Einige Anmerkungen zur SZ-Beilage · 10. März 2012

Gewöhnlich nehme ich bei den in meiner Werkstatt hergestellten Drucksachen die letzten Korrekturen in der Druckmaschine vor oder bekomme bei Büchern Probedrucke von den Druckereien. Echte Überraschungen bin ich also nicht gewöhnt. Auch arbeite ich selten mit so großer Eile, wie es mit diesen Zeitungsseiten nötig wurde. In der Nacht vor der Abgabe habe ich die Seiten immer wieder nach falschen Trennungen durchforstet und bei jedem Durchgang etwas gefunden, was zu verbessern war. Mir fehlte bei dieser Arbeit der strenge Hauskorrektor, wie ihn Handsetzereien früher hatten. Oberkorrektor Bober aus meinem Lehrbetrieb ist mir in Erinnerung wie eine fremde hohe Heiligenfigur. Wir Lehrlinge gingen ungern in sein düsteres Büro (in meiner sicherlich verfremdeten Erinnerung sind die Wände dunkelbraun), weil es für unsere Nasen stank. Er rauchte Zigarren. Der Oberkorrektor sprach nie mit uns sechzehn- und siebzehnjährigen Lehrlingen, er nickte höchstens, ohne einen anzusehen. Es war, als ginge man zu einer Wachspuppe oder Ikone, ohne zu begreifen, wie sie ihre Philosophie der Richtigkeit durchsetzte. Dieser Herr mit dem Dienstgrad Oberkorrektor (oder hat auch diesen meine Erinnerung erfunden?) sah alle Fehler, er markierte jeden falsch gesetzten Wortzwischenraum mit roter Tinte, sah jede krumme Reglette und Rechtschreibfehler sowieso. Der Rechtschreibfehler ist gar nicht mehr das Problem, wir sind mit dem Oberkorrektor in den Sphären der satztechnischen Belange zugange. Nun, und da fehlte mir nun so ein scharfsichtiger alter Uhu, der mir mit rotem Strich meine Unkorrektheiten, meine Satzfehler zeigt. Drei habe ich gefunden, die ich nun gern noch reparieren würde, aber die Gelegenheit gibt’s nicht mehr. Wenigstens verschweige ich sie hier. Mal schauen, ob sie jemand findet und die Kommentarfunktion nutzt …

Für die Seite 1 haben wir die Prillwitz in der phantastischen Digitalisierung (die natürlich eine Interpretation ist) von Ingo Preuß für die angemessene Schrift gehalten. Der Schriftzeichner hat auf seiner Internetseite Informationen dazu niedergelegt. Die Schrift verdient nicht nur als eine in den kleinen Graden unauffällige und in den großen dekorative Type Aufmerksamkeit, die Zuordnung einer Schrift aus der Zeit der Aufklärung, einer Schrift der Wissenschaft zu Max Goldts Essay ist freilich beabsichtigt. Die Chefin in der Überschrift hat Frank Ortmann geschrieben.

Auf den Seiten 2 und 3 stehen oben Holzlettern, links ein paar serifenlose M, rechts ein gebrochenes F. Links auf der 2 ein Text von Lothar Müller, von dem soeben ein Buch über Papier erschienen ist. Der Text von Hilmar Klute in der mittleren und rechten Spalte hat eine m-reiche Überschrift. Im Fuß haben wir einen Handabzug von einer Bleisatzdruckform untergebracht.

Damit dieser Abdruck nicht zum Rätsel wird, haben wir eine Erklärung hineingeschrieben.

Seite 4: Wie gerne würden wir einmal ein Buch machen, das so groß ist, daß man es auf einer Halterung ablegen muß, um es aufschlagen und die Seiten umlegen zu können. Es gab in der Buchkunstgeschichte Buchseiten von erschütternder Schönheit, das Ineinanderschieben von Textebenen oder die Darstellung von Texten in verschiedenen typografischen Ebenen gibt es seit Jahrhunderten in der philosophischen und Bibeltypografie. Diese beiden Text schienen uns bestens dafür geeignet. Die Schriften entstammen der vorklassizistischen Zeit.

