Erste Druckgänge für Cordbettwäsche · 22. Juni 2012
Heute kam die Umbruchkorrektur für das neue Buch von Max Goldt, das im September bei Rowohlt Berlin erscheinen wird und um dessen typografische Inneneinrichtung ich mich kümmere. Auf der Verlagsseite ist es noch nicht zu finden, aber eine Andeutung des überaus schönen Umschlages mit Pinselkalligrafie von Frank Ortmann kann man bei Amazon schon sehen.
Im September wird das bibliophile Büchlein noch nicht erhältlich sein, obwohl ich nun gestern mit dem Druck begonnen habe.
Vor dem Druck steht freilich die Planung. 2000 Rohbogen Popset perlgrau 90g/qm wurden von der Hamburger Papier-Union geliefert. Diese Rohbogen sind 700 × 1000 mm groß und müssen zuerst zugeschnitten werden. Das sind unhandliche 126 Kilogramm, die unterm Messer handlich und bedruckbar gemacht werden. Ein Ries (Papiermaß, in diesem Falle 250 Bogen 70 × 100 cm in einem Paket) wiegt knapp 16 Kilo und bildet ein Achtel des Inhalts der Gesamtauflage.
Die Buchtypografie muß nun auch für den Satz und die Druckform passend gemacht werden. Während ich beim Entwurf durchaus mit dem metrischen System arbeite, wird für die Druckform die Maßeinheit der Buchdruckerei benötigt: Cicero, Punkt, Konkordanz. In einer Skizze werden die Stegmaße notiert, also die weißen Flächen auf der Buchseite, in denen die Kolumne steht.
Bevor die Druckmaschine rollt, fragt der Drucker seinen Buchbinder, welche Maße dieser für seine Maschinen benötigt. Kein Drucker druckt, ohne sich beim Buchbinder zu vergewissern, daß die Druckbogen auch gut verarbeitet werden können.
Was ein Vorfalz ist, wird auf der oben verlinkten Seite der Firma Lüderitz & Bauer erklärt, die auch für dieses Büchlein wieder die Fadenknotenheftung übernehmen wird. Die Fadenknotenheftmaschine ist ebenso wie die Druckpresse 60 Jahre alt. Alle beide Baujahr 1952.
Mit dicken Linien habe ich erst einmal die Druckform eingerichtet. Insgesamt wird das Buch mehr als 60 Druckgänge benötigen wegen der vielen Farben auf den 32 Seiten.
Hier sind die Seiten 8 und 25 in einer Druckform für einen Druckbogen zu sehen. Erst durch das Falzen, das Zusammentragen und die Heftung gelangen die Seiten in die richtige Reihenfolge.
Weil jede Seite in diesem Büchlein ihren eigenen Entwurf bekommt, müssen die Skizzen genau geprüft werden. Nicht immer ist im Bleisatz machbar, was der Typograf sich wünscht. Schon im ersten Druckgang habe ich eine Schrift ausgetauscht. Das geht natürlich nur, wenn man in den typografischen Entscheidungen ganz frei ist. Ich muß typografisch weniger planen, als wenn ich für einen anderen Verlag arbeite.
Und weil ich mit diesem Entwurf unsicher war, habe ich die nicht auf dem Druckbogen, aber im fertigen Buch nebeneinanderstehenden Seiten vollständig aufgebaut, also insgesamt vier Seiten. Diese vollen Schließrahmen sind ein befriedigendes Bild für den Drucker. Das Einrichten der Seiten (der Vorfalz muß auf der Gegenseite in die Gegenrichtung berechnet werden), die punktgenauen Abmessungen (1 typografischer Punkt = 0,376 mm) und die Korrekturen haben einen halben Tag gedauert. Ich mache solche schönen Arbeiten ja nicht täglich und habe mich ein paarmal verrechnet. Ich bin aber mißtrauisch genug, um alles mehrmals nachzurechnen. Fehler, die Druckbogen untauglich machen, wären einfach zu kostspielig.
