Vergriffner Atlas und zwielichtige Drucke · 25. Januar 2009
Dank der lobenden Presse ist der Goldtsche Atlas nun ausverkauft. Letzte Exemplare gehen am Montag auf den Postweg. Danach werde ich bei Amazon noch einige Mängel-Exemplare anbieten, die in der Zusammentragmaschine beim Buchbinder ein paar Falten bekommen haben. Freilich steigt selbst für diese nicht perfekten Büchlein der Preis, selbst bei diesen Exemplaren, denn das vergriffene Büchlein gilt natürlich ab sofort als Rarität.
Derzeit kann ich das Blog nicht so oft vernünftig bestücken, weil immerzu Schnellschüsse ausgeliefert werden müssen und ich immerzu setze und drucke und ablege und setze und drucke und …
Ich werde hier nie über meine verehrten Kunden plaudern. Nur mal allgemein: als Schriftsetzer alten Schlages ist man es ja nicht gewöhnt gewesen, mit Grafikern zusammenzuarbeiten. Ab und zu kam früher ein Auftrag aus einem Verlag oder von einem der wenigen Gebrauchsgrafiker mit genauen typografischen Anweisungen, aber in der Regel gehörte die Typografie in die Hand des Akzidenzsetzers. Heute werden den meisten Druckereien nur noch Daten geliefert, die dort verarbeitet werden, ohne daß ein Schriftsetzer oder ein typografisch Kundiger draufschaut. Die meisten Druckereien drucken heute für Geld jeden Entwurf, sonst gäbe es ja nicht so viele grausige Drucksachen.
Aus dieser Berufs-Historie schaute ich Grafikern, die den Bleisatz gar nicht kennen, anfangs skeptisch entgegen. Die erste Zusammenarbeit (vor Jahren) aber war ein Glücksfall. Der Experte ließ sich auf das Handwerk ein, studierte die Schriften, die im Bleisatz oft anders beschaffen sind als ihre digitalen Nachfolger und die sich nicht stufenlos verkleinern und vergrößern lassen, er befaßte sich mit den technischen Bedingungen und lieferte mir einen Entwurf, der zwar kompliziert war, sich aber gut umsetzen ließ.
Seither habe ich für viele Designer gearbeitet. Auch für Künstler, deren Arbeiten ich nicht verstanden habe, deren Argumente mir aber in sich fest schienen. Einige Aufträge habe ich abgelehnt. Mir muß nicht jede Arbeit gefallen, es geht nicht um meine persönlichen Vorlieben, aber jede Arbeit muß den Regeln der Kunst und den Eigenheiten des Handwerks entsprechen. Wenn Regeln gebrochen werden, wenn es schrill zugeht, experimentell und absurd: jeder Entwurf muß in sich schlüssig sein. Freilich gibt es nur einen, der über den Ruf seiner Werkstatt entscheiden kann, und das bin nun einmal ich als Träger meiner eigenen Vorstellungen von Typografie und bei allem Bemühen um Objektivität doch ein Mensch mit eigenen Ansichten. Die muß man nur immer wieder auf die Probe stellen (neudeutsch: “hinterfragen”). Was ist objektiv gute Typografie? Gibt es das? Objektiv kann nur heißen, sich an der Geschichte zu orientieren, denn das typografische Handwerk arbeitet mit Sehgewohnheiten, mit Konventionen. Wenn so etwas nur aus Unkenntnis gebrochen wird (eher mißachtet), ist es Stümperei — und solche Ansinnen habe ich so freundlich wie möglich aber auch unnachgiebig abgelehnt. Ich möchte nicht, daß es heißt, in meiner Werkstatt sei dies und jenes verbrochen worden; ich möchte jede Arbeit verteidigen können, selbst wenn sie nicht meinen gewissermaßen privaten Idealen entspricht.
Dieser Tage kamen Kunden mit dem Wunsch, ich möge fast unsichtbar eine Zeichnung hinter die Schrift drucken. Wir haben den Entwurf gemeinsam erstellt (ich kann die fertige Arbeit hier wegen der Daten nicht zeigen, und diese füllen nun mal eine Visitenkarte), die Zeichnung wurde mitgebracht. Sie hat einen deutlichen Sinn, wenn man den Text dazu kennt und zeigt eine Mischung aus Blume und Molekül-Modell. Die Druckfarbe ist Weiß mit einem winzigen Stich Blau. ich habe mit der Ahle in die blaue Farbe in der Dose gestochen und winzige Punkte in die weiße Farbe gegeben, es ist erstaunlich, wie schnell ein sanfter Ton entsteht und das Weiß einen Charakter bekommt. Wenn blaues Licht gerade auf die Karte trifft, also ein Vormittagslicht, dann verschwindet der Druck beinahe. Wenn das Licht im spitzeren Winkel kommt, wirft die Schattierung durch den kräftigen Druck Schatten, und bei manchen Farben von Kunstlicht ist der Druck ganz deutlich zu sehen. Ich kann mich nicht erinnern, solch eine Arbeit ganz früher (also vor 1990) schon einmal gemacht zu haben. Vor ein paar Jahren habe ich für einen Kongreß, der sich mit physikalischer Wahrnehmung befaßt (oder so ähnlich, ich muß noch mal gucken), Visitenkarten gedruckt mit ungetönter weißer Farbe. Sie war beinahe unsichtbar. Aber eben nur beinahe. In bestimmten Lichtverhältnissen konnte man das gedruckte Wort sogar lesen. Ich schaue mal, ob ich die Karte noch finde. Dann reiche ich ein Bild nach. Das hier verwendete Klischee ist aus Magnesium. (Ich habe mit dem Konservieren in Öl nun übrigens beste Erfahrungen gemacht, mir ist noch keines oxydiert.)
— Martin Z. Schröder
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