In die Seite 5 mit Renaissance-Schriften, deren Struktur durch das lange Gedicht Franzobels vorgegeben wird, haben wir ein Schriftbild von Frank Ortmann gesetzt, das auf die Ideen des Medientheoretikers Marshall McLuhan anspielt.

Seite 6: Gustav Seibt hat uns einen Text geliefert und gleich angeregt, ihn in der Schrift zu setzen, in der unsere Bibel bis vor ein paar Jahrzehnten erschien. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen, wann wagt es schon jemand, eine Zeitungsseite mit solchen Federzügen zu füllen, nachdem die Nazis sie 1941 verboten hatten? Wir haben das umfangreiche Regelwerk des Satzes mit gebrochenen Schriften, namentlich Fraktur, zur Anwendung gebracht, also fremdsprachige Wörter in Antiqua eingefügt und mit Schwabacher ausgezeichnet, und für den Einsatz des langen s mußten wir den Text in alter Rechtschreibung setzen, denn die neue verträgt sich nicht mit den überlieferten Satzregeln der Fraktur, und neue Regeln wollten wir nicht auf die Schnelle erfinden, also etwa den Umgang mit Doppel-s am Wortende. Den Schmuck hat Frank Ortmann gezeichnet. Allein die Farben sind gänzlich unhistorisch, denn es handelt sich ja um einen Text aus unserer Zeit, nicht um ein Zitat. Die beiden Gedichte von Steffen Jacobs und Ror Wolf, der seinen Waldmann auch in Fraktur bei der Redaktion eingereicht hatte, haben wir in der klassizistischen und der Antiqua nahen Fraktur des Berliner Goethe-Verlegers Friedrich Unger gesetzt.

Unserer älteren deutschen Schriftgeschichte wollten wir auf der Seite 7 das Bild einer jüngeren entgegensetzen, das Spiel mit der geometrischen Form als Ornament, wobei wir bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß auch ein konstruiert wirkendes O wie hier aus der Schrift Futura keineswegs eine strenge Kreisform hat.

Seite 8 schließlich stellte uns vor die Aufgabe, einen langen Text in Fragen und Antworten zu scheiden, und wir haben uns eine Schrift gesucht, die den Federzug noch deutlicher zeigt als andere und sie mit mäßig bunten lombardischen Initialen versehen.

Für eine wirkliche Meinung fehlt mir noch der Abstand zu dieser Arbeit. Aber ich glaube, daß man ihr die Mühe nicht ansieht, die wir damit hatten, ich muß mich beinahe selbst fragen, wo all die Stunden geblieben sind, die ich daran gesetzt hatte, die Texte so zu setzen, daß sie selbstverständlich passend wirken. Und daß der Aufwand unsichtbar geworden ist, das halte ich für richtig und deshalb für befriedigend.

— Martin Z. Schröder

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Acht große Seiten · 9. März 2012

Die Redaktion der Süddeutschen Zeitung hatte meinem Kollegen Frank Ortmann und mir im letzten Herbst vorgeschlagen, eine Wochenend-Beilage der Zeitung ohne Fotos, nur mit Schrift zu gestalten, und mit großer Freude haben wir den Auftrag übernommen. Fünf Wochen vor dem Erscheinen ging es los. Wir bekamen die Texte (Max Goldt schrieb für die Seite 1, Ror Wolf, Nora Bossong, Steffen Jacobs, Durs Grünbein, Franzobel lieferten Gedichte, Alex Rühle erzählt von einem Besuch mit einem blinden Maler im Louvre und über Wortverwandlungen bei Epilepsie, Hermann Unterstöger spielt mit Sprache, Renate Meinhof berichtet vom Archiv der unsichtbaren Bücher, einen Text von Gustav Seibt über die Heilige Schrift haben wir in Fraktur gesetzt, Joachim Käppner sprach mit Handschriftenexperten des Bundeskriminalamtes, Kolja Reichert sprach mit W.J.T. Mitchell über die Macht der Bilder, Lothar Müller schreibt über Papier, Hilmar Klute über die Gedichte in dieser Ausgabe und Gerhard Matzig haben wir frech ein Piktogramm in seinen Text gegen bestimmte Piktogramme geklebt) und hatten nun für acht Seiten acht Entwürfe zu entwickeln, die nach und nach ausgebaut wurden.