Hier sieht man den guten Monotype-Satz aus der Bodoni, den mir die freundlichen Kollegen vom Hamburger Museum für Arbeit lieferten, zusammen mit einem Schmuckelement aus meinem Fundus.
In einer zweiten Farbe wird diese Lichte Bodoni (Handsatz) hinzugefügt werden.
Das ist die Lichte Bodoni im Korrekturabzug in Schwarz.
Und hier die Monotype-Bodoni in kursiv und gewöhnlich.
Eine Vergrößerung des Schmucks macht die innere Schraffur sichtbar.
Hier die Vergrößerung der beiden Typen, aus denen das Zeichen zusammengesetzt ist. Das linke schon schwach in den Linien.
Die Schreibschrift Jaguar steht in einem aus der Maxima gesetzten Text.
Die Jaguar ist eine hübsche Type, die den munteren Zug der gedrehten Breitfeder zeigt. Georg Trump hat sie gezeichnet, sie ist in der Schriftgießerei C.E. Weber anno 1965 in Stuttgart erstmals gegossen worden.
— Martin Z. Schröder
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Die Bodoniberührung · 31. Oktober 2011
Dieser Korrekturabzug der Goetheschen Todesanzeige fiel mir am Wochenende auf. Am Wochenende fand im Hause von Gemäldegalerie, Kupferstich und Kunstgewerbe-Museum die Liber Berlin statt, die Antiquariatsmesse der Hauptstadt. Auch wenn man kein bedeutendes Vermögen für Bücher auszugeben beabsichtigt, ist ein Messebesuch ein großer Gewinn. Eine solche Antiquariatsmesse ist nämlich wie ein Museum für die Buchkunst der letzten Jahrhunderte.
Als mein Kollege und ich dieses silberne Gebetbuch belustigt und gerührt betrachteten, trat Herr Wolfgang J. Kaiser hinzu, der Londoner Antiquar (Tusculum Rare Books Ltd). Wir sagten ihm, daß wir diese schöne Arbeit soeben mit einem brillantenbesetzten I-Phone verglichen und festgestellt hätten, daß die Statussymbole in Vorzeiten kunstvoller gearbeitet waren und daß schon damals die Leute an der vielleicht größeren Leistung, nämlich den deutlich leiseren Büchern in Pergament und Leder, vorbeigegangen wären. Wir hatten einen Bodoni hinter Glas entdeckt.
Eine solche Messe ist auch so wunderbar wegen der Kenner, die dort herumlaufen. Man sieht sehr viele weißgeschopfte Herren mit Brillen und Schnauzbärten, in Kordjacken über Westen, gebeugte Figuren, gelegentlich in Begleitung von eleganten Damen mit einfarbigen oder dezent gemusterten Seidentüchern, die nicht wesentlich jünger sind, sich einem Antiquar nähern, der ihnen nicht unähnlich ist, sich freudig begrüßen und sogleich in ein Fachgespräch eintreten, daß einer wie ich zugleich innerlich jauchzt und sich schämt, weil einem in charmantem Ton als unbeteiligtem Zuhörer die eigenen Bildungsbrachen verdeutlicht werden. Es sind alte Damen und Herren, die nicht zum Abschied “Tschüssi” sagen, sondern: “Ich empfehle mich”, es geht hier zu wie an einem Hofe, am Hofe eines sehr feinen, der Bildung zugewandten Königs, also gedämpft, heiter, wohlgemut und angenehm.
Man wird auch automatisch für einen Kenner gehalten. Herr Kaiser hielt uns wegen unserer kleinen Bemerkung für Bibliophile, was ja nicht ganz falsch ist, und gab gleich einen winzigen Vortrag, in dem aber immerhin Griechen, Lateiner, Kriege und Völkerwanderungen vorkamen und sagte dann: “Ich habe da noch ein paar echte Bodonis, sind gar nicht so teuer, wollen Sie mal sehen?” Wir hatten keine Baumwollhandschuhe dabei, um Kunst anzufassen — der Antiquar griff in seine Aktentasche und legte uns vier echte Bodoni auf den Tisch und gab gleich einen kleinen historischen Abriß, den ich schon wieder vergessen habe, und ließ uns uns setzen und die Bücher aufschlagen.
