Das schönste Papier · 20. Januar 2014
Vor einer Woche bekam ich eine Lieferung mit 500 Bogen Echt Bütten von Zerkall in 95g/m². Bevor ich die Druckmaschine einrichte, nehme ich die Bogen aus der Verpackung. Etwas stimmt nicht mit dem Papier. Ich drucke seit über zwanzig Jahren auf Zerkall-Bütten, aber diese Bogen sind anders als sonst.
Ich greife von meinem Lagerbestand einen Bogen, sieh da, er ist deutlich glatter als die neue Lieferung. Ich weiß, daß mein Kunde die Glätte des Büttens schätzt, er schreibt mit der Feder auf dem Papier. Weil ich beim Papierhändler Römerturm auf die Schnelle niemanden erreiche und es mir nicht unmöglich erscheint, daß nun auch Zerkall die Produktionsweise geändert hat, wie das die großen Papiermühlen alle naselang tun, denk ich mir in meiner Ungeduld: Fragste direkt bei Zerkall nach. Wenn die Produktion geändert wurde, wäre eine Reklamation ohnehin sinnlos.
Ans Telefon geht bei Zerkall ein freundlicher Herr, der mich nach kurzer Schilderung meines Begehrs vermittelt, und wer meldet sich am Apparat? Kürzlich habe ich meine Schwierigkeiten mit der Telekom geschildert, und jeder kennt es von Dienstleistern: je größer das Unternehmen, desto weniger fühlt sich jemand für die Kunden zuständig, man wird herumgeschubst. Aber wen bekomme ich bei Zerkall zu sprechen? Herr Renker meldet sich, der Geschäftsführer, Nachkomme in vierter Generation des Gründers von Zerkall-Bütten, der 1903 mit der Rundsiebbütten-Produktion begonnen und die Firma berühmt gemacht hatte. Wir haben uns ein Weilchen sehr freundlich unterhalten über unsere Handwerke. Und nachdem mein Papierhändler Römerturm sich die Mühe machte, den Hersteller zu besuchen und die Bogen verglichen hatte, bekam ich eine Ersatzlieferung direkt aus der Papiermühle: Ein Traum aus Papier.
500 Bogen im Stapel: das ist wie ein schwerer Block, der wegen der Glätte des Papiers ganz leicht seine Blockgestalt verlieren kann. Will man das Papier im Stapel heben, muß man es sehr sanft und gleichmäßig fassen, weil die Bogen so weich sind, daß sie in alle Richtungen abknicken können, was Spuren hinterlassen würde. Auch ein zu fester Griff ins Papier hinterließe Spuren. So weich sind diese Bögen, weil Echt Bütten nicht über Bänder läuft, die Fasern sich also auch nicht gleichmäßig in eine Richtung legen, in die sogenannte Laufrichtung, was jedem anderen Papier in eine Richtung Stabilität gibt. Das Papier erinnert an einen glatten kühlen Stoff: an Seide. Weil es so schwer ist und glatt und weil es so weich fällt.
Auf diesem Bild sieht man den Glanz der Oberfläche, deren Glätte das Schreiben ganz leicht werden läßt. Es ist nicht leicht zu fotografieren, aber ein wenig sieht man es hier.
Und hier kann man erkennen, daß dieser Glanz nicht von einer Schicht herrührt, wie bei gestrichenen Papieren, sondern daß es mechanisch herbeigeführte Glätte ist, die die Oberfläche des Papiers nicht gänzlich verschließt.
Die Büttenränder wurden abgeschnitten, damit der Briefbogen in einen kleineren Umschlag paßt. Ein sehr schönes Format ergibt sich daraus. Bedruckt habe ich den Bogen mit Bleisatz aus Garamond. Die fertige Arbeit kann ich natürlich nicht zeigen, es handelt sich ja um eine Privatakzidenz. Aber das Aufeinandertreffen von zwei Handwerken, die mit einem gewissen Starrsinn seit Jahrzehnten an ihren jahrhundertealten Produktionsweisen festhalten, bringt ein bedrucktes Blatt Papier hervor, wie es eben auch vor 100 Jahren hergestellt wurde und an Schönheit kaum zu übertreffen ist.
— Martin Z. Schröder
Kommentare [1]
Ein Briefbogen für James Joyce · 15. Dezember 2011
Für die Mustermappe der Druckerey wollte ich einen geprägten Briefbogen austauschen und mit einem Druck ergänzen. Bis der Vorrat verbraucht ist, liegt der Mappe nun also dieser Briefbogen bei oder eine graue Variante, die nicht mit Gold, sondern mit roter Farbe bedruckt ist. Briefpapier ist schon ein recht teures Vergnügen, zumal wenn man Kuverts und Karten dazu bedrucken läßt. Schwarz auf Weiß kann größten Luxus vermitteln, hier zeigt sich die Kunst der Typografie für den Kenner.
Wer den Aufwand nicht scheut, kann mit geprägten Motiven und Goldfarbe repräsentieren.
Das kleine blindgeprägte j ist aus der Schrift Akko von Akira Kobayashi, das so schön geschwungene versale J entstammt einer der Versal-Varianten der Schreibschrift Adana von Andreas Seidel.
Gold und Blindprägung sind schon für sich nicht leicht in ein Foto zu fangen, aber nun beides abzubilden, will mir nicht ganz gelingen. Seinen Reiz empfängt der Bogen aus dem Wechselspiel von Schatten und Reflexion, Blindprägung und Metallfarbglanz.
— Martin Z. Schröder