Sommergeschichte
Wer dieses Blog regelmäßig liest, der kennt schon die Eigenheit des Blogeigners, gelegentlich Geschichtenzeit auszurufen und olle Kamellen herumzuwerfen. Aber diesmal ist die Kamelle nicht oll, denn den Text hat es in dieser Form bislang nur einmal als Lesung gegeben. In der Süddeutschen Zeitung ist nur eine kürzere Fassung erschienen, anno 2006, hier und heute aber breitet ein gewisser Peter Schottenloër seine Darlegungen über sein Leben als Lehrbeauftragter vollständig aus.
Peter Schottenloër ist eine Persönlichkeit des deutschen Geisteslebens, erscheint gelegentlich als Privatier in meiner Werkstatt und fotografiert und überläßt mir sein Pseudonym, wenn ich mal ein neues Visitenkartenmodell (ist zur Zeit nicht online) entwerfen möchte (Schriften auf nebenstehendem Bild: Elegance und Unger-Fraktur) oder eine Hauptfigur für eine Geschichte zu benamsen habe. Es ist also nicht sein echter Name; Herr Schottenloër meint, er lebe lieber jetzt schon parallel als Geist auf einem Visitenkartenmuster und in einer Geschichte fort, weil er nicht wisse, was später von seiner gegenwärtigen Bekanntheit übrigbleiben werde.
Nun also Peter Schottenloër als Hauptperson meiner Sommergeschichte. Wer an meinem Unterricht teilgenommen hat wird bezeugen, daß diese Figur nicht das geringste mit mir gemein hat. Nicht ein Gran!
Hier ein Auszug:
Diesmal dabei eine Estin, die rechnen konnte. Ich hatte eine Frage gestellt, weil ein Student ein kleines Mauersegment beliebig proportioniert aufbauen wollte. Beliebigkeit ist eine Untugend.
Die Frage also lautete: Wieviel mißt die lange Seite eines Formates in den Proportionen des Goldenen Schnittes, wenn die kurze Seite 45 Zentimeter lang ist? Sobald meine kleine Frage den Raum erreicht hatte, schien sie darin anzuschwellen, aufzuschweben und dann wie eine riesige Eisblase gegen den Granitfußboden zu sinken, wo sie zerschellte, worauf sich klirrende Kälte im Raum ausbreitete. Es war so still, daß man das sich eilig entfernende Keuchen einer Fruchtfliege vor dem Fenster hörte. Denn es ging darum, die Zahl 45 mit dem Faktor 1,618, gerundet auf 1,6, zu multiplizieren.
Der junge Mann, der mich ohne sein Wollen auf diese Frage gebracht hatte, senkte schuldbewußt gegen die mit meiner ungeheuerlichen Entgleisung konfrontierten Kommilitonen den Kopf so tief, als wolle er damit zuerst im Boden versinken.
Nicht aus einem einzelnen Munde, sondern wie das in Worte übertragene Klopfen fast aller jungen Herzen im Raum drang murmelnd ein Wort gegen meine Ohren: „Taschenrechner“.
„Ich habe keinen Taschenrechner“, hörte man mich schneidend versetzen.
„Nimm doch das Handy“, empfahl eine mitleidige Kommilitonin meinem Schüler. Er hub sofort das Fummeln mit seinem Telefon an, murmelte jedoch nach kurzer Zeit, daß er das Komma nicht fände. Wozu brauchte er das Komma beim Rechnen?
„Kann hier niemand schriftlich malnehmen?“ fragte ich. Ich wagte nicht, an das große Einmaleins zu erinnern, das zu lernen ich selbst einst verweigert hatte. Offenbar hat die Didaktik bis heute nichts erbracht. Oder hat man das Einmaleins ganz aufgegeben?
„Ich hatte Leistungskurs Deutsch“, sagte ein Student trotzig.
„Waren Sie dafür nicht in der vierten Klasse?“ warf ich ihm an den Kopf.
Wieder war es still, bis auf das Schluchzen des Studenten, den ich gekränkt hatte.
Plötzlich eine leise, aber sichere Mädchenstimme: …
Die ganze Geschichte habe ich für das luxuriöse Lesen auf Papier zum Ausdrucken in PDF-Form gebracht und ist hier zu laden:
Martin Z. Schröder – Der Lehrauftrag.pdf Ich wünsche viel Vergnügen – und jedem Studenten vernünftige Lehrer!
Klaus am 17. August 2008 # :
Wundervolle Geschichte(n). 1000 Dank dafür.
Nur ein Wort versteh’ ich nicht und find auch keine Erklärung in zwei hier für solche Zwecke rumstehenden Wörterbüchern:
Was ist eine “bovesche Figur”? Ich vermute, es hat etwas mit dem Bovist (Pilz) zu tun? Aber ich würd’s schon gerne genau wissen. Danke nochmals.
MZS am 17. August 2008 # :
Die knapp zwanzig auf deutsch erschienen Werke des französischen Schriftstellers Emmanuel Bove (1898 bis 1945), dessen Entdeckung die Deutschen Peter Handke verdanken, der die französische Wiederentdeckung des vergessenen Autors in den 1970er Jahren in Frankreich aufnahm und mit Übersetzungen begann, habe ich verschlungen. Es sind düstere Romane, die mich aber nicht hinuntergezogen haben. Es gibt in all diesen Büchern keine “positiv denkende” Figur, trotzdem sind sie voll von weiser Komik. Als sich ein Freund ein Bein brach und ich durch die Empfehlung seiner Frau gerade die ersten 5 Boves gelesen hatte, schrieb ich ihr, sie möge dem Freund mitteilen, daß ich mich von seinem Beinbruch beleidigt fühle. Bei Bove-Kennern löst das größte Heiterkeit aus. Daß ich jemanden als “bovesche Figur” bezeichne, ist ein bißchen gemein, weil Bove nicht viel gelesen wird. Aber vielleicht gibt es nun ein, zwei Leser mehr?
klaus am 17. August 2008 # :
Danke.