Hacken und feilen
Heute morgen entdeckte ich dieses Tier mit acht Beinen an der Wand. Gewöhnlich sieht man meine Haustiere tagsüber nicht herumlaufen, schon aus Rücksicht auf schreckhafte Kundschaft. Dieser Zeitgenosse hier sah ziemlich verdreckt aus, als habe er sich hinter den Schränken herumgetrieben. Ich zupfte einen großen Fussel von seinem rechten Hinterbein; als ich später noch einmal schaute, war das possierliche Tierchen fortgegangen. Kummer und Sorgen würde ich nicht nennen, was er mir gebracht hat, aber geärgert habe ich mich doch. Zuerst war heute ein Hochzeitseinladung aus der Excelsior, einer Anglaise zu setzen. Einige Wortzwischenräume mußte ich mit dem Zeilenhacker kürzen, wie hier im Detail gezeigt. Die Überhänge der Schrift würden manchmal mit dem Wortzwischenraum zusammenstoßen, schlösse man die Form, bräche das weiche Schriftblei weg. Im dritten Bild sieht man eine Satzzeile von der Seite und das abgehackte Blindmaterial dazwischen, das man blind heißt, weil es nicht druckt. Druckt es doch, weil es aufgestiegen ist, wird es zum Spieß, wie im letzten Eintrag zu sehen.
Als ich das Abführungszeichen setzte, das im nächsten Bild im Andruck zu sehen ist, ahnte ich schon, daß es falsch gegossen ist. Nämlich für Wörter, die mit einer stark nach rechts sich neigenden Oberlänge enden. Es gibt aber deutlich mehr Wörter, die ohne Oberlänge auslaufen, und wie man im Abzug sieht, steht dann die Abführung eher als falsche Anführung am folgenden Wort. Das kann man freilich nicht durchgehen lassen. Ich frage mich, was man sich in der Schriftgießerei dabei gedacht hat, dem Setzer solchen Müll zu liefern, diese Letter ist für den Satz untauglich. Wenn man wirklich den Raum brauchen sollte, kann man ihn ja jederzeit mit Blindmaterial einbringen und dieses wie oben dargestellt unter den Überhang zurechtschneiden. Das folgende Bild zeigt meine persönliche Äußerung einer Emotion; haut man seine Faust jedoch auf eine Eisenplatte, ertönt akustisch nur ein Hauch, wenn man sich nicht die Knochen brechen will, und so weit hatte ich meinen Ärger unter Kontrolle. Ich konnte nun schlecht in der Gießerei anrufen und eine neue Letter gießen lassen, der Auftrag mußte heute gedruckt werden.
Mir blieb also nichts übrig, als die Feile zu nehmen und von zwei unglückseligen Abführungen im Schriftgrad Tertia (das sind 16 Punkt) etwa 4 Punkt abzufeilen. Das ist eine ganze Menge, und man muß sehr genau feilen, damit die Type nicht schief wird und im Satz verkantet. Erst mit der groben Feile, dann mit der feinen, am Schluß werden die Grate entfernt. Auch der Überhang der Abführungsletter ist völlig überflüssig. Wenn man die Abführung beispielsweise nach einem satzschließenden Punkt oder nach einem Komma setzt, wird man sie noch schmaler machen müssen. Ich habe mich während der Feilerei auch gefragt, wie denn die Setzer früher damit fertig geworden sind, denn offenbar ist die Matrize schon so blödsinnig angelegt worden für den Überhang und das überflüssige Fleisch (so nennt man nichtdruckende Teile des Kegels der Letter um das Schriftbild herum). Aber schlampig zu arbeiten, ist ja keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, ich wette, es gab genug Setzer, die sich um das typografische Bild ihrer Arbeit nicht geschert haben. Das Foto vom nächsten Abzug zeigt, wie die Reparatur gelungen ist. Es ist ein Foto von einem weiteren Andruck, die Druckform ist noch nicht zugerichtet, daher die druckerischen Mängel.
Zugerichtet habe ich aber heute die im letzten Eintrag gezeigte Titelseite des Goldtschen Vleermuizen-Atlas. Und mit dem Auflagendruck begonnen hab ich auch. Was im Titel fehlt, wird in einem zweiten Druckgang mit roter Farbe ergänzt. Das wird ein feiner altertümlicher Haupttitel, an dem ich mich so recht ergötze, das muß ich sagen.
tags: englische schreibschrift, excelsior, zeilenhacker