Drei Reproduktionsverfahren und eine Weltschmerzattacke · 5. Juni 2008
Das wird ganz anders, als es hier aussieht. Das sieht ja aus! So durcheinander sieht es aus, weil wieder zwei Abteilungen auf einem Druckbogen stehen, die im gebundenen Buch denkbar weit auseinander liegen. Heute zeige ich hier den inneren Umschlag, den ich am Dienstag gedruckt habe. Um diesen Umschlag wird der dunkelgrüne herumgelegt, so daß die Texte und der längste Teil der automobilen Kraftfahrzeuge hinter den grünen Klappen verschwinden. Aus ihnen gucken nur die dunkelgrünen Schnauzen der LKW heraus und werden den Leser dazu bewegen, die Klappen zu öffnen, um dann hinter der hinteren Klappe eine Anzeige meiner Werkstatt, unter der vorderen die eines sehr guten kleinen Verlages zu entdecken: des Landt-Verlages, dessen Programm gut gemachter Bücher anzuschauen ich meinen verehrten Lesern ans Herz lege. Der Landt-Verlag wird das Goldt-Büchlein nämlich, wie sein Name es nahelegt: verlegen, also nach besten Kräften verkaufen. Aber darüber erzähle ich mehr, wenn es soweit ist, nicht vor September. Es muß ja noch so viel getan werden. Im letzten Druckgang werden demnächst Schmutztitel (erkläre ich später) und Impressum folgen, der rosa Umschlag braucht eine Rille, damit er beim Falzen nicht bricht, und wenn das getan ist, schleppe ich zwei Kisten bedrucktes Papier zur Buchbinderei.
Hier ist die Druckform des Umschlages zu sehen. Diese Druckform zuzurichten, also alle Elemente auf eine richtige Höhe zu bringen, so daß sie gut Farbe aufnehmen und gut drucken, war ein längeres Stück Arbeit, bei dem viel Seidenpapier zum Einsatz kam. Zum Glück ist es im Souterrain der Werkstatt dieser Tage deutlich kühler als vor der Türe.
Die beiden Autos habe ich mit anderem alten Anzeigenmaterial nur nach Fotos gekauft ohne zu wissen, wie sie drucken werden. Ich nehme an, daß sie vor langer Zeit in einer Zeitung abgedruckt wurden. Diese Art Autos gab es vor dem zweiten Weltkrieg, oder? Kennt jemand die Fahrzeugtypen? Ich würde auf die 1920er Jahre tippen. Dieser Druckstock hier, von dem nach rechts fahrenden Lastzug, ist so gleichmäßig dunkel eingefärbt, daß ich zwar sagen kann: es handelt sich um eine Ätzung, aber in welches Metall, das weiß ich nicht. Aufgenagelt ist die Platte auf einen Holzklotz. Das zweite Exemplar, das nach links fährt und unter der hinteren Grünumschlagklappe rausgucken wird, ist eine Stereotypie: Satz oder Druckstöcke von Bildern, für den Zeitungsdruck sogar ganze Druckbogen, wurden in weiche Matern aus Papier und Gips gepreßt, die man mit Blei ausgießen konnte. Das ging schnell, und von den Vorlagen konnten mehrere Platten gegossen werden. Diese Druckstöcke nutzten sich schnell ab bei den hohen Auflagen, für die man Stereos goß, aber man konnte sie ja jederzeit billig erneuern und nach Gebrauch wieder einschmelzen. Erstaunlich scheint mir, daß überhaupt so alte Stereos übriggeblieben sind. Sie müssen lange vergessen worden sein. Das Loch vor der Frontscheibe dieses Autos war einst für einen Nagel bestimmt. Ich kaufte es allerdings nicht aufgeklotzt, wie wir Schwarzkünstler dazu sagen, und habe es durch Kleben auf eine bestimmte Sorte Stege auf die Druckhöhe gebracht.
Zwischen Zugmaschine und Anhänger hat das Stereo noch ein Loch für einen Nagel, das so ausgeschlagen aussieht, daß ich mit einer Beschädigung des Druckbildes rechnete, dann aber angenehm überrascht wurde. Wie wenig ich mir ein Bild vorstellen kann, wenn ich nur das Negativ des Druckstockes sehe! Schrift kann ich mir immer recht gut vorstellen allein durch das Ansehen der Letter. Nun, wohl eine Frage der täglichen Übung. Der erste Abzug des Bogens zeigte nur die Umrisse und ein paar Flecken; dieses alte, abgenudelte Gefährt noch einmal sichtbar zu machen, war ein hübsches Stück Arbeit. Man sieht auf den Fotos, wie sehr die Kanten schon rund und verschwommen sind. Ich war am Ende angenehm überrascht von der Reichhaltigkeit der Details.
