Unruhe · 2. September 2008
Langsam finde ich mich damit ab, daß die Zeit für Produktion, also für das Setzen und Drucken, nicht den größten Teil meiner Arbeitszeit einnimmt. Erst wenn man selbst einen Betrieb führt, verdeutlichen sich die vielen Anhängsel. Früher habe ich mich gewundert darüber, daß mein Chef von morgens um sechs bis abends um fünf und jeden Sonnabend in seinem Betrieb war und im Sommer von seiner Frau mit Müh und Not zu einer Woche Ferien überredet werden mußte. Jetzt geht es mir genauso. Mehr als fünf Tage war ich seit 5 Jahren nicht fort. Man braucht aber auch die Ferien nicht in dem Maß wie ein Angestellter, weil man seine Tage weitgehend selbst bestimmen kann. Und hat man doch mal die Schnauze voll, wie der Berliner sagt, kann man ohne Umstände einen Tag ins Blaue oder Grüne fahren, je nachdem.
Am Freitag habe ich festgestellt, daß wieder einmal ein Messerwechsel an der Schneidemaschine fällig ist. Das kommt natürlich dann, wenn man einen besonders feinen hochglatten Karton schneiden muß. Das Material Blanc Beige von der Büttenpapierfabrik Gmund ist so empfindlich, daß es ein nicht ganz scharfes Messer übel nimmt. Der Karton ist besonders dicht und schwer, hat also ein sehr hohes Volumen, weil seine hochglatte Oberfläche nicht durch einen Aufstrich, sondern durch Pressung hergestellt wird. Der Messerwechsel ist ein kleiner Kraftakt. Das Messer ist mit acht großen Schrauben befestigt, die mit einem meterlangen Schraubenschlüssel gelöst werden. Es ist knapp einen Meter lang, wiegt sechs Kilo und ist immer noch scharf wie eine Rasierklinge, wenn es für ein feines Papier nicht mehr scharf genug ist. Um es aus der Maschine zu lösen, schraubt man Griffe daran. An diesen Griffen wird das Teil in einen hölzernen Messerkasten bugsiert. Bevor man es darin verschraubt, bekommt es noch einen Klingenschutz aus hartem Kunststoff aufgestülpt. Man darf bei dieser Arbeit keine falschen Bewegungen machen, darf nicht stolpern, das Messer nicht fallenlassen und so fort, Verletzungen wären erheblich.
Als ich das Zweitmesser in der Maschine hatte, ließ es sich nicht justieren. Ich war recht hilflos und geriet etwas in Panik. Eine Druckerei ohne Schneidemaschine ist zum Stillstand gezwungen. Aber wenn man eine gute Industriemaschine gekauft hat, dann hat man auch die Rufnummern von einem Service-Center in Berlin, einem in Leipzig und drei mobilen Monteuren. Der erste Monteur von MAN Roland hatte Urlaub, der zweite war zwar gerade in Berlin, aber nicht erreichbar weil in die Buchbinderei einer Justizvollzugsanstalt gerufen, wo er sein Telefon an der Pforte hatte abgeben müssen. Dem dritten sprach ich auf den Anrufbeantworter, und binnen zehn Minuten meldete er sich. Solche Telefonate sind beruhigend wie ein Anruf bei der Telefonseelsorge, weil diese Monteure ihre Maschinen im Schlaf auseinandernehmen und zusammenbauen könnten und auch wissen, wie man die Computersteuerung ansprechen muß. Nachdem ich nämlich mit der Messer-Justage fertig war, hatte ich es zu eilig gehabt und den Computer veranlaßt, mir einen Ausfall des Systems zu melden. Mit einem zweiten Telefonat von wenigen Minuten war auch das Problem behoben. Nachdem ich das stumpfe Messer mit einem Kurier in die Schleiferei der Berliner Charité geschickt hatte, wo gewöhnlich chirurgische Instrumente geschliffen werden, weshalb die Schleifqualität die beste ist, war über eine Stunde vergangen.
Und gestern war ich stundenlang mit der Übernahme einer kleinen Setzerei beschäftigt. Auf den Fotos mag es für den Laien aussehen wie ein Haufen Krimskrams oder gar Müll. Der Setzer kriegt große Augen, wenn ihm Schriften in Originalverpackung der Gießerei angeboten werden. Ich konnte Reserven für meine Garamond erwerben und einen Berg Kleinmaterial. Diese Jagd auf Reste eines sterbenden Handwerks geht mir aber manchmal gegen den Strich. Wie schön wäre es doch, wenn man dann etwas kaufen könnte, wenn man es braucht und mit Planung bezahlen kann. Statt dessen nimmt man unentwegt Material auf in der Sorge, später genau dieses nicht mehr zu bekommen und hat dafür eine Sonderkasse parat. Das planlose Ankaufen bringt ständiges Räumen und Umräumen mit sich. Vor drei Tagen hatte ich die Palette erst freigemacht und weggestellt und war froh, wieder etwas freien Boden gewonnen zu haben. Nun liegt wieder Material da, das auf seine Unterbringung wartet. Hoffentlich läßt der nächste Schatz sich nun etwas Zeit.
— Martin Z. Schröder