus, dem Mann vom Preußischen Bleisatz-Magazin, dessen großartige Arbeit des Sichtens, Katalogisierens, Aufbereitens von Setzereibeständen stillgelegter Druckereien Werkstätten weltweit einen ständigen Ausbau des Schriftenbestandes mit dem nötigen Mobiliar ermöglicht – bei dessen Geschenk handelt es sich um ein hölzernes Z (eine Anspielung auf mein Mittelinitial) aus einem Alphabet im gotischen Stil, das wahrscheinlich Ende des 19. Jahrhunderts entworfen wurde. Wie alt die Letter selbst ist, vermag ich nicht zu sagen, wahrscheinlich wurde sie vor 1950 gemacht.
Die Letter ist zehn Konkordanz hoch, das sind vierzig Cicero oder 480 typografische Punkt oder 18,048 cm. Ich habe die Letter in meiner Hand fotografiert, damit man sieht, um welche Verhältnisse es sich handelt. In Zeitnot nun geriet ich, weil ich diese Figur gar nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich bin ja das Arbeiten mit räumlicher Schrift gewohnt, aber so eine schöne, ja Skulptur darf man das wohl schon nennen, so eine Skulptur besaß ich bislang nicht und habe sie auch selten in anderen Druckereien gesehen. Sie ist ein Handschmeichler weil aus Holz gemacht und daher viel wärmer als das Blei, mit dem ich sonst umgehe. Ich habe sie mit einer weichen Bürste behandelt und mit Firnis geölt und mit Baumwolle poliert (wie man früher seine Pistolen pflegte) und mich über den Schatz gefreut wie früher über ein neues Matchbox-Auto aus dem Westpaket.
Wie die Letter angefertigt wurde, wüßte ich zu gern. Ist da maschinell gefräst worden? Ich weiß, daß man im 20. Jahrhundert auch in Holz vorgeätzt hat und dann von Hand nachgeschnitten. Spuren von Handarbeit sind jedenfalls sichtbar, wie sich auch hier in der Vergrößerung gut erkennen läßt. Wer Erhellendes mitzuteilen weiß, den bitte ich herzlich um Nutzung der Kommentarfunktion.
Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit auf eine Offerte meines Kollegen, der nicht nur Setzerei-Lieferant, sondern auch gelernter Schriftsetzer ist. Georg Kraus bietet seit jüngster Zeit Seminare im Bleisatz an. Wenn man im Blog des Bleisetzers über den ersten Seminarbericht vom Mittwoch hinaus etwas scrollt, gelangt man an sehr interessante und lustige Protokolle über ähnliche Seminare, für die sich ein junger studierter Gebrauchsgrafiker in die Rolle des klassischen “Stifts” begab, um die Wurzeln seiner Profession kennenzulernen. Die Seminare werden für Laien angeboten, aber auch gelernte Setzer, die mal wieder Lettern zur Hand nehmen wollen, können in Ratingen bei Düsseldorf zur Tat schreiten.
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