Lob der Pingeligkeit · 12. Dezember 2007
Um diese Jahreszeit wälzt sich ein Drucker in Arbeit. Zu Weihnachten haben die kleinen Buchdruckereien früher das Briefpapier fast am Fließband gefertigt. Auf einem Tisch standen die leeren Kassetten, Setzer und Drucker arbeiteten im Akkord. Heute werden weniger Briefe geschrieben, aber es gibt auch weniger Druckereien, die richtig schönes Briefpapier drucken. Die Weihnachtsgeschenke schon im Herbst in Auftrag zu geben, entschließen sich auch heute nur wenige. Nun heißt es zu drucken, Schleifen um Kuverts zu binden, Schatullen zu füllen, Briefkassetten in Geschenkpapier zu wickeln. Diese Woche kommt der Papierbote fast täglich, die Auswahl ist zu groß, um von allen Sorten einen Vorrat zu lagern.
Gestern klopfen zwei Achtjährige aus der Nachbarschaft an die Türe.
“Was machst du hier?”
“Ich drucke.”
“Was druckst du?”
“Zum Beispiel Visitenkarten.”
“Was kostet eine Visitenkarte?”
“Eine? Oh, das ist teuer. Hundert Stück: über hundert Euro.”
“Also eine einen Euro.”
“So kann man das nicht rechnen.”
“Hundert kosten hundert, eine kostet einen Euro.”
Der Drucker ächzt.
“Ich hab 24 Euro”, erklärt der Knabe. “Kann ich eine Visitenkarte haben?”
Ich schlage den Besuchern vor, im Januar wieder hereinzuschauen, dann gucken wir mal, was wir basteln können.
“Wann im Januar?”
“Wann ihr wollt.”
Im Briefkasten liegt ein Kuvert. Dickes Papier. Hinten aufgedruckt der Absender. Nicht übel, denke ich. Die Schrift kenne ich. Bleisatz. Prof. Thannhaeusers Garamond, VEB Typoart Dresden. Und sogar Versalien anständig harmonisiert. Wer macht so was noch? Wo stecken die Kollegen? In dem Brief finde ich eine Nachbestellung, das Papier habe ich gedruckt. Ich erinnere mich an die lange zurückliegenden Tage, da ich nicht nur die Namen aller meiner Kunden auswendig wußte, sondern auch, was ich für sie gedruckt hatte.
Beim Setzen unter Zeitdruck war ich gestern etwas nachlässig mit dem Ausgleichen der Versalien. Es ist eine winzige Schrift, aber als ich die ersten drei Karten gedruckt habe, nehme ich die Form doch aus der Maschine. Ich muß es verbessern. Sonst tut’s meinen Augen weh. Ich werde immer pingeliger, Zeitdruck hin oder her. Ein Stammkunde aus der Nachbarschaft feixt: “Pedantismo scherröderesco!” Ich verbuche das unter Lob. Ein Schriftsetzer und Typograf ist von Beruf Pedant.
Und über die Cancellaresca bald mehr …
— Martin Z. Schröder
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