Modisches Zeug · 22. Juli 2011
Viel ungeratenes Zeug schluckt erst der Briefkasten, dann der Papierkorb. Welche Komik fälschlich als modern verstandenen Entwürfen innewohnt, offenbart der Vergleich zweier Drucksachen aus der heutigen Post. Die Weihnachtskarte als Muster einer Kollektion von Vordrucken ist mit demselben Konzept entworfen worden wie die Einladung zu einer technischen Messe.
Beide Karten zeigen helle auf dunkle Schrift, und zwar serifenlose Versalien. Wir sehen statt weißer Papierfarbe auf der Weihnachtskarte eine silberne Folienprägung, die Einladung ist auf silberfarbenes Metallicpapier gedruckt. (Ist Silber das neue Weiß?) Der Textblock füllt die Kartenhöhe, dazu gibt es als Gegenrhythmus ein kleineres Element, hier in beiden Drucksachen eine einzeln gestellte Zeile. Jeweils eine Schmuckfarbe ist wegen schlechter Anwendung keine Bereicherung: für die Technik ein kaltes Blau, für Weihnachten ein schrilles Orange in der Fläche, beides ungemütlich. Auf der Einladung hat das Firmenzeichen einen in Papierbogenform gezeichneten Stern (über dem gerade ein Planet grell verglüht), die Weihnachtskarte kommt freilich auch nicht ohne Stern aus. Die Messekarte hat dann noch einen Mars oder so etwas im Hintergrund und viele weitere Himmelskörper, die Bildsprache beider Karten ist also Kosmisch.
Es ist wahrlich nicht einfach, einen Entwurf zu finden, der ganz neu ist. Aber wenn man etwas macht, das schon etliche Male dagewesen ist, muß es dann so altbacken und altmodisch aussehen wie die Neuausrufung der 1950er Jahre als Revival der frühen 1930er? So ein bißchen Bauhaus mit ein bißchen Grafik und Spielerei? Plüschbären als Schlüsselanhänger! Die Anwendung von vielfach dagewesenen Entwurfsmitteln zieht Häßlichkeit nicht zwangsweise nach sich, man muß nur die richtigen aussuchen. Dazu braucht es Geschmack, und wo der nicht ausgebildet ist, da regnet es Blocksatz mit Metallicfarben.
Beide Karten offenbaren Gefühlskälte, bei der Weihnachtskarte fällt es noch unangenehmer auf. Es gibt in beiden Entwürfen keine Schönheit, kein Bemühen um Eleganz, keinen Schwung und keinen Sinn. In beiden Fällen hat der Textinhalt mit dem Entwurf nichts oder wenig zu tun. Beide sind öde und gewöhnlich — und gehen nunmehr den Weg ins Körbchen, auf daß sie wieder zu einem sinnvollen Produkt, also zu Papier werden.
— Martin Z. Schröder