Pedaltiegel mit Schwungrad zu verkaufen · 22. Juni 2020
Er hat mir seit 2004 treu gedient. Briefpapier, Eheurkunden, Einladungen, kleine Plakate und das zweite der bibliophilen Büchlein von Max Goldt sowie die Umschläge der Bände 2 bis 4 wurden auf dieser Maschine gedruckt.
Aber nun steht sie seit Jahren still. Wird nur noch alle paar Monate der Pflege-Routine unterzogen, entstaubt, ein wenig geölt und gestreichelt.
Es wird Zeit, daß der Nußknacker einen neuen Rumpelkutscher findet.
Gebaut wurde diese Maschine um 1900 von der Maschinenfabrik »Emil Kahle« in Leipzig-Paunsdorf.
Ich habe sie in einem nicht verwendbaren Zustand aus einem Privatmuseum gekauft, woraus sie aus Platzmangel weichen mußte. Zu dritt hievten wir sie mit Mühe auf einem Transporter. In Berlin legten wir einen dicken Strick um die vor dem Haus Schonensche Straße 38 stehende Laterne und ließen das Fundament langsam auf einer Schräge aus Brettern ins Souterrain. Anno 2003 hatte ich diese Werkstatt erst bezogen.
Wir bekamen sie aber nicht aufgestellt. Die Maschine lag schwer auf dem Boden und ließ sich von uns dreien nicht aufrichten. Da rief ich eine Freundin an und bat sie, mir ihren Sohn mit ein paar von dessen Freunden zu leihen. Dieser Sohn war nämlich damals ein junger Polizist und Kampfsportler.
Er kam rasch mit seinen Freunden nach dem Fußballtrainig vorbei, und drei der überbreiten Herren stellten die Maschine spielerisch auf die Füße.
Anschließend mußten einige Teile neu gedreht werden. Damals noch ohne CNC-Fräsen. Und ich mußte erst einmal eine Zeichnung der Walzenspindeln und Laufräder anfertigen. Ein Schlosser nahm sich der Sache an. Und der Tischlermeister Horst Wrede aus Emmen baute die fehlende Ablage, deren Maße ich einem alten Buch über ähnliche Maschinen so ungefähr entnehmen konnte.
Ein zweiter Schlosser, damals noch auf einem Hof in der Kastanienallee, in der es heute nur noch ständig wechselnde Firlefanzgeschäfte gibt, baute mir die Befestigung für den Aufzug und eine Muffe zum Festhalten des Schwungrades.
Anschließend wurden die vier Walzen neu mit Gummi bezogen.
Und dann verdiente diese Maschine zusammen mit einem Handtiegel nicht nur meinen Lebensunterhalt, sondern auch das Geld für meinen ersten Heidelberger Tiegel. Der ihr dann die Arbeit abnahm. Im Jahr 2013 zog die Maschine mit mir nach Weißensee in die jetzige Werkstatt. Aber hier hatte sie kaum noch zu tun, obwohl sie, das ist einer ihrer Vorzüge, ein etwas größeres Druckformat als der Heidelberger hat und auch über das Format weit herausragende Materialen bedrucken kann. Nun ist es also an der Zeit für einen neuen Standort, und für 3500 Euro brutto kann die Maschine abgeholt werden.
— Martin Z. Schröder
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Boston-Tiegel zu verkaufen · 25. Februar 2013
Zum Ende des Jahres werden Kollegen in Berlin ihre Druckerei schließen. Deshalb bieten sie diesen Boston-Tiegel zum Kauf an, und ich helfe bei der Vermittlung. Er ist erhältlich im Bleisatzmagazin Rheinland, der Kauf wird aber direkt von den Besitzern abgewickelt.
Die Maschine ist in Ordnung, nur die Walzen könnten einen frischen Bezug vertragen.
Die Maschine ist im Erstbesitz eines Berliner Familienunternehmens und wurde 1926 vom Berliner Grafischen Fachhandel Alfred Witt erworben.