Herr Kaiser hielt uns für Kenner, und immerhin waren wir zwei Schweizerdegen ja auch nicht völlig blind für die Dinge, aber doch so viel, daß wir, nicht zum ersten Mal, einsahen, wie beschlagen Antiquare sind. Und ich meine damit nicht nur wenige, sondern die meisten, denn Antiquare haben meistens ein Fachgebiet, auf dem sie, weil es ihre Handelsware anlangt, so gescheit sind wie Historiker.
Wir durften also in den Büchern blättern, und mein Kollege hatte zum ersten Mal einen Bodoni in der Hand. Ich vielleicht auch, aber ich hatte schon so viel in der Hand und ist mein Gedächtnis so schlecht, daß ich es nicht sicher sagen kann. Daß ich noch keine Manutius in der Hand hatte, und auch keine Gutenberg-Bibel, das weiß ich, die habe ich nur hinter Glas gesehen. Und im Halbdunkel.
Bücher des 18. Jahrhunderts habe ich schon öfter aufgeschlagen. Einen Bodoni, also ein Buch aus der Werkstatt des Druckers der Könige und Königs der Drucker, bekommt man von Herrn Kaiser schon ab 300 Euro. Es ist nicht die Art Buch, die man in klimatisierten Panzerschränken lagert. Aber man erstarrt als Buchdrucker trotzdem ein wenig, und wird dann technisch neugierig.
Nun saßen wir da. Und also ich fühlte mich sogleich unter Zeitdruck gesetzt, denn einerseits mußte ich am frühen Nachmittag wieder in der Werkstatt sein, andererseits wollte ich noch mehr von der Messe sehen und dritterseits ist eine solche Viertelstunde der Betrachtung allein schon die ganze Messe wert. 1772, Parma, Bodoni, ich habe nicht alle Tage umstandslos einen 239 Jahre alten Gegenstand in der Hand.
Wir schauten wie die Schriftsetzer, also bewunderten die Großzügigkeit der Seiten, die schön gestellten und mit Zierrahmen eingefaßten Satzspiegel, die geschmückten Pagina, den gleichmäßigen Druck. Und ich durfte die zum Kauf angebotenen Gegenstände auch fotografieren, wie man an der Bildleiste rechts sieht.
Von dieser Erlaubnis machte ich Gebrauch, aber kaufen? Es ist wahrscheinlich nicht viel Geld für ein solches Werk, aber ich zögerte vor allem, weil ich diese Bücher nicht lesen und nicht angemessen lagern kann. Das Lesen wäre nicht das Problem. Man gäbe das Werk einem Sprachkundigen und bekäme eine Vorstellung von seinem Inhalt, aber wo lassen? Eines der Bücher war auf unbeschnittenes Bütten gedruckt und die Seite, die wir Kopfschnitt nennen, also der Kopf des Buchblockes, war schwarz vor 239 Jahre altem Dreck.
Man würde sich also für 200 Euro einen verglasten Holzrahmen bauen lassen, für den ich aber kein Podest und keinen Tisch habe in meiner kleinen Hütte. Also kein Kauf. Wir gingen weiter nach einer Zeit des Bewunderns bei Herrn Antiquar Kaiser, schauten hier, bewunderten dort. Ich fand eine kleine Mappe mit Holzstichen von Hans-Joachim Behrendt, dem Holz- und Metallstecher, dem ich das Signet der Druckerey verdanke, den Bären, der auch im Kopf dieses Blogs prangt.
Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen, daß einem mit einer gepflegten Buchdruck-Visitenkarte auf einer Antiquariatsmesse gelegentlich das Gefühl vermittelt wird, eine Klubkarte auszugeben oder einen Gutschein: “Ist der Bär vom Stock gedruckt?” “Geben Sie mir bitte auch eine?”
