Technikunabhängige Handwerksphilosophie · 4. Juli 2008
Erst im Alter von 36 Jahren habe ich hauptberuflich zu meiner Bestimmung gefunden, auch wenn ich, seit ich 14 Jahre alt war, das Setzen und Drucken immer nebenher, ein paar Jahre als angestellter Schriftsetzer und seit 1994 in einer eigenen kleinen Werkstatt ausübte und mit Typografie befaßt war; zwischenzeitlich faszinierten mich andere Berufe, deren Möglichkeiten ich auch weit ausreizte, die meinen Wünschen und Träumen aber auf Dauer nicht genügten.
Wenn man so spät die eigene Berufung entdeckt als eine Rückkehr zu den Anfängen, erforscht man die gefundene Vorliebe vielleicht besonders gründlich. Ein neues Buch mit dem Titel „Handwerk“ fiel mir deshalb gleich auf. Der amerikanische Philosoph Richard Sennett hat es geschrieben, und auf Seite 42 zitiert er den Soziologen C. Wright Mills, der 1951 (dt. 1955: „Menschen im Büro“) „das Wesen handwerklicher Gesinnung zu bestimmen“ versuchte, die Kombination aus „Kunstfertigkeit und Fachtüchtigkeit muß … sechs wesentliche Merkmale aufweisen: die Arbeit dient keinem anderen Ziel als der Herstellung des Produkts. Die Einzelheiten der täglichen Arbeit bleiben sinnvoll, weil sie für den Schaffenden sämtlich in Beziehung zum Produkt seiner Arbeit stehen. Der Schaffende kann seine Arbeit in allen ihren Teilen übersehen, überwachen und beurteilen. Er kann auf diese Weise aus seiner Arbeit lernen; er kann dabei seine Fähigkeiten entdecken, entwickeln und nutzen. Arbeit einerseits und Vergnügungen, Entspannung, Erholung und Spiel andererseits sind ebensowenig voneinander geschieden wie Arbeit und Kultur. Die Erwerbstätigkeit des Schaffenden bestimmt seine ganze Lebensweise.“ (Sennett, 2008, S. 42)
Sennett hat kein Buch über Handwerker wie mich geschrieben, sondern er sucht die Merkmale für Handwerk in der heutigen Arbeitswelt, beispielsweise bei den Linux-Netzwerkern, zu deren Arbeitshaltung er Brücken baut, die bis in die Antike reichen. Mir ist es sehr angenehm, das zu lesen und beispielsweise meinen Webmaster als einen Handwerker wie mich selbst zu entdecken. Ich liebe meinen Beruf, aber mich als einen der letzten Handwerker anzusehen, nur weil die Technik alt ist und den romantischen Vorstellungen entspricht, ist ungemütlich. Sieht man die Sache nur so, fühlt man sich wie auf einem nostalgischen „Mittelaltermarkt“, und dahin fühle ich mich nicht gehörig, es wäre mir zu sehr „lebendiges Museum“, und das stimmte nicht mit meinen Arbeitserfahrungen überein und würde mir eine Sonderstellung zuweisen, die nicht stimmte. Dazu experimentiere ich viel zu oft. Und ich glaube von dem Grafikdesigner, mit dem ich zusammenarbeite, daß er durch und durch ein Handwerker ist, wie ihn Mills beschreibt, auch wenn er seine Arbeit am Bildschirm macht. Nicht die Technik bestimmt das Handwerkersein, sondern wie man sich dazu stellt.
— Martin Z. Schröder