Auf den ersten vier Fotos sind verschiedene Stadien der Arbeit zu sehen. Mit einem Zeitungsformat wird ein Designer nicht täglich konfrontiert, aber die Grundsätze für Lesefreundlichkeit und die Regeln der Typografie für mittlere und längere Texte und für Gedichte müssen nicht neu erfunden werden.

Man hätte es freilich auch ganz anders machen können, auch ein kleines Gedicht läßt sich plakatartig auf ein großes Format bringen, aber eine gewisse Fülle an Lesestoff war ja vorgegeben. Der Zeitungsleser möchte, so nimmt man an, am Wochenende keine Plakate betrachten, sondern Texte lesen, für die er am Wochenende eben Zeit hat. Die Zeitungslektüre am Wochenende ist für viele Leser ein Ritual.

Also haben wir keine Zeilen gestürzt und keine wilden Experimente mit Abenteuern fürs Auge entwickelt, sondern uns um interessante und schöne Entwürfe und luxuriöses Lesen bemüht.

Nach der Aufteilung der Texte auf die Seiten und grundsätzlichen Entscheidungen, welche Stile wir den Seiten zuordnen, nachdem die Texte auf die Seiten gestellt waren, ging es an die Arbeit am Detail.

Dies hier sind Skizzen für die eigens angefertigten Ornament-Rahmen und Verzierungen. Wir haben alle uns zur Verfügung stehenden technischen Mittel beansprucht, Frank Ortmann hat gezeichnet und kalligrafiert, in der Druckerey wurden Abzüge von Holz- und Bleilettern gemacht.

Der hier gezeigte Schriftzug war für die erste Seite bestimmt.

Er wurde leider nicht zugelassen.

Ursprünglich planten wir, ein Foto mit Schrift auf die Seite 2 zu stellen.

Aus mehreren Bleisatzschriften wurden der Titel und zwei Worte aus dem Gedicht von Nora Bossong gesetzt und in eine Druckform geschlossen.

Um die Lettern in dem Bild besser lesen zu können, wurden die Oberflächen erst mit Silberpaste eingestrichen.

Dann auch mit Goldpaste.

Verschiedene Schriften wurden als Bildmotiv ausprobiert, hier die Schaefer-Versalien.

Die mit Goldpaste besser erkennbar sind.

Schließlich wurde davon Abstand genommen, ein Foto in die bildlose Beilage zu bringen, und ich habe eine Druckform aus vier Bleischriften mit sichtbar gemachtem Blindmaterial abgezogen.

Das Blindmaterial heißt ja so, weil es nicht mitdruckt, im Druck also blind ist, unsichtbar. Für diesen Abzug wurde es auf die Höhe der Oberfläche der Buchstaben gebracht. Ohne Blindmetarial kann kein Buchstabe in eine Druckform gelangen, die weißen Flecken in der Typografie bestehen nicht aus Nichts.

Das Blindmaterial also wurde dann mit den Lettern eingefärbt und abgezogen.

Die schöne Interessantheit dieses sehr alten Arbeitsmaterials zeigt sich in den Abzügen auch für den Drucker neu. Die dreidimensionale Oberfläche wird zum flachen Druckbild.

Jeder Kratzer ist nun sichtbar.

Der Abzug wird in feuchtes Feinpapier gebürstet oder gerieben, wodurch sich auch ein deutliches Relief auf der Rückseite des Druckbogens zeigt. Für die digitale Vorlage wurden die Abzüge ebenso wie die der Holzlettern gescannt.

Weil meine Druckformen nicht so breit sind wie eine Zeitungsseite, habe ich Montage-Material zusätzlich abgezogen, aus dem wir dann für die seitlichen Abschlüsse noch Teile herausgeschnitten und an das Hauptmotiv geklebt haben.

Manche Bleistege sind viel benutzt worden und sicherlich sechzig oder mehr Jahre alt

Wenn ich solche Abzüge sehe, denke ich an Konservierung und Museum, aber die Stege sind nach wie vor im täglichen Einsatz.

Auf Seite 2 der Beilage steht eine Kollage aus Holzlettern.

Dafür wurden echte Holzbuchstaben abgezogen. Diese hier hatten noch nie zuvor Kontakt zur Farbe, wodurch die Maserung auf ihrer Oberfläche noch frisch ist.