Apropos Bär. Und wir kamen zum Stand von Dr. Wolfgang Benda. Seine The Bear Press ist offenbar eine Oase. Buchkunst der Neuzeit möchte ich gelegentlich am liebsten in einen Sack stecken und — nun ja. Mit Strippen zusammengeschnürtes Fusselpapier, auf dem Bleilettern abgequetscht wurden. Dreck. Aber was Herr Benda herstellt, das treibt einem Kenner das Wasser in die Augen vor Rührung.
So feines Handwerk sieht man nur noch selten. Buchdruck vom Bleisatz, ungequetscht, fein zugerichtet, schön gesetzt und gedruckt, mit Radierungen versehen und unter Ausnutzung des heutigen Papierangebotes, also auf feinen farbigen Papieren. Wir bewunderten diese Arbeiten und gingen dann noch rasch zu den Atlanten und Karten, den Grafiken und Drucken.
Und im Fluge waren die drei Stunden, die wir uns gegönnt hatten, vorüber. Wir waren angefüllt mit Eindrücken, wir konnten auch nicht mehr viel sehen. Die herrlichen hundert Jahre alten Kinderbücher mit den wilden Illustrationen, die man Kindern heute, da die Kinderbuchverlage pädagogisch und auf dem neuesten Stand politischer Korrektheit agieren, nur selten zumutet. Die typografischen Experimente. Die Urkunden, die Lederbände.
All das bot die Liber Berlin am Wochenende im Kulturforum, und ich hoffe, sie findet auch im nächsten Herbst wieder statt. Andere Bilder als die von Bodonis Büchern habe ich nicht gemacht. Dieses Herumgehen zwischen den Arbeiten unserer Vorgänger, den Druckern der vergangenen Zeit, und ein paar Gespräche mit den Damen und Herren aus so guten Antiquaren, hat mich nicht an Fotos denken lassen.
— Martin Z. Schröder
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Westpaket gotischen Typs · 29. August 2008
Mein Setzerei-Lieferant hatte angekündigt, er werde seiner nächsten Schriftsendung eine Überraschung beifügen. Was dazu führte, daß ich in Zeitnot geriet, weil ich das Paket sofort nach seiner Ankunft aufriß und mich dann lange mit dem Geschenk befaßte, statt mich in Ruhe auf eine Kundenberatung vorzubereiten. Auf dem Foto links liegt ein Schächtelchen, so groß wie eine Streichholzbox, das Spatien für eine Schrift im Grad Diamant, also 4p groß enthält. Die schmalmagere Futura in Diamant ist die kleinste Type meiner Werkstatt. Die Kleinbuchstaben dieser Schrift sind knapp einen Millimeter hoch. Daneben liegt ein Satz lichte Bodoni in Mittel (14p), darunter ein weiterer in Tertia (16p). Solche Schriften eignen sich für alle Arten von Akzidenzen, zusammen mit einer Serifenlosen, etwa der Futura, aber auch mit einer klassizistischen Fraktur wie der Unger-Fraktur.
Bei dem Geschenk von Georg Kraus, dem Mann vom Preußischen Bleisatz-Magazin, dessen großartige Arbeit des Sichtens, Katalogisierens, Aufbereitens von Setzereibeständen stillgelegter Druckereien Werkstätten weltweit einen ständigen Ausbau des Schriftenbestandes mit dem nötigen Mobiliar ermöglicht – bei dessen Geschenk handelt es sich um ein hölzernes Z (eine Anspielung auf mein Mittelinitial) aus einem Alphabet im gotischen Stil, das wahrscheinlich Ende des 19. Jahrhunderts entworfen wurde. Wie alt die Letter selbst ist, vermag ich nicht zu sagen, wahrscheinlich wurde sie vor 1950 gemacht.