Im Farbteller befindet eine Unebenheit. Damit ist gedruckt worden, aber womöglich sollte diese Unebenheit vom Schlosser ausgeschliffen werden.
— Martin Z. Schröder
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Junge Setzer und Drucker, Teil 1 · 5. Dezember 2007
Kürzlich erzählte ich hier von dem Beginn meiner Zuneigung zum Bleisatz, entstanden in der Arbeitsgemeinschaft “Junge Schriftsetzer” im Berliner “Pionierpalast”, einem phänomenalen, in der DDR einmaligen Freizeithaus für Kinder und Jugendliche im “Pionierpark” mit “Pioniereisenbahn” in der Berliner Wuhlheide, und von meiner Lehrzeit. Ich habe nicht viel aufbewahrt aus dieser Zeit meiner frühen Jugend, wir haben Postkarten, Plakate, Briefpapier, Visitenkarten gedruckt. Nicht nur meine Familie, die halbe Schulklasse habe ich mit Visitenkarten ausgestattet. Aber zwei Büchlein sind doch noch da. Ich zeige sie hier auf einigen Fotos.
Die typografische und satztechnische Beschaffenheit dieser Büchlein ist von solider Güte. Ich war damals stolz auf dieses Gemeinschaftswerk mehrerer Jugendlicher und Kinder (der Jüngste war zehn Jahre alt), und ich bin es heute noch. Und zwar nicht, weil ich an irgendeiner Drucksache gearbeitet habe, sondern weil dieses Buch den Anforderungen genügt, die gebildete Menschen an ein Buch stellen, egal wie alt sie sind. Unser Meister Wolfgang Holtz war einerseits ein großer Pädagoge, indem er uns lehrte, wie die Dinge gemacht werden und man dem Machen Freude abgewinnt; er war andererseits ein Antipädagoge, weil er unter einem kindgerechten Buch nichts Niedliches verstand, sondern beispielsweise ein angemessenes Format für kleinere Hände, kleine Schriften für gute Augen, gut geschriebene, verständliche Texte für einen kindlichen Sinn. Er hat diese Bücher nicht aus falsch verstandener kindlicher Perspektive entwickelt, die oftmals nur dümmlich wirkt, sondern in unserem Sinne für unsere Bildung. Wir haben gelernt, wie man ein Buch macht, also auch, was ein Buch ist. Wir hatten es nicht mit einem Lehrer zu tun, der unserer Phantasie freien Lauf ließ. Phantasie ist in der Typographie zwar gefragt, aber sie muß gelenkt werden, sie entfaltet sich in starken kulturellen Grenzen, sonst kommt Quatsch heraus. Vernünftige Kinder sind dieser Art der aus der fiktiven Höhe aufs vermeintlich naive Gemüt herabgeneigten Quatschvermittlung (“auf Augenhöhe” – begibt man sich mit geschrumpften Senioren auch auf eine solche?) kaum zugeneigt.
Ich habe in der Schule nie die Zufriedenheit über einen Bildungszuwachs erlebt, wie ich sie in der Arbeitsgemeinschaft gewann. In der Schule wurde mir mein interessegeleitetes Lernen als Fehlverhalten vorgeworfen; in der Arbeitsgemeinschaft „Junge Schriftsetzer“ wurde nur gelernt, was interessierte, und das reichte immerhin dafür, daß ich im ersten halben Jahr meiner Lehre kaum neues erfuhr. Aus der Befriedigung von Interesse erwächst Lernbegierde. Erfolgreich lernt nur, wer sich für etwas interessiert. Ich war kein guter Schüler, aber ich hatte Interessen, und aus Interessen erwächst Antrieb und Erfolg. In der Beurteilung meiner Schule hätte gestanden, daß sie nicht in der Lage war, mein Interesse an Themen zu erwecken, die höchst interessant sind. Wolfgang Holtz konnte das – und ich würde ihm unterstellen, daß er keine erzieherischen Ambitionen hatte, sondern seine Freude an der Arbeit mit uns teilen wollte. Er hatte es freilich auch leicht in einer Umgebung, in der die Sache, die Technik, Aufmerksamkeit fordert und die Menschen nicht zum Erscheinen gezwungen werden. Ich fühlte mich dort so wohl, daß ich nicht nur einmal pro Woche, wie es vorgesehen war, meine Zeit dort verbrachte, sondern viele Nachmittage. Manchmal kam man auch nur, um den andern zuzugucken, am Tisch zu sitzen und zu plaudern. Eine Setzerei ist gemütlich.
