Über die Schrift „Delphin“ – Teil 2 · 18. Dezember 2007
Teil 1 findet sich hier. Die Delphin war mir schon vor Jahren aufgefallen als eine sehr lebendige und zugleich einfach geschnittene Kursive. Durch das Preußische Bleisatz-Magazin bin ich nun an einige Schnitte gelangt und wollte mehr wissen über diese Type von Georg Trump. Wovon hat er sich anregen lassen? Wie sehen die Vorbilder seiner Delphin aus?
Es sind die italienischen Kursiven (lat. curri, currere, laufen) des frühen 15. Jahrhunderts: „Laufschriften“ mit verbundenen Buchstaben, die schneller geschrieben werden konnten als die sorgfältig in den klösterlichen Schreibstuben geschriebenen einzelnen verzierten Typen. So bildete in Florenz der Gelehrte, Kalligraf (und als 61jähriger auch noch Begründer einer Schreibschule) Niccolo Niccoli um 1420 durch schnelles Schreiben eine Handschrift aus, welche ein neuartiges fließendes Bild gab. Dabei vereinte er, wie es seit der Gotik aufkam, zwei Alphabete: die mit dem Federkiel schnell schreibbare karolingische Minuskel (die aus Kleinbuchstaben bestand) aus der Zeit um 800 bis ins 12. Jahrhundert, in der man die Buchschrift der Antike vermutete, und die wiederentdeckte römische Kapitale (eine Schrift nur aus Versalien), die in der Antike durch Pinsel und Meißel geformt worden war. Das schnelle Schreiben ließ die Schrift sich leicht nach rechts neigen, so begann die kursive Renaissance-Antiqua zu entstehen. Die Versalien standen anfangs aber noch gerade und erinnern an die antiken Vorbilder.
Erst deutlich später, 1501, wurde eine Kursive als gedruckte Buchschrift eingeführt, „Italika“ genannt. Francesco Griffo da Bologna schnitt die erste für den Gelehrten, Verleger, Drucker und Entwerfer Aldus Manutius nach dessen Konzeption in Venedig, eine zweite für den Drucker Gershom ben Moses Soncino, 1516 begann er mit einer dritten selbst zu drucken.
Stärker kalligrafisch ausgebildet waren die Schriften in den Schreibmeisterbüchern, deren berühmtestes der Kalligraf, Typograf, Drucker und Verleger Ludovico degli Arrighi 1522 in Rom herausgab. Er schrieb die schönste cancellaresca corsiva*, die Verkehrsschrift seiner Zeit mit schnörkellosen rechtsgeneigten Minuskeln (Kleinbuchstaben) und geraden, oft mit Federschwüngen verzierten Majuskeln (Großbuchstaben). Arrighi ließ seine Cancellaresca als Satzschrift schneiden und druckte damit Bücher.
* cancellaresca ist ein Adjektiv zu cancellaria, Kanzlei. Also übersetzt: die Kanzleiartige.
Georg Trump hat freilich keine Cancellaresca geschnitten, aber er hat sich wohl an ihr orientiert. In einer der ersten Skizzen, 1948 entstanden und mit dem Pinsel geschrieben, haben die Oberlängen der Minuskeln noch einen Abstrich nach links. In der später für die Satzschrift geschnittenen Variante, die den Bandzug der Breitfeder zeigt, sind die Oberlängen leicht nach rechts geneigt. Solcherart Entscheidungen haben auch die Schreibmeister der Renaissance treffen müssen. Oder diese: Wird an die Unterlänge des p eine Serife gesetzt oder bekommt sie einen Schwung nach links? Die Unterlängen der Delphin laufen ohne Serife und ohne Neigung schmaler werdend aus. Trump hat eine neue Form mit diffizilen kalligrafischen Details geschaffen und damit zugleich an die Geburtsjahre der kursiven Satzschriften erinnert.
Die Bilder zeigen von oben nach unten:
1 Cancellaresca corsiva von Arrighi, Rom 1517
2 Cancellaresca von Arrighi, Rom 1522
3 Cancellaresca, Rom 1525
4 Cancellaresca, Venedig 1529
5 Cancellaresca corsiva von Palatino, Rom 1540
6 Renaissance-Antiqua mit kursiv, Paris 1544
7 Renaissance-Antiqua kursiv von Bernardino Cataneo, Sienna 1545
8 Cancellaresca romana, Saragossa 1550
9 Cancellaresca corsiva von Frate Vespasiano Amphiareo, Venedig 1554
10 Pinsel-Skizze der Delphin von 1948
11 Reinzeichnung der Delphin von 1949
Den Schriften der Bilder 1,8 und 9 habe ich einen frischen Abzug der Delphin beigefügt.
Das alles hat sich der Drucker nicht auf Reisen durch Italien beschafft, sondern aus der Handbibliothek sprudelten die Quellen; zu nennen sind Jan Tschicholds Meisterbuch der Schrift, Hermann Zapfs Atlas zur Geschichte der Schrift, Axel Bertrams Wohltemperiertes Alphabet und Albert Kaprs Fundament zum rechten Schreiben. Anregende Begleitlektüre war Band 1 der Schriftanalysen von Max Caflisch. Im Jahr 2000 hatte er in den Typografischen Monatsblättern der Schweiz die Rialto von Giovanni de Faccio und Lui Karner besprochen, eine kursive Renaissance-Antiqua mit außergewöhnlich kleinen Versalien. Ich hatte sie ein Jahr zuvor in Berlin auf einer Buchkunstausstellung gesehen und als eine von überhaupt nur zwei Sehenswürdigkeiten der Ausstellung im Kunstmarkt der F.A.Z. gepriesen, für die ich damals schrieb. Die Rialto kam mir nun auch wieder in den Sinn, als ich mich an der Delphin ergötzte. Leider finde ich im Netz kein Bild der Rialto und habe die Broschüre gerade nicht zu Hand. Es gibt einige Schriften mit diesem Namen, die keine Renaissance-Schriften sind. (Der Link wurde von freundlicher Hand hinzugefügt: siehe Kommentare.)
— Martin Z. Schröder
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