Typengreif, muh! · 30. November 2007
Vor einigen Tagen erreichten mich zwei schwere Pakete aus dem Bleisatzmagazin. Ich mußte sie erst einmal stehen lassen, weil so viel zu drucken war. Das hat Selbstbeherrschung gekostet, denn wenn ein Schriftsetzer eine neue Schrift bekommt, möchte er sie in seine Kästen legen, die Bleisatzgasse füllen, er möchte die Schrift im Winkelhaken sehen, zwischen den Fingern spüren, drucken und sie kennenlernen.
Gestern und heute habe ich die Pakete geöffnet. Sie enthielten volle Setzkästen. Schriftsetzer Kraus und ich haben eine Weile überlegt, wie man die Schrift aus einem Schrank in seinem Magazin in meine Setzerei und meine Kästen bekommen kann. Letztlich erwies sich nur als praktikabel, die kompletten Kästen als Leihverpackung zu senden.
Das Auspacken erwies sich als so aufwendig, daß ich froh war, nicht am Einpacken teilgenommen zu haben. Luftpolsterfolie, Pappen, Stretchfolie, Karton, Klebeband. Und das mußte mein Lieferant fest um einen Packen von hölzernen Setzkästen legen, die schon leer nicht leicht sind. Die Buchstaben sollten beim Transport möglichst in ihren Fächern bleiben. Aber halbwegs verfischt waren die Kästen dann doch, ganz vermeiden ließ es sich nicht. Aber ein geübtes Auge erkennt die Fische schnell.
Flossentiere in der Setzerei? Ein Fisch ist eine innerhalb des Setzkastens verrirte Type, beispielsweise ein M im Fach vom z. Einen Zwiebelfisch heißt man einen Buchstaben aus einem anderen Setzkasten, also etwa ein Q der kursiven Bodoni im Fach des Q oder auch eines anderen Buchstaben im Kasten der dreiviertelfetten Futura.
Einen vollen Kasten habe ich in der Gasse (eine Bleisatzgasse besteht aus mehreren nebeneinander- und einander gegenüberstehenden Schriftregalen) aufgestellt, daneben einen leeren Kasten aus einem meiner Regale. Dann habe ich am Schlauch des Industriesaugers den Typengreif befestigt, auch scherzhaft als Kuh bezeichnet, weil der schwarze Auffangbehälter für die Typen an ein Euter erinnert. Ich danke Georg Kraus für die Bezeichnungen, die ich hier wiedergebe. Denn ich habe so einen Typengreif zwar früher benutzt, konnte mich aber nicht mehr erinnern, wie er genannt wurde. Möglicherweise gibt es regional noch andere Bezeichnungen.
Man saugt alle Buchstaben aus einem Buchstabenfach, schwenkt dann zum leeren Kasten und öffnet das Ventil. Die Luft wird jetzt durch eine Öffnung angesaugt, die hinter dem Gitter liegt, welches die Bleilettern aufgefangen hat. Dadurch entfaltet die Schwerkraft wieder ihre Wirkung und die Typen purzeln heraus. Der Typengreif dient nicht vornehmlich dem Transport von Buchstaben. In so einem Setzkasten sammelt sich mit der Zeit eine Menge Staub an. Nicht nur hat der Setzer dann immer öfter Staub zwischen den Fingern, die Staubkörner können sich auch an den Typen festsetzen. Ein Staubkorn zwischen zwei Lettern wird im Schriftbild als Unruhe sichtbar. Klebt es sogar unter der Type an ihrem Fuß, dann steht die Type in der Druckform geringfügig höher als andere und druckt stärker aus, wird entweder fetter oder blockiert den Kontakt der Farbwalze oder den Druck der nebenstehenden Buchstaben. Der Typengreif dient in der Regel als Staubsauger, der die Buchstaben eben nicht sondern nur den Staub schluckt.
Nimmt man das Euter von der Kuh ab, wird das Sieb sichtbar. Es ist ein hartes Metallsieb. Der Staubsauger darf also bei kleinen Buchstaben nicht zuviel Saugkraft haben, sonst können Kratzer entstehen oder sogar Serifen (die Füßchen an den Buchstaben, also am A beispielsweise die beiden kurzen Querstriche an den beiden unteren Enden) abbrechen.
Es gibt verschiedene Modelle des Typengreif. Hier seien zwei davon gezeigt. Das erste, mit dem ich vorwiegend arbeite, hat ein Ventil, das man mit einem Knopf nach innen drückt. Das zweite funktioniert mit einer Klappe, die durch einen Hebel angehoben wird und ist deutlich weniger komfortabel. Bald wird die Hand lahm, weil der Hebel zu kurz ist. Diese beiden Geräte hüte ich. Der schwarze Gummibehälter des einen wirkt nämlich schon ein wenig ermüdet.
Bei der neuen Schrift in meiner Setzerei handelt es sich um die Delphin. Wer sie gezeichnet hat, ist auf dem ersten Foto zu sehen. Ich habe im Bleisatz-Magazin auch ein Heftchen erwerben können, in welchem die Schriftgießerei die neue Type vorstellt. Verschiedene Anwendungsmöglichkeiten werden da gezeigt. Ich bringe demnächst ein paar Fotos und stelle auch aus anderen Büchern Bilder dazu, die Aufschluß über die historischen Vorbilder geben.
— Martin Z. Schröder
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