Die Letter ist zehn Konkordanz hoch, das sind vierzig Cicero oder 480 typografische Punkt oder 18,048 cm. Ich habe die Letter in meiner Hand fotografiert, damit man sieht, um welche Verhältnisse es sich handelt. In Zeitnot nun geriet ich, weil ich diese Figur gar nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich bin ja das Arbeiten mit räumlicher Schrift gewohnt, aber so eine schöne, ja Skulptur darf man das wohl schon nennen, so eine Skulptur besaß ich bislang nicht und habe sie auch selten in anderen Druckereien gesehen. Sie ist ein Handschmeichler weil aus Holz gemacht und daher viel wärmer als das Blei, mit dem ich sonst umgehe. Ich habe sie mit einer weichen Bürste behandelt und mit Firnis geölt und mit Baumwolle poliert (wie man früher seine Pistolen pflegte) und mich über den Schatz gefreut wie früher über ein neues Matchbox-Auto aus dem Westpaket.
Wie die Letter angefertigt wurde, wüßte ich zu gern. Ist da maschinell gefräst worden? Ich weiß, daß man im 20. Jahrhundert auch in Holz vorgeätzt hat und dann von Hand nachgeschnitten. Spuren von Handarbeit sind jedenfalls sichtbar, wie sich auch hier in der Vergrößerung gut erkennen läßt. Wer Erhellendes mitzuteilen weiß, den bitte ich herzlich um Nutzung der Kommentarfunktion.
Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit auf eine Offerte meines Kollegen, der nicht nur Setzerei-Lieferant, sondern auch gelernter Schriftsetzer ist. Georg Kraus bietet seit jüngster Zeit Seminare im Bleisatz an. Wenn man im Blog des Bleisetzers über den ersten Seminarbericht vom Mittwoch hinaus etwas scrollt, gelangt man an sehr interessante und lustige Protokolle über ähnliche Seminare, für die sich ein junger studierter Gebrauchsgrafiker in die Rolle des klassischen “Stifts” begab, um die Wurzeln seiner Profession kennenzulernen. Die Seminare werden für Laien angeboten, aber auch gelernte Setzer, die mal wieder Lettern zur Hand nehmen wollen, können in Ratingen bei Düsseldorf zur Tat schreiten.
— Martin Z. Schröder
Beinahe unterwürfig · 19. November 2007
Auch heute eingangs ein Hinweis: Dem Text Eine Klingelleiste ins Mittelalter vom 4. November hat mein Bleisatz-Lieferant einen lesenswerten Kommentar angefügt. Ich empfehle den Blog-Abonnenten, auch die Kommentare zu abonnieren.
Manchmal kommen Besucher in meine Offizin und fragen gezielt:
Haben Sie die Times? Haben Sie die Arial? Haben Sie eine venezianische Antiqua mit einer deutlich geschwänzten Majuskel R?
Könnt ich sagen: Nein, nein, nein! Aber ein Dienstleister quält sich, wenn er dieses Wort sagen soll. Also erkläre ich, vielleicht etwas umständlich, wie so eine Bleisetzerei funktioniert:
Schauen Sie, diese Regale dort tragen die Setzkästen. Kommen Sie ruhig näher, nur bitte nichts anfassen ohne zu fragen, man kann hier viel unbeabsichtigt einreißen. Also in so einem Setzkasten liegt eine Schrift. Wenn ich eine Schrift sage, meine ich hier: Eine bestimmte Schrift in einem bestimmten Schnitt in einem bestimmten Grad. Also hier beispielsweise Garamond (in der Klassifikation von Schriften nennt man sie nach ihrer Herkunft französische Renaissance-Antiqua) mager (im Unterschied zu fett) in Korpus (das ist der Name für den Schriftgrad von 10 Punkt). Und in diesem Regal sind ungefähr 15 Setzkästen. Darin liegt dieselbe Schrift in anderen Größen: Garamond mager Petit (8p), Garamond mager Cicero (12p) usw. Und in einem weiteren Schnitt, dem kursiven.
Garamond in halbfett und fett habe ich nicht, weil es in der Renaissance keine fetten Schriften gab und ich die später in fett geschnittenen Typen dieser Klasse nicht für gelungen halte.