Dieser Beitrag ist entstanden, bevor ich die Zeitung in den Händen hielt. Wir haben zwar, wie auf den ersten Fotos zu sehen ist, Klebeumbrüche angefertigt, wie ich es in meiner Jugend in der Redaktion bei meinem Vater gesehen hatte und in meiner Lehrzeit noch mit Maschinensatzspalten selbst lernte — Spaltenabzüge wurden Fahnen genannt, weil sie so lang und schmal waren, und diese Fahnen wurden ausgeschnitten und zu einer Zeitungsseite montiert, die ich dann in Blei nachbaute (Mettage nannt man das) —, und wir hatten auch Proofs aus der Druckerei in Originalgröße bekommen, um die Farben einzustellen, aber der Schritt selbst von einem großen Computerbildschirm zum Original einer Zeitungsseite mit einem Satzspiegel von 371 × 529 mm ist ein großer. Ich bin sehr gespannt darauf, was ich mir morgen beim Kiosk abholen werde.

— Martin Z. Schröder

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Aus meiner Lehrzeit · 21. November 2007

Ich habe als 14jähriger erstmals einen Winkelhaken, das Instrument, in dem der Setzer die Typen sammelt, in die Hand genommen. Ich war als Junge kein Freund von Baugeschehen. Ich habe zwar begeistert Matchbox-Städte gebaut, aber zugleich ein Faible für Verwaltung entwickelt: für Papiere, vorzugsweise Dokumente und Zeitungen: Meiner Großmutter stellte ich einen Personalsauweis aus und mir einen als Kriminalpolizist. Der Stabilbaukasten mit Schienen und Schrauben zog mich nur kurzzeitig an.

Als ich, 14jährig, die Musikschule (Klassisches Akkordeon) nach fünf Jahren, in denen ich recht weit gekommen war und nun ein Jahr lang für eine große Prüfung ein 45minütiges Konzert auswendig lernen sollte, hinwarf, überlegte meine Mutter, wie meine Freizeit sinnvoller ausgestaltet werden könnte als durch die ungesunden Dinge, die 14jährige sonst gern tun. Zuerst wurde ich zum Tischtennisverein geschickt, aber die Turnhalle stank mir zu sehr, war mir zu groß und zu laut. Dann machte meine Mutter mir einen Besuch in der Arbeitsgemeinschaft „Junge Schriftsetzer“ schmackhaft, und die fand ich schon nicht übel, als ich zum ersten Mal die Druckerei im „Pionierpalast Ernst Thälmann“ in der Berliner Wuhlheide betrat. Der Meister Wolfgang Holtz drückte mir einen Winkelhaken in die Hand und ein Manuskript: ein Gedicht von Rudi Benzien. Auf dem Foto ist der von Buchdruckmeister Wolfgang Holtz korrigierte erste Abzug zu sehen. Die Schrift heißt Super-Grotesk kursiv.

Ich habe es später, wenn ich Kinder oder als Lehrbeauftragter Design-Studenten in den Bleisatz einführte, genauso gehalten, denn das Gedicht hat gegenüber allen anderen Texten mehrere Vorteile: Es ist typografisch und somit auch satztechnisch die einfachste Form. Es ist zudem die älteste literarische Form (als Lied). Es lenkt vom Ich ab, weil der Setzer eben nicht seinen eigenen Namen setzt, sondern einen fremden Text, es steht somit auch für die ureigenste Arbeit des Schriftsetzers: der sich in den Dienst eines Textes stellt.

Ich habe später immer wieder bemerkt, daß sich beim Setzen eines Textes im Bleisatz der Text dem Setzer so intensiv darstellt wie in sonst keiner Rezeptionsform, auch nicht im Abschreiben. Beim ersten Gedicht hat man noch nichts davon, aber wenn man später das Setzen automatisiert hat, die Lettern im Setzkasten nicht mehr sucht, sondern auf den sprachlichen Rhythmus kommt und sozusagen „in Blei schreibt“, stellt sich eine eigene Beziehung zum Text her. Das räumliche „Begreifen“ erweitert das gedankliche. Ein Vorzug, von dem nicht nur der Setzer etwas hat. Indem der Schriftsetzer einen Text so intensiv aufnimmt, wird er sich seiner Verantwortung gegen Autor und Leser bewußt.

