ZGL · 28. Februar 2009
Neulich kam ein Herr in die Werkstatt, der mir erklärte, er habe bis 1990 in der Betriebsberufsschule Rudi Arndt in Berlin-Mitte, Michaelkirchstraße 17, in welcher ich von 1983 bis 1985 meine Lehre erhielt, in der Verwaltung gearbeitet. Gelernter Schriftsetzer. Hatte in den 1960er Jahren im Vorgängerbetrieb, der Zentralen Grafischen Lehrwerkstatt angefangen. ZGL genannt. Wir plauderten ein wenig. Nannten uns Namen von Lehrmeistern und dem Direktor, erinnerten uns an den Ort. Und nun zog er ein Buch aus seiner Tasche.
Aus seiner Anfangszeit in der ZGL. Ob mich das interessieren würde.
Schon das Inhaltsverzeichnis gibt mir Hinweise auf nie zuvor gesehene Schriften. Was ist denn die Minister-Zirkular? Die Minister von Typoart kenne ich, eine Renaissance-Antiqua mit ordentlich fetten Schnitten für Zeitungsüberschriften und Plakate. Aber eine Zirkular? Nie gehört. Ebenso ist die Druckhaus-Antiqua mir unbekannt. (Fotos in der Lightbox vergrößern durch Anklicken.)
Saskia, Junior, Ambassador, Akropolis, Admira, Ramona — Schriften von Typoart, der DDR-Schriftgießerei in Dresden?
Dieses Schriftenverzeichnis der ZGL-Handsetzerei ist als Werkzeug aufgebaut. Die Versalien sind abgebildet, daneben eine Tabelle, die bei der Berechnung des Umfanges hilfreich ist, den eine Schrift in ihren verschiedenen Graden einnimmt.
Auf der rechten Seite wird eine Textprobe gezeigt. Hier also die Admira. Hab ich nie zuvor gesehen.
Die Ambassador kenne ich nicht.
Schmale halbfette Russisch-Römisch ist eine hübsch technokratische Bezeichnung für eine recht klobig-monströse Type mit dicken Beinen, (und das Ausgleichen der Versalien im Namen dieser Schrift hat kein Meister seines Fachs fabriziert). Wir hatten eine kyrillische Schrift, ich habe sie ja gesetzt, ihren Namen aber vergessen. Siehe hier das letzte Foto. (Foto 3 zeigt übrigens die damals von mir angewandte Schrift Splendor, die ich neulich in meine Setzerei eingliederte.)
Die Rautendelein ist eine wunderschöne Anglaise, die von Typoart leider aus dem Programm genommen wurde. Sie wurde auf einen sogenannten Falzkegel gegossen. Ich habe zwei Schriftgrade von dieser Type und werde gelegentlich zeigen, wie absonderlich diese Type als Bleiletter aussieht.
Auch die Akropolis war mir unbekannt. Hübscher Name, er weist auf die Säulenbilder in der Schrift hin.
Die Minister mit der Kursiven hatten wir auch in der Lehrwerkstatt, aber …
… diese etwas stärker verzierte Zusatzvariante ist auch in den Typoart-Katalogen nicht enthalten.
Kolonel und Borgis sind Schriftgrad-Namen. In meiner Lehrzeit waren sie nicht in Gebrauch. Ich hatte sie vorher gelernt, in der Schüler-Arbeitsgemeinschaft, und ich gewöhnte mich daran, als ich später in der Buchdruckerei Rapputan angestellt war und man nur von Petit, Korpus und Cicero sprach, nicht von 8, 10 und 12 Punkt. In diesem Katalog hier sind sie zusätzlich zum Schriftgrad genannt, was auf eine Übergangszeit hindeutet, in der beide Sprachregelungen Anwendung fanden.
Schmalfette Druckhaus-Antiqua. Kannte ich auch nicht. Kann mal ein Experte bitte nachschauen, ob das alles Schriften aus der Gießerei Schriftguss-AG Dresden sind?
Wie wenig zeitlos der Begriff “aktuell” umgesetzt wurde. Heute neu, morgen Staub.
Die Junior kommt mir so bekannt vor, aber ihr Name nicht.
Ein paar Seiten sind mit Fließtext ausgestattet. Es wird wohl nicht mehr viele Exemplare dieser Sammlung geben. Früher hatte jede etwas größere Druckerei solch eine Schriftmustersammlung. Die Auftragsannahme brauchte so etwas für die Kundenberatung; Grafiker in den Verlagen hatten solche Bücher wahrscheinlich in der Hausbibliothek.
— Martin Z. Schröder
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