Auf den ersten Fotos ist ein ABC-Buch aus der Druckerei abgebildet. Wir haben das Buch selbst in Leinen gebunden. Erläuterungen: Eine Hochzeit ist ein doppelt gesetztes Wort oder ein doppelt gesetzter Satzteil. Eine Leiche ist das Gegenteil davon: fehlende Wörter. Ein Fliegenkopf ist das Abbild einer auf dem Kopf stehenden Type, also im Satzbild ein Fleck anstelle eines Buchstaben. Ein Satzschiff ist ein schweres Blech, auf dem man Bleisatz-Kolumnen transportiert und aufbewahrt, es dient auch als Arbeitsunterlage. Versalien sind Großbuchstaben, Gemeine sind Kleinbuchstaben, und Flattersatz ist eine Satzform ohne Worttrennungen, in der die Zeilenlänge dem Zufall, dem Sinn oder dem typografischen Entwurf untergeordnet wird. Im glatten Satz (heute Blocksatz genannt) werden nach dem Setzen einer Zeile die Wortabstände geändert, um eine bestimmte Länge der Zeile zu erreichen. Quadraten, Stege, Ausschluß (sind / im Satz gewöhnlich blind; der Reim schwirrt mit heute noch durch den Kopf) werden nicht-druckende Teile genannt, ohne welche die Lettern keinen Halt hätten. Spieße werden Teile genannt, die während des Druckes durch die Erschütterungen der Druckmaschine aufsteigen auf Schrifthöhe und dann mitdrucken. Garamond, Didot und Super sind Namen von Schriften: Garamond-Antiqua, Didot-Antiqua, Super-Grotesk. „Unsre alte Boston“ ist die Bostonpresse, auch Bostontiegel. Eine in Boston, der Hauptstadt Massachusetts, von der Maschinenfabrik William H. Golding (1845 – 1916) um 1870 entwickelte Klapptiegeldruckpresse. In meiner Werkstatt steht ein Original aus Boston (Golding presses have the name Golding & Co. cast into the body of the press), ich drucke allerdings nicht damit, weil sie nicht so leicht justierbar ist wie die nach 1900 gebauten. Ich müßte mit Leder- und Papierstreifen die Walzenhöhe einstellen. Man hat später die Laufleisten für die Walzen durch Schrauben verstellbar gemacht.
Das Foto mit der X-Seite aus dem ABC-Büchlein zeigt einen Abzug des Rahmens. Ich wüßte sonst nicht mehr, daß ich diesen Rahmen 1981 gesetzt habe. Im Z-Spruch ist das Lang-s verwendet worden. Unser Meister hatte keine Angst davor, uns auch mit alten Bräuchen vertraut zu machen. Im Bleisatz dieser kursiven Garamond von Typoart war das lang s enthalten.
Schließlich das Impressum, wo unsere Namen erstmals in einem echten, richtigen, gedruckten Buch erschienen. Wir waren sehr zufrieden.
Das „Fachwörterbüchlein“ kommt mit einem recht prächtigen Haupttitel in zweifarbigem Druck daher. Die Entwürfe für diese Arbeiten wird der Meister Wolfgang Holtz wohl beeinflußt, wenn nicht selbst gemacht haben. Daran ist auch für einen Typografen nicht viel zu verbessern. Vielleicht ein wenig Randausgleich und Versalienharmonisierung, aber das ist auch Ansichtssache.