Jedenfalls wurde mir bei Wolfgang Holtz die Setzerei so recht wunderbar. Sie ist ein riesiger Stabilbaukasten. Es gibt nichts, das man nicht durch Betrachten dem Unklaren entziehen könnte. Alles ist sichtbar, alles ist verständlich, alles paßt zueinander, und wo etwas nicht paßt, kann es durch Umbau passend gemacht werden.

Dieser Stabilbaukasten bietet mehr als ein bißchen perforiertes Blech: Die größten Teile sind aus Gußeisen, man könnte sie als Schlagwaffen mißbrauchen. Die Hauptsache entstammt der Kohlenstoffgruppe: das Schwermetall sechster Periode: Blei. Das Lettern-Metall Blei wird ergänzt mit einem knappen Drittel Antimon, das für die erforderliche Härte verantwortlich ist, sowie 5 bis 6 Prozent Zinn, das die Metalle in der Legierung verbindet und die Abriebfestigkeit erhöht. In manchen Schriftmetallen steckt auch härtendes Kupfer und sind Spuren zu finden von Zink, Arsen, Aluminium, Nickel und Eisen im Promille-Bereich. Die einzelnen Metall-Anteile sind für verschiedene Schriften sowie anderes Setzmaterial verschieden groß. Neben Aluminium, Kupfer und Messing finden wir in der Druckerey auch Neusilber: eine silberweiß glänzende Legierung aus Kupfer, Nickel und Zink. Der Nickelgehalt gibt dieser Legierung ihre besondere Härte. Daraus werden die feinsten Spatien gemacht, sie sind ein Viertel eines typografischen Punktes stark, also 0,094 Millimeter.

Ich habe bis zu meiner Lehre viel Zeit in der Werkstatt von Wolfgang Holtz verbracht. Dort habe ich mühelos gearbeitet, sogar gerechnet, und entwickelte großen Ehrgeiz, während ich der Schule zehn Jahre lang nichts abgewinnen konnte. Die graue, entsetzlich fade und dumme Schulzeit war vorbei, die Lehre begann, und schlagartig, also tatsächlich von einer Woche zu andern, wandelten sich meine Zeugnisse. In der Lehrzeit gab es Berge von Zwischenzeugnissen, alle paar Monate wurde ein Lehrbrief ausgefüllt. Nicht daß meine Eltern arg an mir gezweifelt hatten, aber nun kam ich mit besten Zeugnissen nach Hause, statt als „reserviert“ wurde ich als „freundlich und interessiert“ von meinen Lehrmeistern beschrieben, aus schlechten Schulnoten wurden sehr gute Lehrnoten.

Hier einige Fotos von Arbeiten, die ich noch gefunden habe: Die Einladung zum ND-Gaststättenwettbewerb würde typografisch in meiner Werkstatt nicht bestehen. Die Versalien sind nicht ausgeglichen, aber der Bindestrich wurde umgedreht und somit höher gestellt, ich hab diesen typografischen Kniff neulich hier beschrieben. Die „Strumpfboutique/Espresso“ fällt ebenfalls durch. Ich muß dazu erklären, daß wir oft Aufträge gesetzt haben, die unserem typografischen Einfluß entzogen waren. Die Manuskripte wurden ausgezeichnet, d.h. es wurde rangeschrieben, was aus welcher Schrift wohin zu setzen war, manchmal gab es eine Skizze, und wir setzten das dann nach. Also ob die Boutique nun Espresso hieß oder man beim Strümpfeprobieren einen Kaffee bekam, das erschließt sich nicht. Auch die halbfette Renaissance-Antiqua paßt nicht und sieht an sich schon klobig aus. Die Räume um die auf Mitte stehenden Punkte sind zu groß. Zwischen KH am Anfang der Zeile fehlt Raum. Die Doppelunterstreichung des Wortes Rechnung ist häßlich und falsch.

Auf dem Bild mit den Versalzeilen ist eine Übung im Ausgleichen von Versalien zu sehen: Stoßen NN zusammen, ist zwischen ihnen kein Raum. Treffen LA aufeinander, entsteht ein Loch. In NONNE reißt das O mit seinem Binnenraum ein Loch. Solche Unregelmäßigkeiten zu einer, wie es der Typograph Jan Tschichold formuliert hat, „leicht perlenden Zeile“ zu harmonisieren, nennt man Versalienausgleich. Oder auch Neutralisierung. Erst wird ausgeglichen, danach wird leicht gesperrt. Datum auf dem Abzug: 10. November 1983. Tempus fugit.

