Scharfsichtigkeit · 28. Oktober 2007
Die Visitenkarten, die ich gestern im Schöndruck gefertigt habe, waren doch heute schon trocken genug, um die Rückseite zu bedrucken. Die Offizin wird gut beheizt, da trocknet alles schneller als im Sommer, wo es schön kühl ist in der Werkstatt im Souterrain. Ein Foto zeigt drei Abzüge, den zweiten habe ich zuerst gedruckt. Die Postleitzahl hatte ich schon im Winkelhaken ausgeglichen. Wenn man lange mit Schriften arbeitet, kennt man ihre Eigenheiten. Die Ziffern der Futura muß man immer ein wenig spationieren (sperren/erweitern), denn die sind ohne viel Fleisch (Raum um die druckenden Teile einer Type) auf Halbgeviert (die Hälfte der Kegelhöhe, aber was ein Schriftkegel ist, erkläre ich später mal, das führt jetzt zu weit), also: die Ziffern sind eben sehr knapp gebaut. Bestimmte Kombinationen wie 74 oder 76 oder 96 oder 11 ergeben größere Zwischenräume, als etwa 80. Auf dem Bleisatzfoto oben ist es genau zu sehen.
Der dritte Abzug ist nach Korrektur gemacht worden, so wurde dann gedruckt: In der ersten Lücke liegt ein Dreiviertelpunkt, zusammengesetzt aus einem Messing- und einem Neusilberspatium. Die nächsten beiden sind 1 Punkt weit, und zwischen den letzten beiden Ziffern liegt gar nichts. Das Foto mit den aufgefächerten Typen zeigt die Spatien genauer. Ein Viertelpunkt-Spatium hat übrigens eine Stärke von 0,094 mm.
In der ersten Zeile des Fotos von den Abzügen ist die Zahl ohne jeden Ausgleich zu sehen: So geht es nicht! Absolut gleichmäßig muß es nicht sein in so einem kleinen Schriftgrad, eine leichte Unregelmäßigkeit kann charmant sein, aber ohne Harmonisierung sollten Versalziffern in keiner Schrift stehen. (Versalziffern sind so hoch wie Versalien [Großbuchstaben], Minuskelziffern sind gearbeitet wie diese: 012 sind so hoch wie ein n, 34579 haben eine Unterlänge und 68 eine Oberlänge.
— Martin Z. Schröder
Frische Messingspatien · 12. Oktober 2007
Raum, Weite; Spaziergang, Spazierweg; Bahn, Rennbahn; übertr. Spielraum; Zeit, Zeitraum, Frist; Dauer, Länge
So schwärmt das Lateinwörterbuch, wenn es um das Spatium geht. Diese abgebildeten Schächtelchen (Zündholzboxmaße) kaufte ich vor drei Tagen im Preußischen Bleisatz-Magazin bei Georg Kraus. Ungeöffnet, müssen Jahrzehnte irgendwo gelegen haben. Und gewartet, daß einer wie ich sie in die Finger bekommt. Freaky! Inzwischen habe ich so oft Dinge ausgepackt, die Jahrzehnte irgendwo gelegen haben, (mindestens zwei, denn seit 1989 wurde auch in Ostdeutschland nichts mehr in dieses Handwerk investiert und schlossen die Schriftenhändler ihre Läden), daß ich nur noch kurz gerührt bin. Vor allem freue ich mich über unbenutztes Material, das sich seinerseits freuen dürfte, zwischen meinen Fingern doch noch seiner Bestimmung zugeführt zu werden.
Was ist die Bestimmung von Spatien? Sie werden nicht auf Spaziergängen als Spur ausgelegt, sie dienen dem Schriftsetzer zum Setzen feiner Abstände. Das nächste Foto zeigt den Inhalt der Schachteln, schon einsortiert. Neben Messingspatien gibt es solche aus Neusilber. Die kleinsten Blei-Spatien sind 1 Punkt stark (typografische Maßeinheit, 1 Punkt = 0,376 mm), die Messingspatien sind einen halben Punkt dick, und die Neusilber-Spatien einen Viertelpunkt (= 0,094 mm).
Damit gleicht man zum Beispiel Versalien aus, d.h. wenn man eine Versalzeile (Zeile aus Großbuchstaben) ausgleichen bzw. neutralisieren bzw. harmonisieren (das sind die gebräuchlichen Fachwörter) möchte, um die Weite der Räume zwischen NN (eng) und LA (bilden ein Loch) oder auch DOC (bilden Binnenräume) so nett zu setzen, wie es die Römer vor 2000 Jahren vorgemacht haben, braucht man im Bleisatz erstens ein sehendes Auge und zweitens entweder Seidenpapier oder aber (luxuriöser handhabbar) Spatien aus Messing und Neusilber.
Jede Versalzeile wird bei mir so behandelt, das entspricht den Regeln der Kunst, und ich warte noch drauf, daß ich von dieser Regel einmal abweiche und Versalien quetsche aus typografisch sinnvollen Gründen. Sieht man manchmal, hat in großen fetten Schriften seinen Reiz, wenn eine Zeile ganz unregelmäßige Lichtflecken hat. Kam nur in meiner Praxis noch nicht vor. Mache ja keine Werbe-Typografie.
Was bedeutet eigentlich Stereohöhe = 19,05 mm? (Steht unten auf der Spatien-Packung.)
Stereotypie wird das Verfahren genannt, mit dem Bleisatz oder Ätzungen von Bildern mechanisch abgeformt werden; die Abformung, also eine Duplikat-Druckplatte, heißt Stereo. Bloß was haben Messingspatien damit zu tun?
— Martin Z. Schröder