Auf Seite 25 wird erklärt, was Leichen, Fliegenköpfe und Spieße sind, mit einem Grammatikfehler am Ende des Satzes. Es gibt übrigens auch das Verb zum Spieß: eine Druckform spießt, sagt man, wenn Blindmaterial mitdruckt. Auf Seite 28 ist mein erster Linolschnitt zu sehen, ich habe mir zur Illustration die Bleilaus ausgesucht. Es gibt übrigens ein etwas böses Spiel in der Druckerei: Jemandem „Bleiläuse zeigen“. Wolfgang Holtz hat mir Bleiläuse gezeigt, ein netter älterer Herr mit Bart und Brille und dann doch ein Kindskopf. Ich war hinterher zwar etwas naß, aber ihm nicht böse. Wir haben ihn alle sehr gemocht. Heute glaube ich, weil er nie an uns herumnörgelte und uns nicht erziehen wollte. In einer durchpädagogisierten Welt wie der DDR hatten es Erwachsene ohne den Willen zur Menschenformung nach einem (sozialistischen) Bilde mit Kindern schon viel leichter durch den entspannten Umgang.
Und auf der letzten Seite das Impressum mit der in der DDR unvermeidlichen Druckgenehmigungsnummer. Du liebe Güte!
Gelegentlich unterrichte ich Bleisatz. An der Potsdamer Fachhochschule erfüllte ich einige Semester lang einen Lehrauftrag im Fachbereich Design, bis ich keine Zeit mehr hatte, eine unterbezahlte Tätigkeit auszuüben. Vielleicht biete ich später mal wieder etwas an. Es hat Spaß gemacht, und ich habe immerhin einen Mitarbeiter für meine Werkstatt gewonnen, der kalligrafische und typografische Aufträge übernimmt. Kinder habe ich öfter unterrichtet, oft auch gratis, weil das eine vergnügliche Abwechslung ist.
Pädagogik ist keine Wissenschaft. Wissenschaftlich wäre, wenn ich eine Maßnahme A auf ein Kind B anwenden kann und ein Ergebnis C erhalte. Methodik und Didaktik funktionieren so aber nicht. Man sagt, daß es gute und schlechte Pädagogen gibt. Richtig ist: es gibt keine Pädagogen, sondern Menschen, die methodisches und didaktisches Vorgehen mehr oder minder in Übereinstimmung mit Bedürfnissen anderer Menschen bringen. Wenn Grundschullehrer, die in der Regel typografisch unbeleckt sind, jungen Menschen eines Jahrganges ohne ausreichende Rücksicht auf individuelle Entwicklung Lesen und Schreiben „beibringen“, ist das Glückssache. Und grundsätzlich eher ein Problem des Systems als des einzelnen Lehrers. Wenn’s nicht klappt, stehen geschäftstüchtige Psychologen in einem Unterstützungssystem mit Diagnosen phantastischer Mißlichkeiten bereit: Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit Hyperaktivität oder Legasthenie. Treppenwitze der Schwarzen Pädagogik. Ein Typograph muß sich nur die überdimensionierten Fibeln anschauen und die serifenlosen und zu großen Druckschriften darin, um das programmierte Scheitern zu erkennen. Viele Kinder lernen lesen trotz Schule. Ich habe übrigens an Ladenschildern lesen gelernt. Ich wollte wissen, was sie bedeuten, und meine Mutter hat es mir verraten. Meine ersten Wörter waren FLEISCHEREI, MILCH, HUTMODEN und so weiter. Das Gestammel „Mama am Haus“, „Oma im Garten“, das in meiner Schulfibel stand, hat die Schule in meinen Augen erniedrigt.
