Carte blanche · 19. Dezember 2008
»Drucken Sie mir bitte Briefpapier, ich habe wenig Zeit, bin schlecht erreichbar für Entwurfssendungen und möchte alles Ihrem Stilgefühl überlassen: Carte blanche.« So schrieb mir ein freundlicher Herr, der Druckerey bereits als Auftraggeber bekannt und willkommen.
Völlige Handlungsfreiheit für den Designer — ein Traum! Mir wurde sogar vorgeschlagen, wenn ich schon immer mal einen Entwurf habe drucken wollen, aber bislang keine Gelegenheit dazu gefunden hätte, dann wäre dies der richtige Zeitpunkt. Es ginge um eine kleine Auflage und solle nur fix gehen, drei Tage wären in Ordnung. Text des Briefbogens: Ein Name, drei Orte. Kein Gewusel von Titeln, Ziffern, Sonderzeichen, dieses ganze übliche Kommunikations-Gedöns mit Steuernummer, das fast jeden Entwurf in die geheimnisfreien Ebenen des Arbeits-Alltages zieht.
Nun ist es ein ganz anderes Arbeiten, wenn man für sich selbst in der Werkstatt ohne digitale Skizzen anzufertigen einen Entwurf plant. Welche Schriften sollen eingesetzt werden, welches Papier, welche Farbe. Der Entwurf im Kopf beginnt schwarz-weiß. Der Blick schweift über Setzkästen. Der Kopf arbeitet am Entwurf, während die Hände noch etwas
anderes drucken. Aus der einen Bewegung entsteht die andere. Was wollte ich schon immer einmal machen? Ich wollte erstens einige Schriften erstmals für Akzidenzen einsetzen. Ich wollte zweitens Schriften mischen, die große Kontraste ergeben. Drittens ist immer die Frage zu beantworten, wie Spannung entsteht durch Anordnung von Elementen, durch Proportionierung, durch Maßnehmen und Ins-Verhältnis-setzen.
Mit der Cicero großen (12 Punkt) Schrift Lichte Bigband (mehr zu dieser Type habe ich im Januar geschrieben) und der kursiven Garamond in Tertia (16p) finden zwei Schriften zusammen, die sich durch ihren ausgesprochen ornamentalen Charakter so gut vertragen. Gewiß, sie wirken wie aus zwei Welten, hier die französische
Renaissance-Type aus der Breitfeder, da die Reklameschrift aus den 70er Jahren — halt! Was da ein Schatten ist und Tiefe vorgaukelt, darin sehen wir doch auch einen Breitfederstrich. Ein Kalligraph hat die Bigband entwickelt, und man sieht es ihrer lichten Variante an. Deshalb nämlich passen die Meister-Ornamente von Herbert Thannhaeuser, aus dessen Hand ebenso die kursive
Garamond kam, so ideal zur Lichten Bigband. So schlicht wie die Sache aussieht, so kompliziert war der Satz. Man darf das natürlich im Druckbild nicht sehen. Kompliziert aussehende Sachen können kaum zugleich elegant sein, und ich bevorzuge Geschmeidigkeit in der Typografie. Der Satz hat mich einen halben Tag gekostet, da stecken hauchfeine Spatien zwischen den Buchstaben, um den
Schein gleicher Längen zu wahren. Da habe ich ausgenutzt, daß das Wort MALMÖ in der Bigband viel lichter ist als BERLIN durch die Schrägen von M und A, so war es also günstig, Berlin minimal zu spationieren, um beide Wörter gleich lang werden zu lassen. Man sieht es auf dem Foto in der starken Vergrößerung. Diese hellen Räume zwischen den Buchstaben sind weniger als ein Zehntelmillimeter groß und wurden durch feine Neusilberspatien erzeugt, denn mit Messing lassen sich so feine Plättchen nicht herstellen, schon gar nicht mit Blei.
Gedruckt wurde mit dunkelgrüner Farbe auf ein Papier aus reiner Baumwolle in gebrochenem Weiß mit Wasserzeichen von Crown Mill, dazu habe ich Kuverts mit einem dunkelgrünen Seidenfutter beschafft. Früher, die letzten noch vor wenigen Jahren (Palado mit dunkelblauem Futter), gab es solche Papiere aus Deutschland, aber die Nachfrage scheint nicht groß genug zu sein. Jetzt kommt die feine Ware wie zu Gutenbergs Zeiten (Er importierte aus Italien. Ich übrigens auch: von Fedrigoni) aus dem Ausland.
Für das Kuvert mußte ein eigener Entwurf her. Die Lichte Bigband gibt es nicht in kleineren Graden, also bin ich auf Futura in Versalien ausgewichen. Der Kontrast zu den kursiven Garamond-Minuskeln ist ebenfalls groß, dazu habe ich wieder Meister-Ornamente gestellt. In der äußeren Form ist die spitze Klappe des Briefkuverts aufgenommen, so wie innen zum rechteckigen Briefbogen eine rechteckige Schriftform gestellt wurde.
Beides sind ornamentale Entwürfe. Sobald Schrift nicht mehr nur funktional für das Lesen gearbeitet ist wie die in Büchern übliche Renaissance-Antiqua, kann (und darf) sie ornamentale Pracht entfalten. Auch eine serifenlose Schrift ist durch rhythmische Wechsel von Auf und Ab, Hell und Dunkel ornamental. Schon ein bloßer Punkt kann ein Ornament sein, vier Punkte können eine Raute bilden — das Ornament steckt überall. Reizvolle Kontraste zu bilden ohne Schriften sich gegenseitig wehtun zu lassen, kann immer eine Aufgabe für zeitgemäße Typografie sein.
Für die Erlaubnis, die Arbeit hier zu zeigen, danke ich Herrn Schütze.
— Martin Z. Schröder
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