Meine Berliner Familie (1) Opa Artur
Vor einiger Zeit wurde dieses Blog gelobt, weil gelegentlich Geschichten erzählt werden. Die letzte erschien wohl zu Weihnachten, also wird es wieder einmal Zeit.
Ich habe vor einigen Jahren für die Berlin-Seite der Süddeutschen Zeitung (das Berlin-Ressort der SZ gibt es heute nicht mehr) eine Woche lang ein sogenanntes Tagebuch geschrieben. Es besteht aus fünf Teilen, und diese werden von heute an bis Freitag in einer leicht überarbeiteten Fassung hier nach“gedruckt”. FF – Viel Vergnügen!
In der Universitätsstadt Ithaca im Staat New York begegnete ich vor einigen Wochen Opa Artur, wie er in der Schönhauser Allee als Schutzmann vor dem Kino Colosseum Streife läuft. In jenem Colosseum hab ich als Kind sowjetische und Märchenfilme der DEFA gesehen und hatte ich 1981 Jugendweihe; heute ist es Multiplex, man hat den dahinterliegenden Stall von der Pferdebahn umgebaut, Spuren aber gelassen. In Ithaca legt mir Edith, die einst ostpreußische und jetzt amerikanische Cousine meiner Mutter, alte Fotos aus Berlin vor. „Onkel Artur ist von den Geschwistern der einzige, der in Deutschland blieb“, erklärt sie. Die andern: Käthe, Wilhelm und Erich, sind nach dem ersten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert. Gertrud mit ihrer Tochter Edith wurde in den Fünfzigern nachgeholt. „Käthe hat einen Holländer geheiratet, sie haben Tulpen gezüchtet in Kanada. Onkel Willi hatte in den Zwanzigern eine Tankstelle in Hamilton gepachtet“, sagt Edith. Ein gelbliches Foto wird gefunden. Wie ein Gemälde von Edward Hopper: Mein Urgroßonkel Willi lehnt an einer Esso-Zapfsäule, am hölzernen Laden Werbung für Coca-Cola und Wrigley’s Refreshing. Ich bin baff. Mein Klassenkamerad Thomas kriegte in unserer Schule in der Gleimstraße mal Ärger, weil er Hosenträger mit der USA-Fahne trug. Ich hätte direkt ein Naturrecht auf solche Hosenträger gehabt!
Die Gleimstraße, da lag in den Dreißigern auch das Polizeirevier, wo mein Großvater arbeitete. Ich bin während der ganzen Schulzeit täglich durch die Gleimstraße zur Schule gelaufen, ohne das zu wissen.
Wieder in Berlin, bastele ich mit Hilfe der Verwandtschaft meinen Stammbaum zusammen. Der Hutmacher Johann Schröder ist mein ältester Namensgeber, von ihm ist nichts weiter bekannt. Sein Enkel Hermann August wurde 1862 in Drengfurth geboren, in Masuren, und beschlug in seiner Schmiede in Kosuchen Pferde, betrieb eine kleine Kolonialwarenhandlung mit Ausschank und bewirtschaftete ein Stück Land. Hermann Augusts Sohn wurde mein Großvater Gustav Adolf, der war ein Sattlermeister. Mein Vater ist in Lötzen geboren und kam in den fünfziger Jahren nach Berlin. Ein masurischer Einwanderer. Als ich meine Werkstatt eröffnet hatte, freute er sich, daß es wieder einen Handwerker in der Familie gibt und erinnerte sich daran, daß vor mir sein Vater eine eigene Werkstatt hatte. Mein Vater war Journalist und arbeitete bei einem Wochenmagazin.
Wie Vaters Großeltern (Hermann August Schröder und Auguste Schröder, geb. Korpiun) starben, wissen wir nicht, sie sind während der Vertreibung ohne ihre Angehörigen untergegangen. Vaters Familie hat sich nach der Flucht aus Ostpreußen im Harz angesiedelt.
Opa Artur, dem ich so unerwartet in Amerika begegnete, war auch ein ostpreußischer Einwanderer, allerdings von mütterlicher Seite. Meine Mutter hat mehr Berliner Vorfahren als mein Vater. Von denen muß sie mir morgen erzählen.
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