In der Druckerei hatte ich meistens mit Kindern zu tun, denen Buchstaben bereits vertraut waren. Aber auch ein 4jähriger ist in meiner Druckerei in Juchzen ausgebrochen, als er, auf einem Podest an der Presse stehend, den ersten Abzug seines Namens fertigte, dessen Züge er schon kannte. Lesen und Schreiben lehrt sich am besten in Verbindung mit Sinngebung, so wie es auch benutzt wird. Niemand liest um des Lesens willen, sondern weil er etwas erfahren möchte. Die Frage „Was steht da?“ markiert den Punkt, an dem das Lernen beginnt. Nicht: Zwei diagonal und spitz nach oben einander zugeneigte Stöckchen, eine “umgedrehte Schultüte” oder “ein Dach”, mit einem verbindenden Querknüppel in der Mitte bedeuten: A. Speak after me: Aaaa! Aber ja. A wie Abrichtung?
Im vergangenen Sommer waren Malte und Luca eine Woche lang meine Gäste. Vormittags arbeiteten wir in der Werkstatt (abgesehen von den Eichelschlachten auf dem Hof und der Konstruktion einer Papierflugzeugflotte mit Testflügen auf der Straße), die Nachmittage verbrachten wir mit Amusement: Kino, Tierpark, Naturkundemuseum, Technikmuseum, Aquarium, Fernsehturm, Spielplatz, Buchhandlungen – eine Woche intensive Expeditionen. Und übermorgen zeige ich, was die beiden Praktikanten und ich gedruckt haben. Und welche Gesichter wir dabei machten. Für heute soll es genug sein. Die Druckerey hat dieser Tage viel zu tun, es weihnachtet nach Kräften, weshalb auch die Arbeit am Max-Goldt-Büchlein ruht.
— Martin Z. Schröder
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Setzer gegen Drucker · 31. Oktober 2007
Aus vergangener Zeit:
Als ich ein Bursche war, gab es noch die gute alte Überheblichkeit der Schriftsetzer gegenüber den Druckern. Setzer und Drucker waren Kollegen und arbeiteten in einem Haus. Die einen hielten sich für gescheiter als die anderen. Was die Drucker von uns Setzern dachten, weiß ich nicht. Ich bin zu jung, um viel Erfahrung in einem solchen Betrieb gesammelt zu haben.
In der Berliner Betriebsberufsschule der Druckerei “Neues Deutschland”, welche auch das gleichnamige “Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands” druckte, ließen die ausbildenden Betriebe Nordostdeutschlands ihren Lehrlingen den größten Teil der Berufsausbildung zukommen. Das ging auch gar nicht anders, denn wie sollte man die für unsere Landesverteidigung wichtige vormilitärische Ausbildung ohne Zentralisierung abwickeln? Es gab in der DDR also nur zwei oder drei Berufsschulen, wo man Setzer oder Drucker wurde. Die in Berlin befand sich in Mitte, Michaelkirchstraße.
(Als Militär [-polygraph] habe ich übrigens versagt. Die vormilitärische Früherziehung hat nicht verhindern können, daß ich später als Soldat ein bißchen eingesperrt und degradiert werden mußte.)
Ganz oben waren die Setzersäle. Im größeren, wo ich arbeitete, gab’s eine kleine Bude für den Obermeister und einige Gassen, die man so nennt, weil man Setzereiregale entsprechend anordnet. Also mehrere hintereinander und einander gegenüber. Bleischriften über Bleischriften. Zwei Dutzend Lehrlinge wurden von zwei Lehrmeistern pro Saal ausgebildet. Die Schreibtische der Meister standen direkt an den Gassen. Es gab noch einen Raum mit Stühlen, wo Theorie unterrichtet wurde. Und es gab einen weiteren Flügel des Hauses (rote Backsteinfabrik), wo der Fachunterricht in Klassenzimmern gehalten wurde. In dieser Schule wurden diverse polygrafische Berufe ausgebildet, beispielsweise Chemigrafen. Fast eine künstlerische Ausbildung.