Hier stehen zwei Regale, darin liegt nur Walbaum. In mager, kursiv und halbfett in diversen Größen. Es gibt Schriften, die haben deutlich mehr Schnitte. Beispielsweise die Futura. Ich habe nur einige Schnitte in ausgewählten Größen: schmalmager, mager, Buch, schmalhalbfett, dreiviertelfett. Halbfett und Fett und die breiten Schnitte fehlen bislang. Dafür sind zwei Raritäten vorhanden: die Steile Futura und die lichten Versalien.
Sie sehen also, wieviel Platz ich für eine Schrift benötige. Dazu hindert auch der Preis an uneingeschränkter Beschaffung. Bleischriften kauft man nach Gewicht. Ein Kilo Neuschrift kostet knapp 100 Euro. In einem Setzkasten können bis zu 15 Kilo Schrift liegen. In einem Regal können bis zu 15 Setzkästen stecken mit liegender Schrift und 15 weitere sogenannte Steckschriftkästen (für größere Grade), die schwerer sind, deren Inhalt aber einen geringeren Kilopreis hat.
Während ich so spreche, rechnen meine wirtschaftskundigen Besucher im Kopf mit und erkundigen sich, wie lange eine solche Schrift denn hält. Darauf kann ich wenig erwidern, denn es kommt auf den Gebrauch an und wie man mit der Schrift umgeht. Man kann sie sicherlich einige Jahrzehnte gut einsetzen.
Jetzt geht den Besuchern auf, wie wenig großen Reichtum an Schriften sie hier vorfinden. Aber bedeutet das auch Armut in den Entwürfen?
Im Frühjahr 2006 schwärmte das Fachmagazin „Publishing Praxis“ nach Besichtigung meiner Arbeiten: „Und wenn man die Entwurfsvielfalt sieht, mag man wirklich kaum glauben, dass hier niemand mit der »Gold-Edition« von Linotype zugange war.“
Einschub 1: Die Gold-Edition der Foundry (engl. Gießerei) Linotype enthält knapp 4000 Schriften und kostet etwas mehr als 7000 Euro.
Einschub 2: Der 1854 in Hachtel (Württemberg) geborene Uhrmacher Ottmar Mergenthaler erfand in Amerika die erste Setzmaschine, die 1886 fertig war. 1890 wurde die „Mergenthaler Linotype Company“ in New York gegründet. Heute vertreibt die Firma digitale Schriften.
Weiter im Text: Ich erkläre meinen an der Schriftenvielfalt berechtigt zweifelnden Besuchern, daß ich aus jeder von mir für wichtig gehaltenen Stilepoche eine der schönsten Schriften im Bestand habe und darüber hinaus einige Zierschriften, beispielsweise Federzug- und Pinselschreibschriften. Der Eindruck der typografischen Vielfalt wird durch im wesentlichen fünf Schriften hergestellt, gelegentlich ergänzt durch zwei bis drei weitere und selten ergänzt durch einen Bestand von über 20 Ausnahmeschriften, dazu durch Druckfarben und Papiere. Entscheidend wirkt die Typographie, der Entwurf, also das Format einer Drucksache und die Stellung und der Satz des Textes darauf. Nicht mehr als das tägliche Brot des Schriftsetzers.
Und dann könnte ich noch darauf hinweisen, daß jede Schrift aus zwei Alphabeten besteht, den großen und den kleinen Buchstaben (Versalien & Gemeine oder Majuskeln & Minuskeln). Und daß die Schriftgröße als wichtiges Merkmal der Unterscheidung von Inhalten dient. Die Entscheidung für die Schrift Garamond mager enthält also noch Differenzierungen in die beiden Alphabete sowie die Größe. So entwickeln sich, schaut man genau hin, aus gering scheinenden Mitteln umfangreiche Möglichkeiten für den Entwurf einer Drucksache. Und gerade die Beschränkung auf wenige Schriften übt die sparsame, effiziente Differenzierung.
