Drei Texte und fast keine Politik · 30. August 2009
Heute reiche ich zwei Texte nach, die kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erschienen sind. Hier allerdings in den unredigierten Manuskriptfassungen. Nämlich erstens Anmerkungen zur Typografie im Internet und zur Frage, ob man auf Websites Schriften darstellen kann wie in Drucksachen. Geschrieben für den Leser des Feuilletons, speziellere Beiträge findet man leicht im Internet. Das PDF ist hier: Typografie im Internet SZ 7-2009.pdf
Und ich hab zweitens das große Buch über Adrian Frutigers Schriften besprochen, die Rezension im PDF ist hier verlinkt: Adrian Frutigers Gesamtwerk SZ 8-2009.pdf
In diesem Blog wird nur fast ausschließlich über Buchstaben geschrieben, die Lebenswelt des Druckers darf gelegentlich ein wenig durchscheinen. Dies tut sie heute so:
Ich schlenderte gestern durch die Berliner Schumannstraße in Ostberlins Mitte auf dem Wege zu einer Verabredung. Und als ich am Glaskasten eines Hotels vorbei war und den Glaskasten der Heinrich-Böll-Stiftung hinter mir hatte und gegenüber vom Deutschen Theater mit dem Haus der Kammerspiele stand, fragte ich mich, warum mich angesichts von Glas und Stahlbeton, aber auch von renovierten Fassaden der nun wieder schönen Gründerzeithäuser manchmal Nostalgie befällt und ein kleines Sehnen nach der Baufälligkeit der DDR-Zeit.
Genau in diesem Augenblick schlenderte ein junger Herr mit seiner Dame an mir vorbei und sprach zu seiner ziersamen Begleiterin: “Hier ist noch richtig Berlin, hier ist nicht alles so geleckt.”
Was zum Teufel meinte er? Den Baucontainer vor dem Deutschen Theater? Das Laub im Park, das die Stadtreinigung noch nicht aufgesaugt hatte? Wie gegensätzlich die Eindrücke sind!
Ich möchte das baufällige Ostberlin und meine Verzweiflung der achtziger Jahre nicht geschenkt haben. Aber wie fremd sind mir die vielen Bilder des Protzes, die Umwandlung ganzer Stadtviertel zu Sehenswürdigkeiten und die straßenweisen Ansammlungen von Geschäften für “Marken”-Schuhe und “Marken”-Handtaschen. Und die riesigen, bunten und lauten Bewirtungsplätze für Party-Touristen.
Als ich dann von Mitte zurück in den Prenzlauer Berg der Stadt radelte, wo mein Ururgroßvater sich vor über 150 Jahren niederließ (mein Urgroßvater betrieb um 1900 ein Fuhrunternehmen in Prenzlauer Berg, unweit meiner Druckerey), auf diesem Wege grinsten mir die Kandidaten der Bundestagswahl ins Gesicht, sich vergeblich der Mühe unterziehend, mit ihren Parolen meine Instinkte anzusprechen, als sei ich nicht auch noch ein denkendes Wesen.
Keine Sorge, im Druckerey-Blog gibt es keine Wahlempfehlungen (und entsprechende Kommentare würden nicht veröffentlicht). Aber unter all diesem blöden Werben um mein Kreuzchen fiel mir auf, daß eine Partei sich “Die Linke” nennt und damit den Eindruck zu erwecken sucht, alle politischen Auffassungen dieser Richtung aufnehmen zu wollen, also eine Art neuer “Nationaler Front” zu bilden, wie man die Parteien in der DDR anläßlich der “Wahlen” zusammenfaßte. Und mir fiel des weiteren auf, daß diese Partei, deren Vorgänger und auch heutige Mitglieder den baulichen Verfall, dessen ich mich gegen meinen Verstand nostalgisch-sehnsüchtelnd erinnere, bewirkt haben, nun auf ihren Plakaten erneut für “Sozialismus” agitieren, was für mich immer mit Verfall jeder Art verbunden sein wird.
Meine Heimat hat sich in einem rasenden Tempo verändert. Da kann man schon ein bißchen Wehmut haben nach der alten Welt. Auch wenn sie einem das Leben so schwer gemacht hat, daß man sie unter keinen Umständen zurücknähme — hier der dritte Text: Stasi-Akte.pdf
— Martin Z. Schröder
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