Neben dem Setzersaal waren die Abteilung Maschinensatz mit einigen Setzmaschinen und das Büro des Herrn Oberkorrektor Bober. Er kam mir damals vor wie ein Greis. Es stank in seinem Büro so nach Zigarrenqualm, daß sogar die gelesenen Korrekturabzüge (auf langen Papierbahnen, weshalb sie Fahnen genannt wurden) verraucht waren, wenn sie aus seinem Büro wieder zu uns gelangten.
Unter dem Setzersaal war der Saal mit den Druckmaschinen: sowohl Schnellpressen als auch Tiegel. Dorthin ging der Setzer, wenn eine Maschinenrevision vorzunehmen war, d.h. die letzte Korrektur vor dem Druck der Auflage. Der Setzer bewaffnete sich mit einer Ahle und einer Pinzette und dem für die Korrektur voraussichtlich benötigten Setzmaterial aus Blei oder Messing. Auf die Ahle wurde ein Korken gesteckt, bevor sie in der Kitteltasche versenkt ward. Setzer trugen graublaue Baumwoll-Kittel. (Manche trugen glänzendes Dederon anstatt Baumwolle.) Nun verließ man den ruhigen Saal, wo die Mitlehrlinge setzten und leise gesprochen wurde. Man gab sich intellektuell. Viele Künstler brachten ihre Kinder in der Schriftsetzerlehre unter. Man wußte von Berühmtheiten, die Schriftsetzer waren. Ich nenne exemplarisch nur Mark Twain.
Eisentür, treppab, Eisentür – und man stand im Lärm. Der Setzerlehrling erkundigte sich beim Buchdruckmeister, wo die Korrektur auszuführen war und ging zwischen den Maschinen hindurch zur Schließplatte seines Kollegen, des Druckerlehrlings. Dieser hatte die Druckform für den Setzer aus der Maschine auf die Platte gehoben, die Farbe abgewaschen und die Schließzeuge geöffnet und stand nun daneben. Da fühlte der dumme Setzerlehrling: Ah, alles vorbereitet und auf mich gewartet. Nun werde ich Setzer mal mein feines Handwerk vorführen. Allerdings konnte man sich auch vom Buchdruckmeister tadelnde Worte anhören, wenn man selbst oder ein anderer Setzer (meist korrigierte man doch die Arbeiten anderer) unsauber gesetzt und dem Drucker dadurch Probleme bereitet hatte. Selbst war man freilich der gute Setzer, dem das nicht passiert wäre, wie man dem Meister klarzumachen versuchte. Also korrigierte man die Form, wartete gnädig darauf, daß der Drucker sie wieder schloß und in die Maschine hob und andruckte und ging dann mit dem Druckbogen wieder treppauf ins stinkende Büro des paffenden Oberkorrektors.
So sahen die Setzer die Drucker. Man hätte uns damals mal zeigen sollen, wie eine Druckmaschine eingerichtet wird, wieviel Arbeit es kostet, bis der erste gute Druck aus der Maschine kommt.
1994 kaufte ich mir eine Boston-Presse. Das ist ein kleines Ding mit zwei bis vier Walzen und einem Hebel, um 1860 entwickelt von William Golding in Boston. In meiner Werkstatt steht ein Original aus dem Werk in Boston, gebaut im 19. Jahrhundert. Ich arbeite allerdings an einem Hogenforst aus der Zeit um 1920 und in Leipzig gebaut. Früher wurden Druckerlehrlinge lange an diesen Pressen ausgebildet, etwa ein Jahr lang. Hat mir mal ein älterer Kollege erzählt. Denn alles, was man an großen Pressen tun muß, muß man auch an den kleinen, also Druck, Walzen und Farbe einstellen:
Welche Druckform wird mit welcher Farbe auf welches Material gedruckt. Farbe kann flüssig sein und zäh, sie kann weich sein und lange Fäden ziehen, sie kann lasieren, sie kann ölig sein, das Fett kann aus der Schrift ins Papier laufen (das sieht man erst Stunden nach dem Druck), sie kann rupfen, d.h. klebrig sein. Sie sieht bei jedem Licht anders aus. Man hilft ihr nach: mit Bologneser Kreide, mit Druckpaste, mit Drucköl, je nachdem.