Auf einem Druckbogen drei verschiedene Reproduktionsverfahren: Die beiden Fußballfreunde sind in Holz gestochen; dieser Druckstock ist auch schon stark abgenutzt. Vor hundert Jahren war jener des Holzstechers ein alltäglicher grafischer Beruf, heute können es nur noch ganz wenige Künstler. Es gab damals eine uns heute beeindruckende Vielfalt verschiedener Berufe in der grafischen Industrie, also neben den Schriftsetzern und Druckern, die an verschiedenartigen Maschinen tätig waren, auch Zeichner, Retuscheure, Holzstecher, Chemigrafen. Die Eintönigkeit, die heute in der Gebrauchsgrafik herrscht, ist nicht auf eine Strömung und eine Mode zurückzuführen, sondern einerseits auf die weltweit gleichförmigen digitalen Arbeitsmittel, die es erschweren, eine eigene Handschrift zu entfalten, und andererseits auf das Versagen in der Ausbildung: Man kann heute an jeder Hochschule, die Design als Studienfach anbietet, ein Zeugnis erlangen, auf dem geschrieben steht, man verstünde etwas von der Sache und vermöge einen entsprechenden Beruf auszuüben, ohne daß diese Absolventen einen Umzugs-LKW oder zwei Fußballer zeichnen könnten oder einen Buchstaben mit der Feder schreiben, so daß er aussieht wie gedruckt. In Holz wird höchstens abstrakt gekratzt, und das nennt sich dann gerne Kunst. Früher erkannte man die Gebrauchsgrafiker an ihren disziplinierten Handschriften, mit denen sie übrigens ohne Rechtschreibkontrolle eines Computers Gedanken in ordentlichem Ausdruck und richtiger Schreibweise zu Papier zu bringen vermochten, weil ein Typograf Bücher las, wenn er welche entwerfen wollte (und Schreiben lernt man durch Lesen). Verantwortlich für die Eintönigkeit, die Beliebigkeit und die zahlreichen Dummheiten des typografischen und gebrauchsgrafischen Designs und der unbeholfenen Reden darüber in unseren Tagen sind die Lehrkräfte an den Hochschulen, also jener Typ Lehrer für Schrift, Design, Gebrauchsgrafik und Typografie, der selbst zwei linke Hände hat, von denen eine die Computer-Mouse bedient und die andere ab und zu eine Umstelltaste oder einen Knopf auf der Knopfleiste einer seiner Kommunikations-, Berieselungs- und Bastelmaschinen und der gebrauchsgrafisches Design, namentlich Kommunikations-Design (einer der dümmsten Begriffe, die für die Gestaltung von Briefköpfen und Reklame erdacht wurden) als Mittel zur Selbstverwirklichung betrachtet und vor allem das Sprechblasenblasen unterrichtet, mit dem Designer ihre technische Unfähigkeit und ihre aus Naivität erwachsene Begeisterungsfähigkeit unentwegt kommunizierend (plappernd) tarnen können. Zu jenen Professoren, die einen Eindruck der Zucht vermitteln, der sich der angehende Typograf unterwerfen muß, wenn er sein kompliziertes Handwerk erlernen will, oder die gar eine Ausbildung der Hände abseits von Tastaturen anbieten und fordern, finden nur sehr wenige junge Leute. Es hat den meisten zu wenig Schick und Sensation.
Solche bitteren Gedanken, wie die Jugend aus Dummheit verblödet wird oder weil es üblich geworden ist, sich an leistungsunwillige junge Leute anzubiedern und die leistungswilligen mit der sozialistischen Bürokratie von verwaltungsdurchwucherten Hochschulen, wie sie ein Gratisstudium naturgemäß mit sich bringt, zu belästigen, gehen mir durch den Kopf, wenn ich die technische Bewältigung der schnödesten Tagesarbeit früherer Zeiten sehe (für die man kein Hochschuldiplom benötigte) und mit dem vergleiche, was mir als frische Arbeiten unter die Augen kommt. Ich darf nicht oft und nicht lange solche Gedanken denken, denn sonst fühle ich mich so alt wie die hundertjährigen Druckstöcke von Umzugswagen und Fußballern.
— Martin Z. Schröder
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