Zugleich entsteht ein enges Verhältnis des Typografen zu seinen Schriften. Nach meiner Erfahrung benötige ich etwa zwei Jahre, um mich mit einer neuen Schrift vertraut zu machen. Nicht jeder Auftrag bringt alle Eigenheiten einer Schrift ans Licht. Wenn man beispielsweise erst nach drei Jahren einmal den Ortsamen Wegfurt in kursiver Schrift setzt, wird man auch erst dann sehen, wie sich die Unterlängen des g und des f zueinander verhalten. Da kann nämlich eine unschöne Lücke entstehen durch Kollision der Unterlängen, die in entgegengesetzte Richtungen aufeinander treffen. Kommt dann mal ein Herr in die Werkstatt, der seinen Namen Siegfried aus kursiver Garamond wünscht, kann man ihn gleich richtig beraten, ihm eine andere Schrift empfehlen oder zeigen, wie der Name in Versalien aussieht.
Während sich ein enges Verhältnis zwischen Schriftsetzer und Schrift bildet, werden nicht nur die Schwächen einer Schrift deutlich, auch ihre Schönheit vermittelt sich oft erst allmählich. Schrift ist zwar auch an sich schön, ein einzelner Buchstabe kann für sich allein dem Kundigen das Wasser der Rührung in die Augen treiben. Seit ich bei Axel Bertram gelesen habe, daß die geraden Linien in der Didot leicht durchgebogen sind, nur um noch gerader zu erscheinen, schaue ich auch einzelne Buchstaben genauer an.
Aber wirklich erhebend ist für mich eine Drucksache wie das Zertifikat, das ich einmal für einen Berliner Geigenbaumeister gedruckt habe. Der Mann baut Geigen nach traditionellen italienischen Vorbildern und wollte diesen Instrumenten, an denen er sehr lange arbeitet, auch Urkunden beifügen, in denen ihre Eigenheiten genau beschrieben werden. Ich hatte also ein Formular zu entwerfen und zu drucken, das den Charakter der Instrumente unterstreicht. Ich habe diesen Vordruck aus der Walbaum gesetzt, die zwar eine deutsche Type ist, aber als solche doch die Antwort auf die italienische Bodoni, und zwar eine der schönsten und zudem leichter lesbar. Dazu sparsam zeitgenössischer Zierrat im Federzug-Duktus aus der Zeit um 1800. Gute Typographie hat hier absolut dienende Funktion. Der Typograf muß fast unterwürfig denken: Wie kommt der Inhalt zum Tragen, der Zweck des Unternehmens, und wie bringe ich die Schriftkunst am angenehmsten zur Geltung, so daß der Unkundige sie nicht als aufdringlich bemerkt und der Kenner ihrem visuellen Piano mit Vergnügen folgen kann. Seit dieser Drucksache zähle ich die Walbaum, die eine mitunter störrische Schrift ist, zu meinen Lieblingen. Ich werde in den nächsten Tagen eine Arbeit zeigen, in der ich sie eingesetzt habe.
Und dann war es ja (jetzt muß ich noch einen Absatz verplaudern) ein Vergnügen, die Herren Geigenbaumeister und Bogenbaumeister in der Werkstatt zu haben. Als wir drei da so standen, alle noch nicht alt und in den besten Jahren des Handwerkens und Wirkens, jeder an seiner Stelle in seinem Fach, da beschlich mich eine Ahnung davon, was das Handwerk einmal für eine herrliche Macht gewesen sein muß, und zwar nicht in Hinsicht auf Zünfte und Kammern, ich habe für solche Verwaltungseinheiten nichts übrig, sondern durch das Gefühl von Könnerschaft, das man teilt, jeder als ein Berufener in seinem Beruf: Es ist die Macht über sich selbst, die freiwillige Unterordnung unter ein Handwerk, das man so lange ausübt, dessen Gesetzen man sich unterwirft bis man beginnt es zu beherrschen und seine Kraft und Herrlichkeit als Diener einer Tradition zu verwalten und zu entwickeln. Bevor mich jetzt ein Herzkasper beherrscht, verwickelt und entwaltet und ich pathetisch dahinscheide, scheide ich für heute von den Tasten.
— Martin Z. Schröder
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