Der Erziehungs- und Bildungsplan für Kinderkrippen liegt mir leider nicht mehr vor, ich habe offenbar nur das Titelblatt gesetzt. Unsere Schule war eine sogenannte Betriebsberufsschule. Sie hieß „Rudi Arndt“ nach einem Berliner Kommunisten und gehörte zur Druckerei „Neues Deutschland“. Hier wurden Schriftsetzer, Buchdrucker, Offsetdrucker, Buchbinder, Chemigrafen ausgebildet und vielleicht auch Tiefdrucker, das weiß ich nicht mehr. Den Auftrag dazu erteilten Stammbetriebe, die die Lehrlinge später übernahmen und mit denen der Lehrvertrag geschlossen war. Mein Lehrherr war “transpress VEB Verlag für Verkehrswesen”, wo ich später als Hersteller arbeitete. Die Schule war ein großes Haus in Berlin-Mitte unweit der Jannowitzbrücke, ein herrliches altes rotes Backstein-Fabrikgebäude, im Sommer angenehm temperiert, im Winter streikten wir sogar einige Male wegen der Kälte in der Setzerei. Nun ja, und da wurde jedenfalls auch einiges staatliche Zeug gedruckt. Das Foto darunter zeigt eine Tabelle. Tabellensatz brachte manchen zum verzweifeln, man muß nämlich erst ausrechnen, welche Teile man wie verbaut, und wenn man falsch gerechnet hat und die Tabelle 6p zu breit geworden ist, fängt man von vorne an. Das nächste Foto zeigt ein Stück vom Kopf des „Neuenhagener Echo“. Man kann daran sehen, daß selbst die lokalen Wurstblätter gleichgeschaltet waren und auf dem Titel sozialistische Propaganda publizierten. Aber Metteur war ich sehr gerne, um diese Arbeiten habe ich mich gerissen. Zeitungbauen macht Freude, zumal wenn der Typograf nicht rechnen kann und man dann selbst mit der nötigen Entschlußkraft den Umbruch mal flugs umwirft und erneuert. In Blei! Und unter Zeitdruck, versteht sich.

Das letzte Bild zeigt ein Stück russischen Text, wir hatten natürlich auch Fremdsprachensatz in der Ausbildung. Das ist ein Korrekturabzug, und was steht darunter? Neulich angekündigt: Meine persönliche Druckgenehmigungsnummer, die den Verfolgungswahn der Diktatoren in der östlichen Hälfte Deutschlands demonstriert. Die (87) war die Betriebsnummer, RA steht für Rudi Arndt, Nr. 042 war ich, 84 bezeichnet das Jahr 1984, und danach noch einmal der Klarname. Dazu muß ich nichts mehr sagen. Aber zum Satz: Der Text gehörte zu einer archäologischen Fachzeitschrift und war wohl ein Abstract, ich verstehe kein Russisch mehr. Schriftgrad Petit (8 Punkt) und vor allem, jetzt werden alle Schriftsetzer sich lustvoll gruseln: kompreß gesetzt auf eine Breite von 7 Konkordanz, 22 Zeilen hoch. Kompreß heißt ohne Zeilenzwischenraum (im Gegensatz zu splendid). Gewöhnlich sind Zeilen durch Bleischienen, die wir Regletten nennen, voneinander geschieden. Und so habe ich den Text auch gesetzt, aber dann mußten die Regletten ja raus, und wenn dann eine Korrektur auszuführen war …

Es gibt den Begriff der Hochzeit für ein doppelt gesetztes Wort. Ein fehlendes Wort heißt Leiche. Aus einem kompreß gesetzten Text in kyrillischer Schrift in Petit eine Hochzeit zu entfernen, ist eine Strafe. Man braucht dafür ruhige Hände und Nerven. Damals versuchte auch ich, mich um diesen Auftrag zu drücken, er kam periodisch und ereilte uns leider alle mal.

— Martin Z. Schröder

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