Die Walzen und das Papier und die Farbe verhalten sich zu Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit. Mysterien des Klimas!
Drucken erfordert mehr Gefühl als Setzen. Der Drucker wird von Naturerscheinungen eingekesselt, Drucken ist eine Kunst.
Das Setzen von Schrift selbst ist meistens eine recht einfache Tätigkeit. Man benötigt dafür erlernbares Wissen, für einfache Texte braucht es nicht viel Erfahrung. Ich habe es selbst oft unterrichtet und weiß daher, wie schnell halbwegs geschickte Menschen gut damit zurechtkommen.
Die Kunst des Setzers ist die Typografie, hier zeigt er seine Bildung, seinen Blick für das Detail wie für die Gesamterscheinung. Je mehr der Setzer von Typografie versteht, desto mehr freut sich der Typograf, weil er sich verstanden fühlt und seine Angaben verständig umgesetzt findet. Wenn der Typograf seine Arbeit nicht gut macht, muß der Setzer der bessere Typograf sein. Ich habe beides erlebt: Typografen, deren genauen Bleistiftskizzen ich voller Bewunderung gegenüberstand, vor allem in der Buchtypografie, und solche, die ich verachtete, weil sie nicht rechnen konnten und ich ihre Umbrüche korrigieren mußte, das kam im Zeitungsdruck vor, wo ich kurze Zeit als Metteur tätig war, also als einer, der Seiten zusammenbaut aus Textkolumnen, Fotos und Überschriften.
Daß heute Typograf und Setzer oft in einer Person stecken, zeitigt, wie damals, sowohl gute als auch schlechte Arbeiten.
Drucken aber erfordert ungleich mehr Erfahrung. Ich drucke seit 1994, und noch heute gibt es gelegentlich Tage, da muß ich die Maschine stehen lassen, weil ich kein befriedigendes Ergebnis zustande bringe: weil das Klima mich nicht läßt. In dieser Hinsicht sind Drucken und Typografie verwandt, man benötigt für beide Muße, Erfahrung, auch Phantasie. Es passierte mir jahrelang immer einmal wieder, daß ich keinen sauberen Druck zustande bekam, und nachdem ich vermeintlich alle Parameter eine Stunde lang überprüft und nachjustiert hatte, fielen mir die Worte meines Kollegen ein: der Tropfen Öl an der richtigen Stelle.
Heute scheitere ich nur noch selten. Ich brauche manchmal viel Zeit, aber mit dem Drucken von Schrift und Strichzeichnungen bin ich vertraut. Als Bilderdrucker von großen gerasterten Flächen wäre ich ein blutiger Anfänger.
Ein guter Drucker zu werden dauert ebenso lange wie die Ausbildung zu einem guten Setzer, der auch typografisch selbständig arbeiten kann. Wo Arroganz in beiden Berufen gegeneinander gepflegt wurde, beruhte sie auf Unverständnis für die andere Seite. In kleinen Betrieben, wo Setzer und Drucker unter einem guten Meister zusammenarbeiteten, gab es solche Eitelkeiten nicht. In der letzten Werkstatt, in der ich als Setzer angestellt war, habe ich meinen Kollegen bewundert. Manchmal saßen wir in der Pause unweit der laufenden Maschinen, da kam es vor, daß er, eben wollte er von der Stulle abbeißen, aufsprang und zur Presse rannte. „Eine Störung!“ rief er. Es war ein Geräusch, das ich freilich nicht herausgehört habe. Seine Drucke waren excellent sauber, die Schrift kam prima gereinigt zurück zu mir zum Ablegen. Und was er meinte, wenn er rief: „Martin, bring mir mal ne Achtel auf fünf!“, das erzähle ich ein anderes Mal.
— Martin Z. Schröder