Meine Berliner Familie (3) Von Schieber bis Shimmy
Fortsetzung der Berliner Familiengeschichte
Oh, wenn man erst mal auf die Spur kommt! Wer waren mein ältesten Berliner Vorfahren? Die Eltern meines Urgroßvaters Max: der Postbeamte Ludwig Gesing und Anna, geborene Bockfleisch. Es gibt niemanden mehr, der sich an sie erinnern könnte. Max Gesing heiratete anno 1903 Auguste Liesegang. Er war ein leidenschaftlicher Sänger und Tänzer. Als meine Mutter vier Jahre alt war, hatte ihr der Opa nicht nur Volkslieder beigebracht, sondern auch Gassenhauer und gängige Operettenmelodien. In der Küche übten sie die Modetänze vom Schieber bis zum Shimmy, und den Korridor chaussierten sie hin und zurück: in Rixdorf ist Musik!
Als ich klein war, zeigte mir meine Mutter, wie man Pferden Brot richtig gibt, in der flachen Hand. Das hat sie von ihrem Großvater, dem Fuhrunternehmer und späteren Postbeamten Max.
Weiter zurück: Die Mutter von Maxens Frau Auguste wurde 85 Jahre alt: Minna Liesegang, geborene Fleisch, Dienstmädchen, starb 1943 in Berlin. Meine Mutter erinnert sich gut: Den Veteranenberg herunter geht es ziemlich steil. Die eiserne Straßenbahn rollte langsam am Zionskirchplatz an, bremste schon nach ein paar Metern. Halt. Bremsen los, wieder anrollen. Halt. Und noch einmal. Endlich war sie unten. In der Brunnenstraße gingen meine Mutter und ihrer Mutter nach links. Wo sich heute Park mit Teich und Heine-Denkmal befinden, standen früher häßliche dunkle Häuser. Im zweiten von der Ecke aus besuchten sie Mutters Uroma Minna. Schräg gegenüber stand ein Wertheim-Kaufhaus. Heute Polizeirevier. Die Uroma wohnte im zweiten Hinterhof, dritter Stock. Eine enge dunkle Treppe, Holzstufen knarren. Meine Mutter wurde hochgehoben und durfte den Klingelgriff drehen, eine Art Flügelschraube. Die Tür ging auf, und sie kamen direkt in die Küche. Im Herd flackerte ein Feuer und gab Wärme und Licht. Das schmale Fenster ließ nicht viel herein, Strom gab es in diesen Häusern 1936 noch nicht.
Am deutlichsten erinnert sich meine Mutter an dieses Herdfeuer und ihre Uroma, die ohne Scheu in die Flammen faßte. Sie war fast blind, und sie schien Zauberkraft zu besitzen. Gebannt sah meine Mutter zu, wie sie Holz nachlegte, das Feuer anregte oder beruhigte. Wasser wurde mit dem Eimer vom Treppenhaus geholt. Dort war auch der Ausguß.
Als meine Mutter klein war, kannte sie verschiedene Arten von Beleuchtung. Kerzen oder Petroleumlampe bei ihrer Uroma, Leuchtgas bei der Oma in der Stargarder Straße und Strom zu Hause in der Meyerheimstraße. Dort hab ich später Kohlen für meine Oma aus dem Keller geholt. Beim Bäcker Meyerheim- Ecke Kuglerstraße kaufe ich heute mein Brot.
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