Visitenkarte für einen DJ
Es kommt vor, daß ein originelles Design für eine Visitenkarte verlangt wird. Was kann ein Bleisetzer und Buchdrucker einem DJ bieten, der in Berliner Clubs auflegt? Eine Karte mit der Anmutung eines Tickets. Ich hätte die Karte freilich noch ein wenig altertümlicher entwerfen können, zur Futura die Walbaum setzen oder sogar eine Fraktur. Aber für einen DJ wollte ich es nicht zu “original” aussehen lassen, also habe ich für den Namen die Steile Futura verwendet, für den kleineren Titel darüber die dreiviertelfette Futura (soviel ich weiß, liegt dieser Schnitt nicht digital vor, wie kann das denn sein?), die Stilrichtungen der Musik in der mageren Futura gesetzt und die Telefonnummer aus der schmalmageren. Die Telefonnummer wurde für das Foto freilich geändert; die Karte mit allen anderen Angaben hier auszustellen, hat mir mein Kunde ausdrücklich gestattet – es handelt sich ja um eine Geschäftskarte mit werbendem Charakter. Die Perforation wurde auf einer alten Perforiermaschine mit Pedalbetrieb eingesetzt.
tags: futura, perforation, visitenkarte
Georg Kraus am 10. April 2008 # :
Guten Morgen Meister Schröder,
Ihr Entwurf berührt mich auf recht eigenartige Weise. Das mag mit der frühen Stunde zusammenhängen. Um diese Zeit fahren die Abwehrsysteme meiner Hirn-Synapsen gerade erst langsam hoch und ich bin noch sehr empfänglich für Emotionales.
Der Entwurf sieht auf den ersten Blick aus wie ein hübsches Kino-Billet, gesetzt aus gut funktionierenden Futura-Schnitten.
Der Text steht — aus meiner Sicht als Preußischer Bleisetzer — dazu natürlich im krassen Widerspruch. Empfinde ich doch Renners Futura als im besten positiven Sinne deutsche Schrift. Nein, nein, bitte nicht gleich löschen, erst zuende lesen…
Wie auch immer man zu den genannten Musikrichtungen stehen mag, eines ist gewiß: Sie entsprechen dem heutigen Zeitgeschmack und werden angenommen. Sie sind ein Teil unseres heutigen Deutschlands, ob mir das nun paßt oder nicht.
Und warum auch eigentlich nicht? Alle reden von Integration bei gleichzeitiger Akzeptanz der eigenen Kultur. Da ich das für mich in Anspruch nehme, gestehe ich es selbstverständlich auch jedem anderen zu. Und so, wie ich durchaus fremder Völker Sitten (Speisen, Getränke, Musik, Kunst — ja, ja: Brecht’sche Logik. Erst kommt das Fressen, dann die Moral) übernehme, so hat meine deutsche Kultur ja vielleicht über Renners Futura auch Einfluß auf den DJ und die Betrachter seiner Visitenkarte?
Ich stufe Ihren Entwurf also als Integrations-Projekt ein. Gut so, Schröder, weitermachen… (Und schlagen Sie mir jetzt bitte nicht wieder Goethe um die Ohren. Das ist unfair. Wer vermag schon, Goethe zu widersprechen).
Ich wünsche Ihnen und allen Besuchern Ihrer Netzseite einen positiven Tag. Der DJ kommt jetzt sicher gerade erst von der Arbeit nach Hause, liest noch ein wenig in Goethes Die Leiden des jungen Werther und hört zum Ausgleich vor dem Zubettgehen noch Debussy oder Chopin.
Georg Kraus
MZS am 10. April 2008 # :
Ich muß mal nachdenken, welchen Goethe ich Ihnen um die Ohren wedeln (ich schlage doch meinen Steile-Futura-Lieferanten nicht!) kann.
Chris am 10. April 2008 # :
Wo bekommt man eigentlich solche alten Maschinen, wie die Perforiermaschine? Das sind doch Stücke, die überwiegend auf dem Schrott gelandet sein dürften.
Der Entwurf gefällt mir, die Idee hat Witz.
MZS am 10. April 2008 # :
Perforier- und Rillmaschinen landeten nicht so häufig auf dem Schrott wie größere Tiegelpressen. Und für alles gibt es Markplätze. Wer etwas bestimmtes sucht, kann sich an Maschinensuchdienste im Internet wenden (so kam ich zu meinem Pedal-Tiegel) oder seine Anfrage auf bleisetzer.de ins Forum stellen.
poms am 25. April 2008 # :
Ist schön geworden die Karte, Kompliment.
Alex am 5. Mai 2008 # :
Hi
Ich finde es toll, wenn sich einige noch die alte Arbeitsweise antun. Hat schon irgendwas mit Nostalgiefeeling zu tun. Komme selbst noch aus der klassischen Lithographie und trauere zum Teil den “alten Zeiten” nach.
Grüsse aus Wien
MZS am 5. Mai 2008 # :
Vielen Dank! Nostalgie möchte ich nicht wecken, das hat ja immer was mit Verdrängung und Verklärung zu tun. Manche Drucksachen kommen in der Buchdrucktechnik einfach besser zur Geltung, weil die leichten Unregelmäßigkeiten des Satzbildes interessanter wirken. Jede Drucktechnik hat ihre Vorzüge.
Grüße nach Wien!