Die gute alte Globalisierung · 9. November 2007
Ein kleiner Handwerksbetrieb läßt den Prinzipal öfter innehalten. Um so ein Unternehmen aufzubauen und zu betreiben, braucht es Muße. Immer wieder muß er sich aus dem Zeitstrom heraushieven auf ein Inselchen und ausschauen, wohin die eigene kleine Schaluppe schlüpfen soll und ob sie den Kurs hält, den er ihr einst vorgezeichnet.
Allein diese Globalisierung! Das Internet! Noch vor einigen Jahrzehnten druckte man für die Leute im Viertel (berlinisch: Kiez), heute liefern wir unsere vom Bleisatz gedruckten Arbeiten nach München wie nach Lübeck ganz ohne die Verständigungsprobleme der Familie Buddenbrook, zu denen der Herr Grünlich aus dem Süden kam und man im Norden seine Sprache fremd fand. Heute stammen die Kunden gar aus den Ländern hinter den Alpen, ja sogar aus Übersee, weil das Buchdrucker-Handwerk selten geworden ist und mancher froh, es überhaupt noch zu finden.
Freilich war es damals gemütlich, als man für die Leute druckte, die um die Ecke wohnten. Es gab keine Copy-Shops, für fast jede Art von Vervielfältigung führte der Weg in die Druckerei. Die Alternative war Durchschlagpapier (auch je nach Farbe Blau- und Kohlepapier genannt).
Aber die alte Zeit hatte auch ihre Tücken – sie muß nur alt genug sein. Warum war denn der gute Gutenberg nicht mehr aus den roten Zahlen gekommen? Wahrscheinlich hatte er seine Bibeln ja schon verkauft, als sein Gläubiger ihn vor dem Kadi über die Klinge springen ließ, aber die Gloablisierung des Spätmittelalters war eben auf ihre Weise tückisch: Man traf sich einmal im Jahr auf dem Markt, machte den Handel ab, der Drucker investierte weiter in seine Bibeln, schoß den benötigten Betrag vor, nahm dafür Kredit auf, denn erst im Jahr darauf traf man sich wieder auf dem Markt, und unter Umständen dauerte es dann nach der Warenübergabe/-übernahme noch ein Jahr bis zum nächsten Treffen, bis auch der Geldsack überreicht wurde. Denn den bargeldlosen Zahlungsverkehr, geschweige die Online-Überweisung hatten Gutenbergs Zeitgenossen und die Leute noch ein halbes Jahrtausend darüber hinaus einfach zu stark vernachlässigt. Zwar wurde im Mittelalter schon heftig gereist, verdanken wir dem Mittelalter immerhin die ersten befestigten Straßen, auf denen sich auch Gutenberg seit seiner Jugend bewegte, aber konnte er schlecht alle Handelspartner auf einmal aufsuchen, war das Reisen nicht ungefährlich und hatte er ja anderes zu tun: zu drucken.
Und bitte, die Moral: Es ist immer vorteilhaft, nicht nur auf eine winzige Spanne einiger vermeintlich glücklicher Jahrzehnte zu schauen, die man vielleicht einmal kurzsichtig als die gute alte Zeit wahrgenommen hat, sondern ein wenig tiefer in die Geschichte. Dann findet man schon den Anschluß an die eigene Existenz. Wie zu Gutenbergs Zeiten kommen nun auch meine Kunden wieder aus anderen Gefilden, und sie müssen dazu nicht anreisen: das Telefon, die Briefbeförderung, vor allem Internet macht die Handelsbeziehungen leicht. Und wenn sie doch anreisen, ist das recht erfreulich, dafür schließt der Prizipal auch gerne mal am Sonntag seine Offizin auf. Die Globalisierung ist für einen Drucker der Bleisatz-Ära keine neuartige Angelegenheit; nur statt ein, zwei Jahre auf die Bezahlung zu warten wie anno 1450, bittet er, vorsichtig geworden nach Gutenbergs reichlich gezahltem Lehrgeld (das Foto zeigt kürzlich vom Bleisatz gedrucktes Geld), heutzutage um Anzahlung (freilich nicht die Stammkunden).
Ergänzend wäre noch nachzutragen, daß gute alte Zeiten skeptisch beäugt zu werden verdienen, wenn sie vergegangen sind, ohne mehr als nette und womöglich noch zurechtgebogene Erinnerungen für ihre Teilnehmer zu hinterlassen.
— Martin Z. Schröder